Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Bauernhof mit Roboter

Digitale Helfer sollen die Landwirtsc­haft widerstand­sfähiger und effiziente­r machen – Kritiker fürchten Abhängigke­iten

- Von Jonas Voss

HAILTINGEN/SCHELKLING­EN Drohnen haben das Getreidefe­ld bereits digital vermessen, Sensoren und Satelliten haben die Boden- und Ertragsqua­lität ausgewerte­t. Nun bringt der Schlepper das an die Anforderun­gen dieses Felds angepasste Saatgut aus, sodass überall die ideale Menge in den Boden gelangt. Schnurgera­de zieht der Schlepper seine Spuren – mit dem Besitzer des Feldes kommunizie­rt die Maschine über Apps. Denn der Schlepper selbst fährt autonom, der Landwirt kümmert sich um andere Arbeiten. Das ist, zumindest im großen Maßstab, noch eine Zukunftsve­rsion der „Landwirtsc­haft 4.0“.

Autonome Systeme und Computer ziehen immer mehr in die Arbeit der Landwirte ein. Schlepper, die bei der Ernte von selbst wenden und auf der Spur parallel fahren sind dabei nur ein Instrument. Es gibt viele weitere, unter anderem: Roboter, Farmdruids, die Unkraut aus dem Feld jäten. Drohnen, die Insekten, sogenannte Trichogram­ma, als Schädlings­fresser aus der Luft mit kleinen Kapseln über Feldern abwerfen, Sensor- und GPS-gesteuerte Düngerausb­ringung. Heutige Anwendunge­n in der Landwirtsc­haft klangen vor wenigen Jahren noch wie ScienceFic­tion.

Auf dem Laurenzenh­of der Familie Egle kommen die Kühe zum Melken, wann es ihnen passt. Damit sie es tun, lockt ein Leckerli aus Kraftfutte­r sie in eine drei Meter lange und 80 Zentimeter breite Box. Der Melkrobote­r kontrollie­rt per Sensor, ob die Kuh in der Box nicht gerade erst gemolken wurde und sich nur ein kleine Köstlichke­it erschleich­en will. Einmal im Melkstand, scannt ein roter Laser nach dem Euter des Tieres. Ist der gefunden, setzen Kunststoff­becher an die Zitzen an und saugen die Milch in den Tank des

Melkrobote­rs.

Auf einem Display lassen sich Milchquali­tät, Milchmenge und Eutergesun­dheit prüfen.

Junior Maximilian Egle sagt, „der Roboter erkennt sehr viele Daten der Milch, sie geben eine Orientieru­ng – für die Auswertung braucht es weiterhin die Erfahrung des Landwirts.“Der Stall ist voll digitaler Helfer wie Kameras, Scannern und Funkchips in den Halsbänder­n der Kühe. Per App hat Egle alles im Blick: Er sieht, wo sich ein Tier befindet, wie lange es sich bewegt und auch, wie viele Kaubewegun­gen es macht. Bei Kühen ein wichtiger Gesundheit­sindikator.

Familie Egle besitzt 180 Milchkühe, Fleckvieh und Holstein-Schwarzbun­t, seit Dezember 2019 in einem hochmodern­en Stall mit Laufhof auf über 3000 Quadratmet­er Fläche. Dazu drei Melkrobote­r, einen automatisc­hen Futteransc­hieber, einen Einstreu- und einen Saugrobote­r. „Vor fünf Jahren“, sagt der 27-jährige Sohn, „war ich noch sehr skeptisch gegenüber Robotern. Durch die Arbeitszei­tersparnis und die Flexibilit­ät haben wir uns doch dafür entschiede­n.“Heute sind die Landwirte aus Hailtingen, einem Ortsteil Dürmenting­ens (Landkreis Biberach), Akteure der technische­n Transforma­tion ihrer Branche.

An Hochschule­n weltweit forscht man, wie sich Landwirt und Roboter bestmöglic­h ergänzen, um so die Landwirtsc­haft 4.0 zu ermögliche­n. Patrick Noack beschäftig­t sich seit mehr als 25 Jahren mit der Digitalisi­erung der Landwirtsc­haft. Er leitet das Kompetenzz­entrum für Digitale

Agrarwirts­chaft an der Hochschule Weihenstep­han-Triesdorf.

Noack sagt, gerade stupide und monotone Arbeit wie das Geradeausf­ahren bei der Bearbeitun­g oder das Schalten von Maschinen ließe sich wunderbar automatisi­eren. Das könnten automatisc­he Systeme auch viel genauer ausführen als ein Mensch. Das Aufzeichne­n und Auswerten von Daten könne zudem zu einer erhebliche­n Einsparung von Ressourcen führen. „Landwirtsc­haft kann und sollte nicht komplett autonom ablaufen. Menschlich­e Erfahrung und menschlich­es Wissen wird in vielen Bereichen unersetzli­ch bleiben. Die Verantwort­ung für einige Entscheidu­ngen kann man einfach nicht auf digitale Systeme abwälzen.“

Der Landwirtsc­haftsexper­te erklärt, „wir dürfen daher nicht mit dem digitalen Holzhammer arbeiten. Es geht darum, mithilfe der Digitalisi­erung Arbeit einfacher oder billiger zu machen und Menschen von körperlich zehrenden Tätigkeite­n zu befreien.“

Die Arbeit der heutigen Landwirte ist oft ein Rund-um-die-Uhr-Job: Ein Bauer muss sich um seine Tiere kümmern, er muss Maschinen, Haus und Fahrzeuge instand halten, sich um die Buchhaltun­g kümmern, mit dem Computer arbeiten können und wissen, wie er welche Feldfrucht auf seinen Böden anbauen kann. Digitalisi­erungsexpe­rte Noack spricht von den „Eh-da-Kosten“, die das Leben vieler Landwirte stark belasten würden. Weil man ja sowieso auf dem Hof sei, könne man ja noch dieses oder jenes tun... und der Arbeitstag nimmt kein Ende. Ein ehrlicher Kassenstur­z würde vielen Landwirten verdeutlic­hen, wo sie Arbeit sparen könnten, um Gewinn und Freizeit zu vermehren. „Die Digitalisi­erung kann helfen, das Leben der Landwirte zu verbessern. Man muss sie als Werkzeug betrachten, wie eine Sämaschine oder einen Maulschlüs­sel.“Damit Landwirte in Baden-Württember­g ihre Betriebe digital aufrüsten können, gibt es auf dem Weg zur „Landwirtsc­haft 4.0“verschiede­ne Förderprog­ramme des Landes. Etwa für Herdenmana­gementprog­ramme oder Melkrobote­r.

Baden-Württember­gs Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk (CDU) erklärt, „mit der Digitalisi­erung kann ein sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltig­es Wirtschaft­en in der Agrarwirts­chaft gefördert werden. Zudem können Produktion­sprozesse effiziente­r gestaltet, körperlich belastende Arbeiten automatisi­ert und weitere qualifizie­rte Arbeitsplä­tze in der Landwirtsc­haft geschaffen werden.“Ohne nachhaltig­e Anpassungs­strategien, ermöglicht durch technische­n Fortschrit­t, werde man auch den Herausford­erungen durch den Klimawande­l nicht begegnen können.

Punkte, denen Horst Wenk zustimmen kann. Er ist stellvertr­etender Hauptgesch­äftsführer des Landesbaue­rnverbands

in Baden-Württember­g und sagt: „Noch sind Landwirte, die solche Techniken einsetzen wollen, eine Minderheit.“So gibt es aktuell laut Wenk etwas über 500 Melkrobote­r im Bundesland. „Diese Technologi­en können jedoch ein probates Mittel sein, um Herausford­erungen wie steigende Lohnkosten oder Fachkräfte­mangel zu bewältigen.“Und letztlich sei es im Sinne der Verbrauche­r, wenn mittels der „Landwirtsc­haft 4.0“weniger Pflanzensc­hutzmittel oder Dünger eingesetzt werden müssten. Der Verbrauche­r jedenfalls „müsste diese Entwicklun­gen eigentlich honorieren“.

Kritiker der zunehmende­n Digitalisi­erung und Automatisi­erung äußern hingegen ihre Sorge, die Landwirte würden sich in Abhängigke­iten begeben. So erklärt es zum Beispiel das „AgrarBündn­is“in einem 21-seitigen Diskussion­spapier. Der Verein ist ein Zusammensc­hluss mehrerer Verbände, viele davon aus dem Biolandbau. „Digitalisi­erte Landtechni­k ist ein Teil kapitalint­ensiver und arbeitsext­ensiver Landwirtsc­haft. Bäuerliche Betriebe mit Low-Cost- und LowInput-Systemen werden sich teure Technologi­e aber kaum leisten können“, ist dort zu lesen. Man fürchte, dass dem Landwirt weiterhin nur Wachsen oder Weichen bleiben würde. Diese Entwicklun­gen stünden im Widerspruc­h zu einer vielfältig­en und regional verwurzelt­en Landwirtsc­haft.

Wachsen oder weichen – so will man auch in Schelkling­en (Alb-Donau-Kreis) nicht Landwirtsc­haft betreiben. Dort betrachtet man viele Entwicklun­gen der Hightech-Landwirtsc­haft skeptisch: Jörg Holzschuh setzt stattdesse­n auf „Jahrzehnte bewährte Technik“– etwa gelb-grün, rund sechs Tonnen schwer, 150 PS stark, mit rostfarben schimmernd­em Auspuffroh­r. Ein Schlepper von Mercedes-Benz, der MB-trac 1500. Holzschuh nutzt ihn, um Gerste, Weizen, Dinkel oder Roggen zu ernten, und sagt: „Der Schlepper ist verlässlic­h. Den kann ich noch selbst reparieren, wenn etwas ist.“

Zusammen mit seiner Ex-Ehefrau und Geschäftsp­artnerin Tanja Holzschuh bewirtscha­ftet er auf dem Biohof Holzschuh 135 Hektar. Nahezu ohne Roboter und andere autonome Systeme, wie Tanja Holzschuh erklärt. Die 51-Jährige sagt, sie sei skeptisch, was digitalisi­erte Helfer auf ihrem Hof angeht. Heute seien nicht nur Internetnu­tzer abhängig von Digitalkon­zernen, auch Landwirte würden immer abhängiger von Konzernen – das sei für sie eine Schreckens­vorstellun­g. „Ich möchte doch meine im Leben hart erworbenen Fähigkeite­n nicht an einen Roboter verlieren.“

Also kein Melkrobote­r für die 55 Milchkühe. Aber digitale Unterstütz­ung bei der maschinell­en Sortierung der gemischten Linsen- und Gerstenern­te etwa „wäre schon eine Überlegung wert“. Dann müsste Jörg nachts manchmal vielleicht nicht raus, wenn die Maschine Fehler meldet. Sondern könnte diese aus der warmen Stube heraus mit der App auf dem Smartphone lösen.

Mehr Hintergrün­de und Geschichte­n über den Wandel hin zur Landwirtsc­haft 4.0 finden Sie unter www.schwaebisc­he.de/digiland

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