Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Bauernhof mit Roboter
Digitale Helfer sollen die Landwirtschaft widerstandsfähiger und effizienter machen – Kritiker fürchten Abhängigkeiten
HAILTINGEN/SCHELKLINGEN Drohnen haben das Getreidefeld bereits digital vermessen, Sensoren und Satelliten haben die Boden- und Ertragsqualität ausgewertet. Nun bringt der Schlepper das an die Anforderungen dieses Felds angepasste Saatgut aus, sodass überall die ideale Menge in den Boden gelangt. Schnurgerade zieht der Schlepper seine Spuren – mit dem Besitzer des Feldes kommuniziert die Maschine über Apps. Denn der Schlepper selbst fährt autonom, der Landwirt kümmert sich um andere Arbeiten. Das ist, zumindest im großen Maßstab, noch eine Zukunftsversion der „Landwirtschaft 4.0“.
Autonome Systeme und Computer ziehen immer mehr in die Arbeit der Landwirte ein. Schlepper, die bei der Ernte von selbst wenden und auf der Spur parallel fahren sind dabei nur ein Instrument. Es gibt viele weitere, unter anderem: Roboter, Farmdruids, die Unkraut aus dem Feld jäten. Drohnen, die Insekten, sogenannte Trichogramma, als Schädlingsfresser aus der Luft mit kleinen Kapseln über Feldern abwerfen, Sensor- und GPS-gesteuerte Düngerausbringung. Heutige Anwendungen in der Landwirtschaft klangen vor wenigen Jahren noch wie ScienceFiction.
Auf dem Laurenzenhof der Familie Egle kommen die Kühe zum Melken, wann es ihnen passt. Damit sie es tun, lockt ein Leckerli aus Kraftfutter sie in eine drei Meter lange und 80 Zentimeter breite Box. Der Melkroboter kontrolliert per Sensor, ob die Kuh in der Box nicht gerade erst gemolken wurde und sich nur ein kleine Köstlichkeit erschleichen will. Einmal im Melkstand, scannt ein roter Laser nach dem Euter des Tieres. Ist der gefunden, setzen Kunststoffbecher an die Zitzen an und saugen die Milch in den Tank des
Melkroboters.
Auf einem Display lassen sich Milchqualität, Milchmenge und Eutergesundheit prüfen.
Junior Maximilian Egle sagt, „der Roboter erkennt sehr viele Daten der Milch, sie geben eine Orientierung – für die Auswertung braucht es weiterhin die Erfahrung des Landwirts.“Der Stall ist voll digitaler Helfer wie Kameras, Scannern und Funkchips in den Halsbändern der Kühe. Per App hat Egle alles im Blick: Er sieht, wo sich ein Tier befindet, wie lange es sich bewegt und auch, wie viele Kaubewegungen es macht. Bei Kühen ein wichtiger Gesundheitsindikator.
Familie Egle besitzt 180 Milchkühe, Fleckvieh und Holstein-Schwarzbunt, seit Dezember 2019 in einem hochmodernen Stall mit Laufhof auf über 3000 Quadratmeter Fläche. Dazu drei Melkroboter, einen automatischen Futteranschieber, einen Einstreu- und einen Saugroboter. „Vor fünf Jahren“, sagt der 27-jährige Sohn, „war ich noch sehr skeptisch gegenüber Robotern. Durch die Arbeitszeitersparnis und die Flexibilität haben wir uns doch dafür entschieden.“Heute sind die Landwirte aus Hailtingen, einem Ortsteil Dürmentingens (Landkreis Biberach), Akteure der technischen Transformation ihrer Branche.
An Hochschulen weltweit forscht man, wie sich Landwirt und Roboter bestmöglich ergänzen, um so die Landwirtschaft 4.0 zu ermöglichen. Patrick Noack beschäftigt sich seit mehr als 25 Jahren mit der Digitalisierung der Landwirtschaft. Er leitet das Kompetenzzentrum für Digitale
Agrarwirtschaft an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf.
Noack sagt, gerade stupide und monotone Arbeit wie das Geradeausfahren bei der Bearbeitung oder das Schalten von Maschinen ließe sich wunderbar automatisieren. Das könnten automatische Systeme auch viel genauer ausführen als ein Mensch. Das Aufzeichnen und Auswerten von Daten könne zudem zu einer erheblichen Einsparung von Ressourcen führen. „Landwirtschaft kann und sollte nicht komplett autonom ablaufen. Menschliche Erfahrung und menschliches Wissen wird in vielen Bereichen unersetzlich bleiben. Die Verantwortung für einige Entscheidungen kann man einfach nicht auf digitale Systeme abwälzen.“
Der Landwirtschaftsexperte erklärt, „wir dürfen daher nicht mit dem digitalen Holzhammer arbeiten. Es geht darum, mithilfe der Digitalisierung Arbeit einfacher oder billiger zu machen und Menschen von körperlich zehrenden Tätigkeiten zu befreien.“
Die Arbeit der heutigen Landwirte ist oft ein Rund-um-die-Uhr-Job: Ein Bauer muss sich um seine Tiere kümmern, er muss Maschinen, Haus und Fahrzeuge instand halten, sich um die Buchhaltung kümmern, mit dem Computer arbeiten können und wissen, wie er welche Feldfrucht auf seinen Böden anbauen kann. Digitalisierungsexperte Noack spricht von den „Eh-da-Kosten“, die das Leben vieler Landwirte stark belasten würden. Weil man ja sowieso auf dem Hof sei, könne man ja noch dieses oder jenes tun... und der Arbeitstag nimmt kein Ende. Ein ehrlicher Kassensturz würde vielen Landwirten verdeutlichen, wo sie Arbeit sparen könnten, um Gewinn und Freizeit zu vermehren. „Die Digitalisierung kann helfen, das Leben der Landwirte zu verbessern. Man muss sie als Werkzeug betrachten, wie eine Sämaschine oder einen Maulschlüssel.“Damit Landwirte in Baden-Württemberg ihre Betriebe digital aufrüsten können, gibt es auf dem Weg zur „Landwirtschaft 4.0“verschiedene Förderprogramme des Landes. Etwa für Herdenmanagementprogramme oder Melkroboter.
Baden-Württembergs Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) erklärt, „mit der Digitalisierung kann ein sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltiges Wirtschaften in der Agrarwirtschaft gefördert werden. Zudem können Produktionsprozesse effizienter gestaltet, körperlich belastende Arbeiten automatisiert und weitere qualifizierte Arbeitsplätze in der Landwirtschaft geschaffen werden.“Ohne nachhaltige Anpassungsstrategien, ermöglicht durch technischen Fortschritt, werde man auch den Herausforderungen durch den Klimawandel nicht begegnen können.
Punkte, denen Horst Wenk zustimmen kann. Er ist stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Landesbauernverbands
in Baden-Württemberg und sagt: „Noch sind Landwirte, die solche Techniken einsetzen wollen, eine Minderheit.“So gibt es aktuell laut Wenk etwas über 500 Melkroboter im Bundesland. „Diese Technologien können jedoch ein probates Mittel sein, um Herausforderungen wie steigende Lohnkosten oder Fachkräftemangel zu bewältigen.“Und letztlich sei es im Sinne der Verbraucher, wenn mittels der „Landwirtschaft 4.0“weniger Pflanzenschutzmittel oder Dünger eingesetzt werden müssten. Der Verbraucher jedenfalls „müsste diese Entwicklungen eigentlich honorieren“.
Kritiker der zunehmenden Digitalisierung und Automatisierung äußern hingegen ihre Sorge, die Landwirte würden sich in Abhängigkeiten begeben. So erklärt es zum Beispiel das „AgrarBündnis“in einem 21-seitigen Diskussionspapier. Der Verein ist ein Zusammenschluss mehrerer Verbände, viele davon aus dem Biolandbau. „Digitalisierte Landtechnik ist ein Teil kapitalintensiver und arbeitsextensiver Landwirtschaft. Bäuerliche Betriebe mit Low-Cost- und LowInput-Systemen werden sich teure Technologie aber kaum leisten können“, ist dort zu lesen. Man fürchte, dass dem Landwirt weiterhin nur Wachsen oder Weichen bleiben würde. Diese Entwicklungen stünden im Widerspruch zu einer vielfältigen und regional verwurzelten Landwirtschaft.
Wachsen oder weichen – so will man auch in Schelklingen (Alb-Donau-Kreis) nicht Landwirtschaft betreiben. Dort betrachtet man viele Entwicklungen der Hightech-Landwirtschaft skeptisch: Jörg Holzschuh setzt stattdessen auf „Jahrzehnte bewährte Technik“– etwa gelb-grün, rund sechs Tonnen schwer, 150 PS stark, mit rostfarben schimmerndem Auspuffrohr. Ein Schlepper von Mercedes-Benz, der MB-trac 1500. Holzschuh nutzt ihn, um Gerste, Weizen, Dinkel oder Roggen zu ernten, und sagt: „Der Schlepper ist verlässlich. Den kann ich noch selbst reparieren, wenn etwas ist.“
Zusammen mit seiner Ex-Ehefrau und Geschäftspartnerin Tanja Holzschuh bewirtschaftet er auf dem Biohof Holzschuh 135 Hektar. Nahezu ohne Roboter und andere autonome Systeme, wie Tanja Holzschuh erklärt. Die 51-Jährige sagt, sie sei skeptisch, was digitalisierte Helfer auf ihrem Hof angeht. Heute seien nicht nur Internetnutzer abhängig von Digitalkonzernen, auch Landwirte würden immer abhängiger von Konzernen – das sei für sie eine Schreckensvorstellung. „Ich möchte doch meine im Leben hart erworbenen Fähigkeiten nicht an einen Roboter verlieren.“
Also kein Melkroboter für die 55 Milchkühe. Aber digitale Unterstützung bei der maschinellen Sortierung der gemischten Linsen- und Gerstenernte etwa „wäre schon eine Überlegung wert“. Dann müsste Jörg nachts manchmal vielleicht nicht raus, wenn die Maschine Fehler meldet. Sondern könnte diese aus der warmen Stube heraus mit der App auf dem Smartphone lösen.
Mehr Hintergründe und Geschichten über den Wandel hin zur Landwirtschaft 4.0 finden Sie unter www.schwaebische.de/digiland