Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Methusalem der deutschen Wirtschaft
Die ältesten deutschen Familienunternehmen haben Jahrhunderte überstanden – Am längsten hat sich eine Firma aus Siegen behauptet
MÜNCHEN (dpa) - Fachkräftemangel, Corona, Engpässe in den Lieferketten? Das Unternehmen der Familie Heinz an der bayerisch-thüringischen Grenze hat schon ganz andere Krisen und Katastrophen überstanden. Den 30-jährigen Krieg etwa. Schon seit 1523 macht sie Glas, heute gehört die Firma in Kleintettau zu den Weltmarktführern bei der Herstellung von Parfümflakons. Auf der Liste der 50 ältesten deutschen Familienunternehmen, am Montag von der Stiftung Familienunternehmen veröffentlicht, steht sie auf Platz zehn.
Bis auf die beiden letztplatzierten wurden alle Unternehmen auf der Liste schon vor der Französischen
Revolution 1789 gegründet, und alle sind ununterbrochen in der Hand der Gründerfamilie geblieben. „Über Jahrhunderte waren diese Unternehmen Stabilitätsanker und Fels in der Brandung“, sagt Stefan Heidbreder, Geschäftsführer der Stiftung.
Als ältestes Familienunternehmen listet die Stiftung ein Metallunternehmen in Siegen auf, den Verzink-Spezialisten The Coatinc Company. Als Gründungsdatum gilt das Jahr 1502 – urkundlich belegt, weil der Schmied Heylmann Dresseler damals einen Schilling für die Nutzung einer Feuerstelle entrichten musste. Zu den Firmen mit jahrhundertealter Familientradition gehören auch die Privatbanken Berenberg (1590) und Metzler (1674), der aus einer Apotheke in Darmstadt hervorgegangene Pharmakonzern Merck (1668), der bayerische Bergschuhhersteller Meindl (1683), der niedersächsische Schnapsbrenner Hardenberg (1700), der Hamburger EssigHersteller Carl Kühne (1722), der saarländische Keramikhersteller Villeroy & Boch (1748) und der fränkische Schreibwarenproduzent Faber Castell (1761).
Wie gelingt so etwas über so lange Zeit? Carletta Heinz, die das Glasunternehmen ihrer Familie nun in der 15. Generation führt, nennt drei Gründe: „Erstens den Mut, immer wieder Neues zu wagen und Entscheidungen zu treffen, auch wenn die unpopulär erschienen.“Dann das Gespür für die richtigen Mitarbeiter.
„Und schließlich ganz schlicht und einfach das nötige Quäntchen Glück.“Unternehmergeist und Mut zum Wandel führt auch Frank Stangenberg-Haverkamp an, Vorsitzender des Familienrats von Merck. „Bei uns hat Innovation Tradition“, sagt er. „Wissenschaftliche Neugier und unternehmerischer Pioniergeist bleiben Maximen unseres Handelns.“Professor Tom Rüsen von der Universität Witten/Herdecke sagt: „Es sind häufig Nischenplayer, die als Familienunternehmen ein hohes Alter erreichen. Sie entwickeln ihre eigene Kompetenz kontinuierlich.“
Viele dieser hoch spezialisierten Firmen sind im ländlichen Raum angesiedelt, manche sind Hidden Champions
geworden, Weltmarktführer auf ihrem Gebiet. Strikte Kundenorientierung und die Fähigkeit, „Krisen als Innovationsmomente zu begreifen und das Unternehmen weiterzuentwickeln“, machten sie erstaunlich widerstandsfähig, sagt Rüsen.
Aber natürlich gehen Unternehmensgeschichten auch mal zu Ende. Auf Platz drei steht derzeit die Glasmanufaktur von Poschinger in Frauenau im Bayerischen Wald, die 1568 gegründet wurde – die aber soeben „die Produktion bis auf Weiteres eingestellt“hat. Die Auswirkungen der Pandemie, Engpässe in der Versorgung mit Rohstoffen, aber auch erhöhte Energiepreise und die CO2-Abgabe machten diesen Schritt notwendig, erklärte Poschinger.