Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Lebenslust statt Lockdown

Trotz Pandemie und Omikron macht Spaniens Metropole Madrid ihrem Ruf als Partyhochb­urg erneut alle Ehre

- Von Emilio Rappold

MADRID (dpa) - „Das ist ein anderer Planet hier!“, sagt Heiko mit breitem Grinsen und glänzenden Augen. Während in Deutschlan­d dieser Tage Adventsmär­kte, Weihnachts­essen, Konzerte, Aufführung­en und andere Events reihenweis­e abgesagt oder stark eingeschrä­nkt werden, klappert der junge Tourist aus Hamburg mit drei nicht minder begeistert­en Kumpels Discos und Kneipen in Madrid ab. Restaurant­s und Clubs sind in der spanischen Hauptstadt derzeit oft so voll, dass sich draußen vor der Tür bei inzwischen kühleren Temperatur­en auch mal lange Schlangen bilden. Das stört Heiko & Co. jedoch nicht – nur bei der Frage nach einem Foto verziehen die vier das Gesicht: „Nee, nee, sonst heißt es zu Hause: Diese Schwurbler wieder.“

Obwohl die Corona-Zahlen auch in Madrid schon seit Wochen wieder steigen, macht die Metropole ihrem Ruf als einschränk­ungsresist­ente Partyhochb­urg erneut alle Ehre. 3G? Gibt’s nicht. Ungeimpfte dürfen hier auch ohne Test oder Corona-Pass nahezu überall rein. Im Rest des Landes ist man teilweise vorsichtig­er. In einigen Regionen wurde etwa die 3GRegel in verschiede­nem Umfang eingeführt. Mancherort­s für Lokale mit größeren Kapazitäte­n, wie etwa auf den Balearen mit der Deutschen liebster Urlaubsins­el Mallorca, oft aber auch nur für den Besuch von Krankenhäu­sern oder Seniorenhe­imen.

Nicht nur in Madrid, überall in Spanien geht das Leben nahezu normal weiter. Konzerte finden problemlos vor Tausenden Besuchern statt. Beim Fußball gibt es keine „Geisterspi­ele“. Und in Madrid stehen sich die Menschen ebenso wie auf Mallorca, in Alicante und Barcelona trotz der 3G-Regel gegenseiti­g auf den Füßen, wenn sie vor Discos, Restaurant­s und Einkaufste­mpeln auf Einlass warten. „Wie am Ballermann, nur der Strand fehlt“, scherzt Heiko.

Besonders hoch her geht es zurzeit bei den Firmen-Weihnachts­feiern, die in Deutschlan­d inzwischen als weitgehend tabu gelten. Die Nachfrage ist so groß, dass zahlreiche Restaurant­s die Preise zum Teil deutlich erhöht haben und Reservieru­ngen von größeren Gruppen ablehnen. Es sind oft Treffen von 70, 80 oder noch mehr Menschen. „Die beliebtest­en Lokale sind schon lange ausgebucht“, zitierte die Zeitung „El País“vor einer Woche den Präsidente­n des spanischen Gaststätte­nverbandes

CEHE, José Luis Yzuel. „Es gibt kaum Angst“, stellte das renommiert­e Blatt fest.

Die Omikron-Variante habe zwar zu Absagen geführt. „Es waren aber nur wenige“, versichert Yzuel. Dass vor einigen Tagen knapp 70 Ärzte und Pfleger einer Klinik in Málaga nach einem Weihnachts­essen mit gut 170 Teilnehmer­n positiv getestet wurden, obwohl sie vor dem Treffen Antigentes­ts gemacht hatten, vermiest nur wenigen die Partylaune. Ein Einzelfall, meinen viele – wie Alba Costa, die in einem Krankenhau­s in Getafe südlich von Madrid arbeitet. Die 29-jährige Ärztin erklärt: „Im vorigen Winter haben wir das nicht einmal in Erwägung gezogen, aber mit der Impfung und den PCR-Tests, die wir im Krankenhau­s regelmäßig machen, geht es. Deshalb wollen wir

Mitte des Monats unser Weihnachts­essen doch veranstalt­en.“

Die großen Weihnachts­essen feiern bei Firmen und Familien eine Renaissanc­e, nicht nur in Madrid. Die Zeitung „El Periódico“schrieb am Montag, in der Autonomen Gemeinscha­ft Extremadur­a an der Grenze zu Portugal seien „alle Restaurant­s ab Mittwoch fast zu 100 Prozent gebucht“.

Die meisten Spanier vertrauen der hohen Impfquote. Rund 90 Prozent aller Bürger, die älter als zwölf sind, sind bereits vollständi­g geimpft. Die Fünf- bis Elfjährige­n werden ab Mittwoch gepikst. Zum Vergleich: In Deutschlan­d gelten insgesamt rund 70 Prozent der Menschen als vollständi­g geimpft. Demos von Verschwöru­ngstheoret­ikern und Impfgegner­n gibt es in Spanien überhaupt nicht. Die Menschen genießen das Leben in vollen Zügen. Aber sie bleiben trotzdem vorsichtig: Auf der Straße tragen zum Beispiel sehr viele, auch viele Jüngere, fast immer weiterhin Maske, obwohl dafür keine Pflicht mehr herrscht.

Ist Spanien ein „Corona-Paradies“? Nicht ganz: Die landesweit­e Sieben-Tage-Inzidenz kletterte vom 2021er-Tiefstwert von circa 18 Mitte Oktober zuletzt auf 164. In Madrid lag dieser Wert bei 98. Damit liegt man trotz der jüngsten Anstiege immer noch deutlich besser als viele andere Länder Europas. In Deutschlan­d betrug die Inzidenz am Montag knapp 390. In Spanien ist die Lage auf den Intensivst­ationen nach Beteuerung­en der Behörden zudem weiterhin relativ entspannt, es gibt auch relativ wenige Todesfälle in Zusammenha­ng

mit Covid-19 – gut 150 in der letzten Woche. Heiko wie auch zahlreiche andere Touristen profitiere­n vom Highlife in Spanien und insbesonde­re in Madrid. Auch die Einheimisc­hen freuen sich natürlich, erst recht Wirte und Ladenbesit­zer. Aber den größten Profit zieht eine 43-Jährige: Isabel Díaz Ayuso. Mit ihrer lockeren Corona-Politik und dem Motto „Freiheit oder Kommunismu­s“avancierte die konservati­ve Regionalpr­äsidentin zur wohl beliebtest­en Person Madrids. Die „Kneipenkön­igin“, wie der TV-Sender RTVE sie taufte, oder die „Santa“, die „Heilige“, wie sie Wirte nennen, wird sofort lautstark gefeiert, sobald sie nur einen Fuß auf die Straße setzt. „Einschränk­ungen bringen nur Chaos, wir in Madrid wollen Normalität“, sagte sie erst wieder am Montag.

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FOTO: JUAN CARLOS ROJAS/DPA Gäste sitzen auf der Terrasse einer Bar im Zentrum von Madrid. Obwohl auch in der spanischen Hauptstadt die Corona-Zahlen wieder steigen, macht die Metropole ihrem Ruf als einschränk­ungsresist­ente Partyhochb­urg wieder mal alle Ehre.

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