Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Sehnsuchtslandschaft Bodensee
Eine Ausstellung im Friedrichshafener Zeppelin Museum beleuchtet die vielfältigen Beziehungen zwischen Kunst und Literatur
FRIEDRICHSHAFEN - Der Bodensee ist eine Sehnsuchtslandschaft. Viele Künstler und Schriftsteller hat er angezogen. Aber weil Sehnsüchte mit Wunschphantasien aufgeladen sind, suchten die meisten auf lange Sicht wieder das Weite. Auch, weil am ländlich geprägten See die Großstädte fehlten, deren Verdienstmöglichkeiten Maler und Autoren fürs Überleben brauchten. Freilich, in den 1930er-Jahren war der See auch ein Fluchtort für die Verfemten, gerade weil die von den Nazis überwachten Metropolen fern waren. An den See gezogen und auch geblieben waren letztlich jedoch nur Ernst Jünger und Otto Dix – wobei Dix gern und viel auf die See-Idylle schimpfte, die ihn festhielt.
Aber da ist noch eine Dritte: Annette von Droste-Hülshoff. Mit ihr beginnt die Ausstellung „Beziehungsstatus: offen. Kunst und Literatur am Bodensee“im Zeppelin Museum in Friedrichshafen. Anhand von 240 Exponaten zeigt sie nicht nur, welche Vertreter beider Gattungen sich am See eingefunden haben. Den Kuratoren Charlotte Ickler und Mark Niehoff geht es darum, die Schnittstellen zwischen Künstlern und Schriftstellern aufzuzeigen. Im Fall von Droste-Hülshoff belegen das ihre feinen Scherenschnitte: Die Lyrikerin, die sich am See von ihrer Familie emanzipierte, war eine künstlerische Doppelbegabung. Ebenso Hermann Hesse, der sich das Malen selbst beibrachte und eben nicht nur zahllose Motive aus Montagnola hinterließ, wohin er sich ab 1919 zurückzog, sondern auch einige wenige Blätter vom Bodensee, wo er von 1904 bis 1912 auf der Höri wohnte, der späteren „Künstler-Insel“.
„Beziehungsstatus: offen“– dieser Titel deutet an, dass der Bodensee für die meisten Kreativen eine Zwischenstation blieb. Aber auch, dass sie untereinander manchmal nur vage Bekanntschaften pflegten, wie Dix und „Brücke“-Künstler Erich Heckel, die einander auf der Höri zwar porträtierten, aber nie Freunde wurden. Der Titel nimmt ebenso das Flüchtige von Künstlergemeinschaften auf, die sich am See gründeten, etwa die Vereinigung „Der Kreis“. Der Schriftsteller Norbert Jacques („Dr. Mabuse“) und sein Schwager, der Maler Karl Einhart, gründeten sie 1925 in Lindau, um Künstlern durch Gruppenausstellungen einen besseren Absatzmarkt zu schaffen. Dass von der Kunst nur schlecht zu leben war, zeigt die 1923 in Überlingen gegründete Künstlerkolonie Rehmenhalde. Wegen der leeren Taschen ihrer Bewohner hieß die Halde im Volksmund nur „Hungerhügel“.
Sehr idealistisch war der 1918 gegründete Uracher Kreis, der anarchistische Ideen propagierte. Mitglied war auch ein gewisser Johannes R. Becher, der später Kulturminister der DDR wurde. Geistig blieb Becher dem Bodensee verbunden, denn 1953 widmete er dem toten Diktator Stalin ein holperiges Trauergedicht: „Dort wirst Du, Stalin, stehn, in voller Blüte / Der Apfelbäume an dem Bodensee“.
Glücklicherweise hat Martin Walser zusammen mit dem Maler André Ficus die Text- und Gemälde-Bücher
„Heimatlob“und „Amerikareise“herausgebracht. Sonst hätte ausgerechnet Walser aufgrund ihres Konzepts in der Ausstellung glatt gefehlt; wenngleich seine Tagebücher ja manche künstlerische Krakelei enthalten. Ficus seinerseits ist auch als Porträtist von Ernst Jünger präsent. Ende der 1960er-Jahre malte er den umstrittenen Autor der „Stahlgewitter“in einem blauen Gewande, das ihn halb mönchisch, halb militärisch erscheinen lässt. Anders als Jünger, der die Bodenseelandschaft in seine
Novelle „Auf den Marmorklippen“(1939) aufnahm, wurde Ficus, der gebürtige Berliner, mit Friedrichshafen nie richtig warm.
Inhaltlich bewältigt die Ausstellung eine große Fülle von Disparatem. Das betrifft Lebenswege ebenso wie künstlerische Programme. Gerade weil der Bodensee seit von DrosteHülshoff so viele Künstler und Literaten zu sehr verschiedenen Zeiten beherbergte, bleiben die einzelnen Stationen notgedrungen Stippvisiten. Etwa bei der langjährigen Brieffreundschaft zwischen Rainer Maria Rilke und der Künstlerin Mathilde Vollmoeller-Purrmann, der Ehefrau von Hans Purrmann, der die Sommer bis 1935 malend in Langenargen verbrachte. Und allein schon was große Geister hervorbrachten, während sie im Sanatorium Bellevue in Kreuzlingen ihre ramponierten Nerven behandeln ließen – darunter Ernst Ludwig Kirchner, Aby Warburg, Henry van der Velde – würde eine eigene Ausstellung rechtfertigen.
Manchmal wird der rote Faden dünn. Denn eine Ausstellung, die zeigen will, wie Literatur und Kunst am Bodensee einander gegenseitig beeinflussen, müsste in eine Tiefe gehen, die einen umfangreichen begleitenden Katalog notwendig machen würde. Wie sich eine zwanzigjährige Künstlerfreundschaft wie die zwischen Hermann Hesse und dem Maler Hans Purrmann niederschlug, lässt sich in Kürze nicht darstellen. Umgekehrt bleibt manches Verhältnis zwischen Malern und Schriftstellern ungeklärt. Gab es etwa eine echte Verbindung zwischen Otto Dix und dem rechtslastigen Konstanzer Schriftsteller Wilhelm von Scholz? Das geht aus Dix’ Gemälde des stattlich thronenden Scholz nicht hervor.
Wenn auch ein vertiefender Ausstellungskatalog fehlt, gibt es doch Gelegenheit, sich zu informieren. Die Ausstellung umfasst einen Lesesaal mit Wohnzimmeratmosphäre. Gerade aber weil sie vieles nur andeuten kann, ist die Ausstellung auch sehr kurzweilig. Wer mit Kunst und Literatur am See bislang nicht vertraut war, bekommt einen guten Überblick. Den liefern sowohl die bündigen Ausstellungstexte als auch die präsentierten Kunstwerke und Texte. Viele liegen im handschriftlichen Original vor, andere zusätzlich als Audiodatei.
Die Ausstellung wird am Donnerstag, 16. Dezember, von 17 bis 20 Uhr eröffnet. Zu sehen bis 24. April 2022, jeweils Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr. Der einmalige Kauf einer Eintrittskarte berechtigt zum zehnmaligen Besuch der Ausstellung.