Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
„Darts ist etabliert wie Biathlon“
Deutschlands Topspieler Gabriel Clemens über die WM und eine mögliche Weltmeisterin
RAVENSBURG - Die Pfeile fliegen wieder und der erste Weltmeister des Jahres wird gesucht: Von diesem Mittwoch bis zum 3. Januar trifft sich die Dartselite im Londoner Alexandra Palace, genannt Ally Pally, und gleich vier Deutsche sind unter den 96 Teilnehmern. Gabriel Clemens (38) ist als Nummer 25 der Welt der deutsche Topspieler. Felix Alex hat vor dem Auftakt mit dem unaufgeregten Saarländer gesprochen.
Herr Clemens, eigentlich wollte die „Schwäbische Zeitung“– so hatten wir es vor einem halben Jahr versprochen – mit Ihnen mehrere Wochen vor der Darts-Weltmeisterschaft sprechen, da Sie aktuell sehr gefragt sind. Nun ist es wieder recht knapp geworden, wir bitten vielmals um Entschuldigung.
Alles gut, mein Plan ist es, am 19. oder 20. Dezember nach London rüberzufliegen. Aber so weit ist es ja noch nicht, ich kann der „Schwäbischen“also verzeihen. (lacht)
Sie haben im Gegensatz zu anderen Akteuren noch etwas Ruhe. Als Nummer 25 der Welt steigen Sie erst in der nächsten Woche ein, ist die Vorbereitung auf das Saisonhighlight eigentlich besonders intensiv?
Ich mache gar nichts anders als sonst. Natürlich ist das das größte Turnier des Jahres, aber ich gehe es genauso an wie alle anderen Turniere. Man muss einfach sein Spiel an die Scheibe bekommen, dann sind die Chancen am größten. Ich trainiere ohnehin relativ viel und habe mein Pensum daher auch nicht extra hochgeschraubt. Vier bis fünf Stunden stehe ich täglich am Board. Das sind ja auch Routinen, die man am besten beibehält.
Das klingt relativ monoton, fünf Stunden alleine Pfeile auf eine Scheibe zu werfen.
Es gibt ja verschiedene Trainingsspiele. Auch online ist das möglich, das hat sich vor allem jetzt in Pandemiezeiten so entwickelt. Wir haben so ein Gerät, bei dem man normal gegeneinander spielt, auch wenn man seinen Gegner dabei nicht sieht. So spiele ich seit etwa einem Jahr und auch öfter mit Flo Hempel zusammen.
Florian Hempel gehört ebenfalls zu den deutschen WM-Startern. Mit ihm scheinen Sie besonders gut zu können.
Wir haben uns auf der Tour kennengelernt und hatten direkt einen guten Draht zueinander. Wir sind ja generell viel in Hotels unterwegs und teilen uns dann ein Taxi oder ähnliches.
Hempel war vorher Handballer, Weltmeister Gerwyn Price professioneller Rugbyspieler. Hilft so eine Erstkarriere, um mit dem Druck vor den Zuschauern besser umzugehen?
Das kann mit Sicherheit ein Vorteil sein, allerdings weiß ich auch nicht, vor wie vielen Zuschauern man Handball in der zweiten Liga spielt. (lacht) Aber es schadet sicherlich nicht, um das Gefühl der großen Bühne zu kennen. Aber auch bei uns anderen ist es ja so, dass man einfach rausgeht und spielt, da darf man sich nicht zu viele Gedanken machen. Allerdings kann das Ally Pall und die größte Bühne des Sport beim ersten Mal schon beinahe erdrückend sein.
Ihre Bekanntheit dürfte sich nach dem Galaauftritt vor einem Jahr erhöht haben oder?
Man hatte im vergangenen Jahr ja meistens die Maske auf und da wurde man weniger angesprochen. (lacht) Dennoch ist es ja auch schön, wenn man erkannt wird und jemand ein Foto möchte.
Weniger schön ist das Thema Hass und Anfeindung im Netz, da mussten Sie auch eigene Erfahrungen machen und haben Sie sich kürzlich klar positioniert.
Das kommt mittlerweile leider in allen Sportarten vor. Das sind meiner Meinung wohl oft Leute, die auf unsere Spiele gewettet und verloren haben. Dann sind sie nicht ganz so erfreut und schreiben mächtigen Blödsinn. Ich fühle mich davon allerdings nicht wirklich bedroht und versuche, es nicht an mich heranzulassen. Aber ich wollte auch mal klarstellen, dass auch im Darts nicht alles wunderschön ist.
Kommen wir zum Sportlichen. Vier deutsche Teilnehmer, Sie als klare Nummer 1, und mit Fabian Schmutzler ein 16-Jähriger, der aus dem Nichts das Ticket buchte. Unser starkes Team ist gut für
Deutschland. Aber es ist natürlich schade, dass Martin Schindler und Florian Hempel direkt gegeneinander spielen. Das hätte niemand gebraucht. Wir reisen viel zusammen und da ist es ein komisches Gefühl, gegeneinander zu spielen. Für Darts-Deutschland ist es in dem Sinne gut, dass wenigstens einer weiterkommt. Und das mit Fabian ist natürlich eine tolle Nummer. Ich kannte ihn bislang gar nicht, hab es dann gelesen und ihm sofort geschrieben und gratuliert.
Sollte er die erste Runde überstehen, muss er gegen Ihren Lieblingsgegner, Ex-Weltmeister Peter Wright, ran. Da wären dann sicher ein paar Tipps fällig.
Ich weiß ja nicht, ob ihm diese Tipps helfen würden. (lacht) Man sollte sich sowieso nicht zu viel Gedanken über den Gegner machen, sondern einfach selber gut spielen. Er als 16-Jähriger sollte es einfach nur genießen und Spaß haben und nicht daran denken, wer vielleicht in der nächsten Runde warten könnte. Zum anderen Thema: Was heißt denn bitte Lieblingsgegner? Ich habe eine recht gute Bilanz gegen Peter, aber es ist immer ein sehr, sehr hartes Stück Arbeit gegen ihn. Wenn Peter Wright gut spielt, kann er jeden schlagen und da macht er sich keine besonderen Gedanken, dass da ein Gabriel Clemens kommt.
Wo wir schon bei Ex-Weltmeistern sind: Wohl vor keiner WM war das Favoritenfeld so breit. Gefühlt traut man über zehn Spielern den Titel zu, oder?
Die üblichen Namen werden ja immer genannt, aber es gibt aktuell schon sehr viele Spieler aus der vermeintlichen zweiten Reihe, die an guten Tagen jeden schlagen können und weit kommen könnten. Es sind sicherlich 15 Spieler, die von der Form her Weltmeister werden könnten.
Oder Weltmeisterin. Fallon Sherrock hat zuletzt einen unfassbaren Average (Dreidarts-Durchschnitt; d. Red.) auf der TV-Bühne gezeigt und unter anderem Sie besiegt. Kann sich die „Queen of the Palace“wirklich die Krone aufsetzen? Sie spielt richtig gut und hat das auch schon bei der WM bewiesen. Mich überrascht im Darts mittlerweile nur noch recht wenig. Man sieht doch immer wieder, was passiert, wenn Spieler einen Lauf haben.
Bejubelt werden dürfte sie auf jeden Fall von den Fans. Eine ungewöhnliche Vorstellung: Während in Deutschland die vierte CoronaWelle grassiert, werden in London stand jetzt 3000 Zuschauer toben. In England sind die Regeln ja noch etwas anders und aktuell sieht es so aus, als würde man im vollen Ally Pally spielen. Man freut sich auch darauf, ein bisschen Normalität zu genießen. Die Situation hier bedrückt ja schon. Allerdings ist es für uns ja keine Party, da gibt ja auch Schöneres, als vier Wochen durchgängig im Hotel zu sein.
Zum Abschluss noch ein Thema, das verschwunden scheint. Die Worte Kneipen- oder Spaßsport hören Sie in Gesprächen immer weniger, oder?
Vom Gefühl her ist Darts mittlerweile eine etablierte Sportart wie Skispringen oder Biathlon. Die Berichte werden immer sportlicher und die Menschen freuen sich einfach auf die WM im Dezember. Es kommt aber immer darauf an, mit wem man spricht oder welche Medien anfragen. Die „Schwäbische Zeitung“ist da natürlich immer sehr seriös (lächelt).