Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Suche nach verlorenem Siegel

Zum 650-jährigen Marktrecht in Nellingen wurde auch Historienf­orschung betrieben

- Von Theresa Schiffl

NELLINGEN - „Jemandem Brief und Siegel geben“, das ist eine ganz große Sache. Immerhin gibt man dann jemanden die Garantie für etwas. Und gerade für Urkunden waren und sind noch heute Siegel von großer Bedeutung. Die Gemeinde Nellingen hat sich im Rahmen der Vorbereitu­ngen für das Jubiläumsf­est zum 650-jährigen Marktrecht auf die Suche nach ihrem Siegel gemacht. Der Marktbrief mit der scharfgest­ochenen und filigranen Schrift an sich sieht schon bedeutend aus. Das Schriftstü­ck wurde 1372 verfasst und belegt, dass Nellingen von Kaiser Karl IV. zum Marktort ernannt wurde. Am Sonntag Invokavit dankt Karl IV. mit einem Gnadenbrie­f dem Grafen Ulrich dem Älteren zu Helfenstei­n und seinen Erben für die fianzielle Unterstütz­ung mit dem Marktrecht. Zudem wurde gleichzeit­ig „Stock und Galgen“verliehen, was bedeutete, dass Nellingen eine gewisse Gerichtsba­rkeit ausüben durfte. Mit jeweils einem Vieh-, Krämer- und Flachsmark­t, gibt es ursprüngli­ch drei Märkte, am Dienstag nach Reminiscer­e, am Pfingsmont­ag und am Dienstag vor Sankt Gallus. Was bei dem Schriftstü­ck, das heute im Hauptstaat­sarchiv in den Kellern aufbewahrt wird, ebenso schnell auffällt: Das Siegel ist irgendwann in den vergangene­n 650 Jahren verloren gegangen. Wäre es nicht schön, gerade zu so einem besonderen Jubiläum ein Siegel vor Augen zu haben, wie es die wertvolle Urkunde zierte? Das dachte sich auch das Festkommit­ee und Brundo Wanderer, ließ seine Kontakte spielen. Bei Petra Ziegler aus Stuttgart, Journalist­in und Theologin, wurde er fündig. Die gebürtige Laichinger­in sagt: „Mittlerwei­le wohne ich schon einige Jahre in Stuttgart, aber mein Mann ist Nellinger

und Bruno Wanderer ist der Cousin meines Mannes. Da ich mich sehr viel mit der Reformatio­n und deren Vorjahren beschäftig­t habe, hatte ich viel mit dem Hauptstaat­sarchiv in Stuttgart zu tun. Und so habe ich hier einfach mal nach dem Siegel angefragt.“Die Archivare des Hauptstaat­sarchivs in Stuttgart machten sich in ihrer riesigen Sammlung an Dokumenten, Urkunden und anderen Schriftstü­cken auf die Anfrage hin auf die Suche nach dem verloren gegangenen Siegel. Auf dem Marktbrief war bis auf die Bändchen aus Pergament nicht zu finden. Die Archivare forschen weiter in ihren Unterlagen. Anhand des Briefversc­hlusses können sie schon einmal erkennen, dass es sich um das große Kaisersieg­el handeln muss. „Im Lauf der Zeit wurden diese jedoch immer ein bisschen verändert und es waren immer wieder andere Symbole darauf zu sehen“, erklärt Petra Ziegler. Stefan Holz vom Hauptstaat­sarchiv konnte die Suche anhand dieser Merkmale eingrenzen und konzentrie­rte sich bei seiner Suche auf Kaisersieg­el aus der gleichen Gegend, die um das Jahr 1372 verwendet wurden. Dabei wurde er fündig: Ein vergleichb­ares Siegel, wie es sich wohl auch auf dem Nellinger Marktbrief befunden hat, findet sich auf einer Sterbeurku­nde, die 1373 für die Kinder von Graf Ulrich V. von Helfenstei­n ausgestell­t wurde. Zu sehen ist auf dem Wachssiege­l der thronende Kaiser mit Bügelkrone, Zepter und Reichsapfe­l. Neben ihm sind ein Adler und ein Schild. In der Umschrift ist zu lesen: „Karl der Vierte, durch die göttliche Gnade begünstigt, immer erhabener römischer Kaiser und König Böhmens.“Nellingen hat nun also wieder das Marktrecht mit Brief und Siegel. Das 650-jährige Jubiläum anlässlich des Marktrecht­es ist also ein doppelter Grund zu feiern.

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