Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Mann landet nach einem Schlag im Gleisbett
Er kann sich zwischen Bahnsteig und Zug retten – Verhandlung am Ehinger Amtsgericht
EHINGEN - Es geschah fast genau vor einem Jahr am Bahnhof in Ehingen: Bei einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen zwei jungen Männern landete einer der beiden im Gleisbett zwischen Zug und Bahnsteig. Der Zug rollte bereits, doch der Gestürzte hatte Glück: Er schaffte es selbst wieder auf den Bahnsteig hinauf. Das Strafverfahren gegen seinen Kontrahenten wegen Körperverletzung beschäftigte jetzt Richterin Katja Meyer am Amtsgericht Ehingen.
Es war Anfang August 2021. Sowohl der Angeklagte war in Ulm zum Einkaufen wie auch getrennt davon der Geschädigte und sein Freund. Beide Parteien begegneten sich im Zug auf der Rückfahrt Richtung Ehingen. Man kannte sich schon vom Sehen und in der Zeit davor gab es bereits Provokationen und „komische Blicke“, wie die Beteiligten schilderten. So auch wieder auf der Zugfahrt.Zumindest nahmen die beiden Freunde „komische“, „böse“beziehungsweise „aggressive“Blicke des Angeklagten wahr.
Nach dem Aussteigen in Ehingen wollten sie ihn darauf ansprechen, um es einmal zu klären, schilderten sie vor Gericht. Doch der Angeklagte sei aggressiv geworden, hätte den einen von beiden nach einem Wortwechsel geschubst und kurz darauf mit der Faust auf die Stirn geschlagen. Benommen sei dieser zwischen Zug und Bahnsteig gefallen, habe sich aber blutüberströmt wieder nach oben befreien können und habe dann versucht, den Angeklagten zu verfolgen. Dieser war aber bereits fortgerannt. Die Polizei war kurz darauf vor Ort. Sie wurde von einem Bahn-Mitarbeiter alarmiert. Er hatte beobachtet, dass es zu einer Rangelei gekommen ist und auch den Sturz auf das Gleisbett hatte er gesehen. „Die Lücke zwischen Zug und
Bahngleis ist 30 bis 50 Zentimeter breit“, erklärte er. Der Gestürzte hätte „einfach Glück gehabt, dass es so glimpflich abgelaufen ist“, sagt er. Wenn jener nicht so schlank gewesen wäre, hätte er es wohl nicht überlebt, so der Bahnbedienstete. Ob er den Angeklagten damals erkannt hat, fragte ihn Richterin Meyer, doch das konnte er nicht mehr sagen.
Zwischen den Aussagen des Angeklagten und der beiden Freunde gab es manche Abweichungen, die sich während der Verhandlung nicht voll und ganz auflösen ließen. Zwar konnte vor Gericht durch Videoaufnahmen aus dem Zug geklärt werden, wer zuerst aus dem Zug ausgestiegen war. Doch schilderte der Angeklagte etwa, dass die Anderen ihn angegriffen hätten, dass sie eine Tasche beziehungsweise Jacke auf ihn geworfen hätten. Dass man nach seinem Handy gekickt hätte. Außerdem seien da noch weitere Leute gewesen, die geschubst hätten. Er jedenfalls sei etwas vom Bahngleis entfernt gestanden, so der Angeklagte. „Ich habe ihn zu hundert Prozent nicht auf die Gleise runtergeschubst“, beteuerte er. Der Geschädigte hingegen schilderte, dass die Aggressivität vom Angeklagten ausgegangen sei. Diese habe ihn angegriffen. Nach einem Schubser habe er den Faustschlag auf der Stirn gespürt. „Dann war ich weg. Ich bin erst wieder zu Bewusstsein gekommen, als ich da lag und der Zug losgefahren ist. Ich hatte nur im Kopf: Ich muss da raus.“Der Richterin legte er eine Liste des Arztes mit seinen Verletzungen vor, darunter ein Schnitt an der Augenbraue, Prellungen und Schürfwunden am ganzen Körper. Über den Angeklagten höre man in der Stadt schlechte Sachen, erklärte er.
Sein Freund, auf den die „bösen Blicke“des Angeklagten gerichtet gewesen sein sollen, beschrieb einerseits eine Rangelei - Arm in Arm - , bevor es zum Schlag gekommen sein soll, andererseits schilderte er, dass der Schlag direkt auf einen Schubser folgte. Außerdem soll sich die Auseinandersetzung zwei bis drei Meter vom Zug entfernt zugetragen haben. Die Richterin wie auch die Staatsanwältin versuchten zu klären, wie der Geschädigte aus dieser Entfernung auf das Gleis gelangen konnte.
Am Ende reichte es nicht aus für eine Verurteilung, es konnte nicht mit Sicherheit geklärt werden, wie es sich genau zugetragen hat. „Sie haben aber immer Ihre Finger mit drin“, sagte die Staatsanwältin zum Angeklagten. Und die Richterin setzte nach: „Am Ende sind die Anderen die Verletzten.“Denn es ist nicht das erste Verfahren wegen Körperverletzung gegen den 19-Jährigen. In einem vorhergehenden Verfahren wurde bereits ein Anti-Aggressivitäts-Training angeordnet.
„Das ist bei Ihnen auch geboten“, betonte Richterin Meyer. Der Angeklagte habe einen gewissen Ruf in Ehingen, sie warnte ihn mit Blick in die Zukunft. „Sie müssen dringend an Ihrem Sozialverhalten arbeiten“, gab sie ihm mit auf den Weg. Im Hinblick darauf, dass der Angeklagte ohnehin an einem Anti-Aggressivitäs-Training teilnehmen muss, wurde das Verfahren eingestellt. Die Kosten des Verfahren trägt die Staatskasse.