Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Mann landet nach einem Schlag im Gleisbett

Er kann sich zwischen Bahnsteig und Zug retten – Verhandlun­g am Ehinger Amtsgerich­t

- Von Dominik Prandl

EHINGEN - Es geschah fast genau vor einem Jahr am Bahnhof in Ehingen: Bei einer körperlich­en Auseinande­rsetzung zwischen zwei jungen Männern landete einer der beiden im Gleisbett zwischen Zug und Bahnsteig. Der Zug rollte bereits, doch der Gestürzte hatte Glück: Er schaffte es selbst wieder auf den Bahnsteig hinauf. Das Strafverfa­hren gegen seinen Kontrahent­en wegen Körperverl­etzung beschäftig­te jetzt Richterin Katja Meyer am Amtsgerich­t Ehingen.

Es war Anfang August 2021. Sowohl der Angeklagte war in Ulm zum Einkaufen wie auch getrennt davon der Geschädigt­e und sein Freund. Beide Parteien begegneten sich im Zug auf der Rückfahrt Richtung Ehingen. Man kannte sich schon vom Sehen und in der Zeit davor gab es bereits Provokatio­nen und „komische Blicke“, wie die Beteiligte­n schilderte­n. So auch wieder auf der Zugfahrt.Zumindest nahmen die beiden Freunde „komische“, „böse“beziehungs­weise „aggressive“Blicke des Angeklagte­n wahr.

Nach dem Aussteigen in Ehingen wollten sie ihn darauf ansprechen, um es einmal zu klären, schilderte­n sie vor Gericht. Doch der Angeklagte sei aggressiv geworden, hätte den einen von beiden nach einem Wortwechse­l geschubst und kurz darauf mit der Faust auf die Stirn geschlagen. Benommen sei dieser zwischen Zug und Bahnsteig gefallen, habe sich aber blutüberst­römt wieder nach oben befreien können und habe dann versucht, den Angeklagte­n zu verfolgen. Dieser war aber bereits fortgerann­t. Die Polizei war kurz darauf vor Ort. Sie wurde von einem Bahn-Mitarbeite­r alarmiert. Er hatte beobachtet, dass es zu einer Rangelei gekommen ist und auch den Sturz auf das Gleisbett hatte er gesehen. „Die Lücke zwischen Zug und

Bahngleis ist 30 bis 50 Zentimeter breit“, erklärte er. Der Gestürzte hätte „einfach Glück gehabt, dass es so glimpflich abgelaufen ist“, sagt er. Wenn jener nicht so schlank gewesen wäre, hätte er es wohl nicht überlebt, so der Bahnbedien­stete. Ob er den Angeklagte­n damals erkannt hat, fragte ihn Richterin Meyer, doch das konnte er nicht mehr sagen.

Zwischen den Aussagen des Angeklagte­n und der beiden Freunde gab es manche Abweichung­en, die sich während der Verhandlun­g nicht voll und ganz auflösen ließen. Zwar konnte vor Gericht durch Videoaufna­hmen aus dem Zug geklärt werden, wer zuerst aus dem Zug ausgestieg­en war. Doch schilderte der Angeklagte etwa, dass die Anderen ihn angegriffe­n hätten, dass sie eine Tasche beziehungs­weise Jacke auf ihn geworfen hätten. Dass man nach seinem Handy gekickt hätte. Außerdem seien da noch weitere Leute gewesen, die geschubst hätten. Er jedenfalls sei etwas vom Bahngleis entfernt gestanden, so der Angeklagte. „Ich habe ihn zu hundert Prozent nicht auf die Gleise runtergesc­hubst“, beteuerte er. Der Geschädigt­e hingegen schilderte, dass die Aggressivi­tät vom Angeklagte­n ausgegange­n sei. Diese habe ihn angegriffe­n. Nach einem Schubser habe er den Faustschla­g auf der Stirn gespürt. „Dann war ich weg. Ich bin erst wieder zu Bewusstsei­n gekommen, als ich da lag und der Zug losgefahre­n ist. Ich hatte nur im Kopf: Ich muss da raus.“Der Richterin legte er eine Liste des Arztes mit seinen Verletzung­en vor, darunter ein Schnitt an der Augenbraue, Prellungen und Schürfwund­en am ganzen Körper. Über den Angeklagte­n höre man in der Stadt schlechte Sachen, erklärte er.

Sein Freund, auf den die „bösen Blicke“des Angeklagte­n gerichtet gewesen sein sollen, beschrieb einerseits eine Rangelei - Arm in Arm - , bevor es zum Schlag gekommen sein soll, anderersei­ts schilderte er, dass der Schlag direkt auf einen Schubser folgte. Außerdem soll sich die Auseinande­rsetzung zwei bis drei Meter vom Zug entfernt zugetragen haben. Die Richterin wie auch die Staatsanwä­ltin versuchten zu klären, wie der Geschädigt­e aus dieser Entfernung auf das Gleis gelangen konnte.

Am Ende reichte es nicht aus für eine Verurteilu­ng, es konnte nicht mit Sicherheit geklärt werden, wie es sich genau zugetragen hat. „Sie haben aber immer Ihre Finger mit drin“, sagte die Staatsanwä­ltin zum Angeklagte­n. Und die Richterin setzte nach: „Am Ende sind die Anderen die Verletzten.“Denn es ist nicht das erste Verfahren wegen Körperverl­etzung gegen den 19-Jährigen. In einem vorhergehe­nden Verfahren wurde bereits ein Anti-Aggressivi­täts-Training angeordnet.

„Das ist bei Ihnen auch geboten“, betonte Richterin Meyer. Der Angeklagte habe einen gewissen Ruf in Ehingen, sie warnte ihn mit Blick in die Zukunft. „Sie müssen dringend an Ihrem Sozialverh­alten arbeiten“, gab sie ihm mit auf den Weg. Im Hinblick darauf, dass der Angeklagte ohnehin an einem Anti-Aggressivi­täs-Training teilnehmen muss, wurde das Verfahren eingestell­t. Die Kosten des Verfahren trägt die Staatskass­e.

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FOTO: IMAGO/EMIL UMDORF Zu einer handfesten Auseinande­rsetzung ist es am Ehinger Bahnhof gekommen.

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