Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
„Ich war immer Pfarrer“
16 Jahre lang war Ernst-Wilhelm Gohl Dekan in Ulm – Nun wird er Landesbischof
ULM - Am kommenden Sonntag wird Ernst-Wilhelm Gohl in der Stuttgarter Stiftskirche in sein Amt als neuer evangelischer Landesbischof von Württemberg eingeführt. Seine Zeit als Dekan endet aber nicht mit dem Stadtfeiertag, es folgen noch zwei Sitzungen. Das passe eigentlich ganz gut, findet Gohl: „Ich bin ein Freund der Nüchternheit.“Doch komplett nüchtern blickt der 59-Jährige nicht zurück und auch nicht nach vorne. „Ich war noch nie in meinem Leben an einem Ort so lange wie in Ulm“, erzählt er. Es war eine Zeit, in der sich viel getan hat.
16 Jahre lang war Gohl evangelischer Dekan in Ulm. Die Menschen, sagt er, würden ihm am meisten fehlen. Der Geistliche spart nicht mit Komplimenten für sie: freundlich, zugewandt, kompetent. Dass Ulm so ist, liege auch am Münster: „Es macht einen Unterschied, ob in der Mitte der Stadt eine Kirche ist oder eine Burg.“
Bevor Gohl an die Donau kam, war er erst Vikar in Böblingen und dann Pfarrer in Plochingen. Als Dekan war der 59-Jährige in gewisser Weise auch Manager des evangelischen Kirchenbezirks Ulm, zu dem neben der Großstadt viele Gemeinden auf der Schwäbischen Alb gehören. Doch er betont: „Ich war immer Pfarrer.“Seelsorgerische Tätigkeiten hat der gebürtige Stuttgarter anders als andere Dekane nie abgegeben. „Das hat mir gutgetan“, sagt er.
Am 19. März wurde Gohl von der Landessynode zum neuen Landesbischof gewählt, im fünften Wahlgang. „In Württemberg ist das nie ein einfacher Weg“, sagt Gohl. In der Vergangenheit hatte es teilweise noch deutlich mehr Anläufe gebraucht. Hätte sich ein anderer oder eine andere durchgesetzt, wäre der scheidende Dekan nicht traurig gewesen: „Ich bin gern in Ulm.“In Erinnerung bleiben ihm viele Gespräche, Angebote wie die Vesperkirche und vermeintlich kleine Augenblicke. Etwa bei Beerdigungen, wenn Angehörige einen Menschen viele Jahre lang gepflegt haben. In Erinnerung bleiben ihm aber auch Momente wie das
Münsterturmjubiläum 2015 oder der Ostersonntag 2009: An diesem Tag erklangen die mithilfe von Spenden instand gesetzten Münsterglocken wieder, zum ersten Mal in Gohls Ulmer Zeit. „Das Läuten höre ich noch heute“, sagt er. Nun wird seine Arbeit eine andere. Große, konkrete Ziele hat sich der Geistliche noch nicht gesetzt. „Wenn du an einem neuen Ort ankommst, musst du erst einmal zuhören und ein Bild der Zusammenhänge bekommen.“Das Ehepaar plant, im Oktober umzuziehen. Gabriele Gohl ist Apothekerin und will in der Landeshauptstadt eine neue Stelle antreten, die beiden erwachsenen Kinder studieren in anderen Städten.
Als Ulmer Dekan hat Gohl die großen Zusammenhänge im Blick gehabt. Er hat sich zu gesellschaftlichen Fragen positioniert und dafür auch Kritik eingesteckt. Bei der Debatte um den Mohren in der Münsterkrippe war sie besonders heftig. „Gegen Emotionen hast du mit Argumenten
keine Chance“, meint Gohl. Ihm ist es wichtig, andere Sichtweisen zu respektieren – und sich zu entschuldigen, wenn er selbst zu hitzig war. Der designierte Landesbischof findet: „Auch wenn du nichts sagst, nimmst du Stellung.“
Wenn der Moskauer Patriarch Kyrill den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine mit der Bibel rechtfertige, müsse er als Pfarrer widersprechen. Wenn eine Impfung helfe, die Corona-Pandemie zu überstehen, dann könne die Kirche unterstützen. Mit der niedrigschwelligen Impfaktion im Münster habe man viele Arme erreicht, für die eine Anmeldung schon eine schwer überwindbare Hürde gewesen wäre. Überhaupt, niedrigschwellig: Das ist Gohls Idee von der Kirche. Beim Tauffest kann jeder einfach so kommen – die Kirche muss in seiner Vorstellung auf die Menschen zukommen.
Dass viele aus der Kirche austreten, liege zum einen am gesellschaftlichen Wandel. Zum anderen aber an Fehlern im Umgang mit den Gläubigen – und am Umgang mit dem Thema Missbrauch: „Es ist entscheidend, dass die Opfer zu ihrem Recht kommen.“
Der 59-Jährige ist verwurzelt im Gemeindeleben, und nicht nur das. Die Ökumene ist ihm wichtig, mit dem katholischen Ulmer Dekan Ulrich Kloos verbindet ihn eine persönliche Freundschaft. Themen aller Religionsgemeinschaften werden im Rat der Religionen besprochen. Rabbiner Shneur Trebnik ist voller Lob. „Es ist schade, dass er geht. Aber es wird gut weitergehen, da bin ich sicher.“Wie genau? Zunächst mit einer Vakanz, bis ein neuer Dekan oder eine neue Dekanin gefunden ist.
Zwei Ulmer Termine stehen für den neuen Landesbischof schon fest: der Tag der Württembergischen Pfarrerinnen und Pfarrer am 10. Oktober und der Landesposaunentag am 24. und 25. Juni 2023.