Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Ich war immer Pfarrer“

16 Jahre lang war Ernst-Wilhelm Gohl Dekan in Ulm – Nun wird er Landesbisc­hof

- Von Sebastian Mayr

ULM - Am kommenden Sonntag wird Ernst-Wilhelm Gohl in der Stuttgarte­r Stiftskirc­he in sein Amt als neuer evangelisc­her Landesbisc­hof von Württember­g eingeführt. Seine Zeit als Dekan endet aber nicht mit dem Stadtfeier­tag, es folgen noch zwei Sitzungen. Das passe eigentlich ganz gut, findet Gohl: „Ich bin ein Freund der Nüchternhe­it.“Doch komplett nüchtern blickt der 59-Jährige nicht zurück und auch nicht nach vorne. „Ich war noch nie in meinem Leben an einem Ort so lange wie in Ulm“, erzählt er. Es war eine Zeit, in der sich viel getan hat.

16 Jahre lang war Gohl evangelisc­her Dekan in Ulm. Die Menschen, sagt er, würden ihm am meisten fehlen. Der Geistliche spart nicht mit Kompliment­en für sie: freundlich, zugewandt, kompetent. Dass Ulm so ist, liege auch am Münster: „Es macht einen Unterschie­d, ob in der Mitte der Stadt eine Kirche ist oder eine Burg.“

Bevor Gohl an die Donau kam, war er erst Vikar in Böblingen und dann Pfarrer in Plochingen. Als Dekan war der 59-Jährige in gewisser Weise auch Manager des evangelisc­hen Kirchenbez­irks Ulm, zu dem neben der Großstadt viele Gemeinden auf der Schwäbisch­en Alb gehören. Doch er betont: „Ich war immer Pfarrer.“Seelsorger­ische Tätigkeite­n hat der gebürtige Stuttgarte­r anders als andere Dekane nie abgegeben. „Das hat mir gutgetan“, sagt er.

Am 19. März wurde Gohl von der Landessyno­de zum neuen Landesbisc­hof gewählt, im fünften Wahlgang. „In Württember­g ist das nie ein einfacher Weg“, sagt Gohl. In der Vergangenh­eit hatte es teilweise noch deutlich mehr Anläufe gebraucht. Hätte sich ein anderer oder eine andere durchgeset­zt, wäre der scheidende Dekan nicht traurig gewesen: „Ich bin gern in Ulm.“In Erinnerung bleiben ihm viele Gespräche, Angebote wie die Vesperkirc­he und vermeintli­ch kleine Augenblick­e. Etwa bei Beerdigung­en, wenn Angehörige einen Menschen viele Jahre lang gepflegt haben. In Erinnerung bleiben ihm aber auch Momente wie das

Münstertur­mjubiläum 2015 oder der Ostersonnt­ag 2009: An diesem Tag erklangen die mithilfe von Spenden instand gesetzten Münsterglo­cken wieder, zum ersten Mal in Gohls Ulmer Zeit. „Das Läuten höre ich noch heute“, sagt er. Nun wird seine Arbeit eine andere. Große, konkrete Ziele hat sich der Geistliche noch nicht gesetzt. „Wenn du an einem neuen Ort ankommst, musst du erst einmal zuhören und ein Bild der Zusammenhä­nge bekommen.“Das Ehepaar plant, im Oktober umzuziehen. Gabriele Gohl ist Apothekeri­n und will in der Landeshaup­tstadt eine neue Stelle antreten, die beiden erwachsene­n Kinder studieren in anderen Städten.

Als Ulmer Dekan hat Gohl die großen Zusammenhä­nge im Blick gehabt. Er hat sich zu gesellscha­ftlichen Fragen positionie­rt und dafür auch Kritik eingesteck­t. Bei der Debatte um den Mohren in der Münsterkri­ppe war sie besonders heftig. „Gegen Emotionen hast du mit Argumenten

keine Chance“, meint Gohl. Ihm ist es wichtig, andere Sichtweise­n zu respektier­en – und sich zu entschuldi­gen, wenn er selbst zu hitzig war. Der designiert­e Landesbisc­hof findet: „Auch wenn du nichts sagst, nimmst du Stellung.“

Wenn der Moskauer Patriarch Kyrill den Angriffskr­ieg Russlands gegen die Ukraine mit der Bibel rechtferti­ge, müsse er als Pfarrer widersprec­hen. Wenn eine Impfung helfe, die Corona-Pandemie zu überstehen, dann könne die Kirche unterstütz­en. Mit der niedrigsch­welligen Impfaktion im Münster habe man viele Arme erreicht, für die eine Anmeldung schon eine schwer überwindba­re Hürde gewesen wäre. Überhaupt, niedrigsch­wellig: Das ist Gohls Idee von der Kirche. Beim Tauffest kann jeder einfach so kommen – die Kirche muss in seiner Vorstellun­g auf die Menschen zukommen.

Dass viele aus der Kirche austreten, liege zum einen am gesellscha­ftlichen Wandel. Zum anderen aber an Fehlern im Umgang mit den Gläubigen – und am Umgang mit dem Thema Missbrauch: „Es ist entscheide­nd, dass die Opfer zu ihrem Recht kommen.“

Der 59-Jährige ist verwurzelt im Gemeindele­ben, und nicht nur das. Die Ökumene ist ihm wichtig, mit dem katholisch­en Ulmer Dekan Ulrich Kloos verbindet ihn eine persönlich­e Freundscha­ft. Themen aller Religionsg­emeinschaf­ten werden im Rat der Religionen besprochen. Rabbiner Shneur Trebnik ist voller Lob. „Es ist schade, dass er geht. Aber es wird gut weitergehe­n, da bin ich sicher.“Wie genau? Zunächst mit einer Vakanz, bis ein neuer Dekan oder eine neue Dekanin gefunden ist.

Zwei Ulmer Termine stehen für den neuen Landesbisc­hof schon fest: der Tag der Württember­gischen Pfarrerinn­en und Pfarrer am 10. Oktober und der Landesposa­unentag am 24. und 25. Juni 2023.

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FOTO: ALEXANDER KAYA Die Bürgerkirc­he prägt die Stadt: Dekan Ernst-Wilhelm Gohl, der in wenigen Tagen württember­gischer Landesbisc­hof wird, im Grünen Hof. Im Hintergrun­d ist der Münstertur­m zu sehen.

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