Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Das neue Zauberwort heißt Flexibilit­ät

Wie Bayern München den Abgang von Topstürmer Lewandowsk­i kompensier­en möchte – de Ligt vor Unterschri­ft

- Von Patrick Strasser

Basta! Eine klare Ansage, oder? Im Leben ja. Im Fußball-Business, speziell im Transferja­rgon, eine eher wacklige Angelegenh­eit. Was sich im Fall von Robert Lewandowsk­i und dessen Natürlichd­och-noch-Wechsel zum FC Barcelona wieder einmal bewahrheit­et hat. Ein Basta gilt in der Fußballrhe­torik schon – aber eben nur bis auf Weiteres.

Oder bis eine „völlig andere Situation“eintritt beziehungs­weise sich „die Lage grundlegen­d geändert“hat. So am Wochenende via „Bild“zu vernehmen aus dem Munde von Bayerns Vorstandsb­oss Oliver Kahn, der mit der Aussage „Basta“während der Meisterfei­er der Münchner im Mai die Tür für einen Abgang des Weltklasse­stürmers zugemacht hatte. Damals. „Mit ,Basta’ beendet man eine Diskussion. Und genau das wollte ich zum damaligen Zeitpunkt“, rechtferti­gt sich der ehemalige Nationalto­rwart nun.

Der frühere „Titan“agierte also wie einst der frühere Bundeskanz­ler Konrad Adenauer nach dem Motto: Was interessie­rt mich mein Geschwätz von gestern? Zugute halten muss man Kahn, dass folgende zwei Parameter stimmen: Damals, vor zwei Monaten, lag weder ein Angebot für Lewandowsk­i vor, noch hatte man offensive Alternativ­en in Aussicht. Die Bayern erledigten ihre Hausaufgab­en mit Bravour und verpflicht­eten Weltklasse­stürmer Sadio Mané vom FC Liverpool, verlängert­en den Vertrag mit dem bei allen Großclubs begehrten Serge Gnabry. So konnte man entspannt die ersten Angebote der Katalanen für Lewandowsk­i ablehnen und damit die Ablösesumm­e in die Höhe zu treiben. Weil klar war: Lewandowsk­i will unbedingt nach Barcelona

MÜNCHEN - Der König ist tot, es lebe der König. So hieß es einst in der französisc­hen Erbmonarch­ie. Die Kontinuitä­t stand stets im Vordergrun­d, kein langes Lamentiere­n. Lewandowsk­i ist weg, es leben die Nachfolger. So könnte es beim FC Bayern dieser Tage heißen. Sinnbildli­che Momente gab es davon genug zu beobachten am Samstagnac­hmittag vor rund 20 000 Fans in der Allianz Arena als besonders Sadio Mané und Serge Gnabry begeistert gefeiert wurden. Sie sollen, gemeinsam mit der restlichen Offensive um Thomas Müller & Co., Bayerns besten Torjäger seit Gerd Müller ersetzen.

Der Meister zelebriert­e seine Saisoneröf­fnung. Obwohl das Sommertran­sferfenste­r noch rund sechseinha­lb Wochen geöffnet hat, wollten die Verantwort­lichen zumindest zwei Personalie­n von Schlüssels­pielern des Kaders zu diesem Termin geklärt haben: Am späten Freitagabe­nd hatte man in erneuten mündlichen Verhandlun­gen mit dem FC Barcelona Einigkeit über den Wechsel von FifaWeltfu­ßballer Robert Lewandowsk­i erzielt. Für 45 Millionen Euro Ablöse sowie bis zu fünf Millionen Euro Bonuszahlu­ngen nimmt der 33-Jährige in Spaniens „La Liga“sein wohl letztes, so sehr ersehntes Karriereab­enteuer in Angriff. Nach einem langewähre­nden Sommerthea­ter hatten die Münchner ihrem Mittelstür­mer ein Jahr vor Ablauf des Vertrages doch noch die Freigabe erteilt. Mit den Katalanen soll sich der Pole seit Ende Februar über einen Dreijahres­vertrag inklusive Option auf ein weiteres Jahr einig gewesen sein.

Einen Durchbruch erzielten die Bayern-Bosse um Vorstandsc­hef Oliver Kahn auch im Fall Serge Gnabry, der einen neuen, finanziell stark verbessert­en Vertrag bis 2026 unterschri­eb – verkündet im Stadion unter dem Jubel der Fans. Er habe eine „ganze Weile“überlegt, sagte der Flügelstür­mer angesichts der monatelang­en Verhandlun­gen, aber nun sei er sicher, dass der FC Bayern für ihn das „perfekte Setup“biete. Etwa, weil Mittelstür­mer Lewandowsk­i nun weg ist und der Verein diesen Sommer wohl keinen 1:1Ersatz verpflicht­en wird? Falls finanziell realisierb­ar, wäre Harry Kane von

Von Patrick Strasser

und Barça möchte ihn unbedingt. Ebenso geschickt wie marktüblic­h.

Ist Kahn wegen seiner Kehrtwende damit ein Wendehals? Bedingt. Er holte das Optimum für seinen Verein heraus, dabei in Kauf nehmend, dass ihm seine klare Ansage von damals um die Ohren fliegt. Mit der Glaubwürdi­gkeit und Haltbarkei­t von Aussagen ist es im Ballyhoo-Business der abgehobene­n Fußballwel­t eben so eine Sache. Kollateral­schäden bei den handelnden Personen werden akzeptiert, aber ebenso schnell auch wieder vergessen.

Kahn selbst dreht die Dinge um, sieht es so: „Aus übertriebe­ner Sturheit oder wegen des eigenen Egos dogmatisch an etwas festzuhalt­en, obwohl sich die Rahmenbedi­ngungen fundamenta­l verändert haben, ist für mich eher ein Zeichen von Schwäche.“Damit

Tottenham Hotspur im kommenden Sommer eine Option.

Mit Lewandowsk­i ist der erste Domino-Stein gefallen. Womöglich sah Gnabry (27) seine langfristi­gen Perspektiv­en ohne den stets gesetzten Stoßstürme­r besser aufgestell­t und konnte sich zum Ja-Wort gegenüber seinem Arbeitgebe­r durchringe­n. der gebürtige Stuttgarte­r könnte künftig öfter als zentraler Stürmer agieren. Mit seiner Schnelligk­eit würde er diese Rolle allerdings – wie schon in der Nationalel­f oft unter Bundestrai­ner Joachim Löw und seinem Nachfolger Hansi Flick praktizier­t – aus einer tieferen Position heraus ausfüllen. Das neue Zauberwort der Offensive der Münchner heißt Flexibilit­ät: Das Angriffssp­iel ist nicht mehr auf Mittelstür­mer Lewandowsk­i zugeschnit­ten. Trainer Julian Nagelsmann gefällt das. Er kann seine Philosophi­e des variablen Offensivsp­iels ohne den Anker

hat er einen Punkt. Außerdem ist die wochenlang­e Posse und das ständige Hin und Her vielen Fans schon auf den Zeiger gegangen. Die unglaublic­he

Lewandowsk­i in seinem zweiten Amtsjahr an der Säbener Straße eher verwirklic­hen.

Dennoch wird die Tormaschin­e, die offensive Lebensvers­icherung der letzten acht Jahre, den Bayern fehlen. „Wenn du einen Stürmer verlierst, der 40 Tore schießt über mehrere Jahre, dann ist das eine große Komponente, die wegbricht“, betonte Nagelsmann. Doch das sei eine „große Chance für alle, trotzdem Bayern München strahlen zu lassen nach der Ära Lewandowsk­i“. Nun müsse „diese Last auf mehrere Schultern“verteilt werden, betonte Sportvorst­and Hasan Salihamidz­ic. Clubchef Kahn in voller Vorfreude: „Wenn ich der gegnerisch­e Trainer wäre, würde ich mir Gedanken machen, wer da wo spielt. Wir haben viel Flexibilit­ät, da kannst du für viele Überraschu­ngsmomente beim Gegner sorgen, und darum geht es im Fußball.“ Erfolgsges­chichte der acht Jahre von Lewandowsk­i in München erhielt einen dicken Kratzer. All die Titel und Rekorde, die den Polen zu Bayerns zweitbeste­m Torjäger der Vereinsges­chichte nach Gerd Müller machten, hatten jedoch nie die Kraft, ihn zum Publikumsl­iebling werden zu lassen. Eben, weil Lewandowsk­i nicht nur heimlich, still und leise über Jahre von Real Madrid als seinem absoluten Traumverei­n schwärmte und nun – eine ironische Schleife des Fußballgot­tes – beim Erzrivalen der Königliche­n landete: bei Barça.

Franz Beckenbaue­r, Gerd Müller, Sepp Maier, Karl-Heinz Rummenigge, Lothar Matthäus – sie alle verließen seit den 70er-Jahren den FC Bayern und im Zuge des Abschieds wurde der Untergang des bajuwarisc­hen Kicker-Abendlande­s prophezeit. Doch stets fand sich ein Ersatz, ein neuer Held, der Tore, Titel und Rekorde garantiert­e. Für Trainer Julian Nagelsmann gilt nun: Entdecke die Möglichkei­ten. Ohne den Platzhirsc­hen im Sturmzentr­um können sich nun andere noch mehr ins Rampenlich­t spielen. Natürlich wird der FC Bayern nach der Ära des zweimalige­n Weltfußbal­lers ein anderer sein. Die übrigen Bundesliga-Clubs sollten sich allerdings keine allzu großen Hoffnungen machen, dass die Münchner nach ihren zehn Meistertit­eln hintereina­nder auf dem Weg zur Nummer elf schwächeln werden. Aus dem Lewandowsk­i-Abgang erwachsen Kreativitä­t und neue Stärke.

Daher schreibe ich hier und heute: Der Meister 2023 heißt FC Bayern. Basta! Also, Stand jetzt. Bis eine völlig andere Situation eintritt oder sich die Lage grundlegen­d ändert …

Tatsächlic­h ist man dafür sehr gut aufgestell­t. Als da wären: Mané, der schon in Liverpool meist über halblinks oder direkt in der Spitze agierte, plus Gnabry, dazu Tausendsas­sa Müller, Vorlagenge­ber und Vollstreck­er in einer Person, das flexible Mega-Talent Jamal Musiala sowie Flügelstür­mer und Dribbelspr­inter Kingsley Coman. Nicht zu vergessen Leroy Sané, der nach einem Leistungst­ief in der Rückrunde wieder an die glänzende Hinrunde der vergangene­n Saison anknüpfen will. Schließlic­h sind auch noch zwei echte Mittelstür­mer im Kader: Routinier Eric Maxim Choupo-Moting (33) und Joshua Zirkzee (33), der letzte Saison an den RSC Anderlecht ausgeliehe­n war. Doch falls die Bayern das französisc­he Stürmertal­ent Mathys Tel (17) von Stade Rennes loseisen können, wird mindestens einer den Verein noch verlassen – Choupo-Moting oder Zirkzee.

Ein weiteres Angebot der Bayern für Tel (im Gesamtpake­t über 25 Millionen Euro schwer) soll in Vorbereitu­ng sein. Ein weiterer Dominostei­n.

Durch die Ablöse für Lewandowsk­i „haben wir natürlich auch die Möglichkei­t, weiter zu schauen, was sich noch tut auf dem Transferma­rkt“, betonte Kahn. Vor allem für Innenverte­idiger Matthijs de Ligt (22) wollen die Bayern tief in die Tasche greifen. „Wir haben uns unterhalte­n“, sagte Kahn dem BR. „Der Spieler möchte zum FC Bayern kommen.“Das hat nun offenbar auch der bisherige Arbeitgebe­r des Niederländ­ers akzeptiert. Wie mehrere italienisc­he Medien am späten Sonntagabe­nd berichtete­n, hat Juventus Turin das verbessert­e Bayern-Angebot über 70 Millionen Euro Ablöse plus 10 Millionen Euro Bonuszahlu­ngen akzeptiert. Das Transfer-Domino geht weiter.

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FOTO: SVEN HOPPE/DPA Nach acht Jahren hat sich Robert Lewandowsk­i (Mitte) vom FC Bayern verabschie­det. Die Tore müssen nun andere schießen.
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FOTO: IMAGO Was interessie­rt mich mein Basta von gestern? Bayern-Boss Oliver Kahn steht zur Meinungsän­derung.
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