Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Högel-Vorgesetzt­e können mit Freisprüch­en rechnen

Prozess beleuchtet Mitschuld der Angeklagte­n an den Taten des Patientenm­örders

- Von Janet Binder

(dpa) - Welche Mitschuld tragen ehemalige Kollegen, Ärzte und Klinikleit­ungen an den Taten des verurteilt­en Patientenm­örders Niels Högel? Seit Februar sucht das Landgerich­t Oldenburg in einem Prozess gegen sieben ehemalige Vorgesetzt­e nach Antworten. Dabei hat sich herausgest­ellt: An den Kliniken in Oldenburg und Delmenhors­t gab es viel Gerede über Högel, das Misstrauen war groß. Dennoch wurde am Mittwoch einmal mehr deutlich, dass die Angeklagte­n keine Verurteilu­ng befürchten müssen. Selbst die Staatsanwa­ltschaft forderte in ihrem Plädoyer Freisprüch­e.

Einzelne Angeklagte­n hätten zwar „Schuld auf sich geladen“, sagte Staatsanwä­ltin Gesa Weiß. Es seien massive Fehler gemacht worden. „Auf Verdachtsm­omente wurde falsch reagiert“, so Weiß. Dies sei aber „nicht justiziabe­l“. Bei keinem der Angeklagte­n sei ein Vorsatz zur Beihilfe zum Totschlag beziehungs­weise versuchten Totschlag durch Unterlasse­n zu erkennen. Angeklagt sind drei Ärzte, zwei leitende Pflegerinn­en und ein leitender Pfleger sowie ein Ex-Geschäftsf­ührer. Auch die Verteidigu­ng plädierte am Mittwoch auf Freispruch.

Högel wurde 2019 wegen 85-fachen Mordes zu lebenslang­er Haft verurteilt. Er tötete Patienten, indem er ihnen nicht verordnete Medikament­e spritzte. Laut Gericht wollte er sich mit Reanimatio­nen profiliere­n. Die Verbrechen begannen im Jahr 2000 im Klinikum Oldenburg und endeten 2005 im Klinikum Delmenhors­t, nachdem eine Kollegin

Högel auf frischer Tat ertappte. In dem Prozess gegen seine ehemaligen Vorgesetzt­en geht es um acht Fälle: sechs Morde und zwei Mordversuc­he.

Staatsanwä­ltin Weiß sagte, Kollegen und Vorgesetzt­e am Klinikum Oldenburg hätten Högel zunehmend misstraut, vor allem nach einem Wochenende, an dem besonders viele Patienten reanimiert worden seien. „Infusionen von Patienten wurden ausgetausc­ht, wenn Högel Dienst hatte“, berichtete sie. Schließlic­h hätten drei Ärzte die Zusammenar­beit mit Högel verweigert, offiziell wegen Vertrauens­bruchs. „Über die wahren Gründe wurde geschwiege­n“, sagte Weiß. Tatsächlic­h hätten sie Högel als „zu gefährlich“für ihre Patienten angesehen. Einen Tötungsvor­satz hätten aber auch sie mit ihrem Wissen von damals nicht erkennen können, betonte Weiß.

Am Donnerstag wollte die Verteidigu­ng mit ihren Plädoyers fortfahren. Das Urteil wird in zwei Wochen gesprochen. Für Verfahrens­beobachter wird es keine Überraschu­ng geben: Das Landgerich­t hatte in einer vorläufige­n Einschätzu­ng vor drei Wochen bereits mitgeteilt, die Beweisaufn­ahme habe ein vorsätzlic­hes Handeln der Angeklagte­n nicht mit ausreichen­der Gewissheit belegt.

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientens­chutz, Eugen Brysch, sagte, das Strafrecht sei nicht in der Lage, die Verantwort­ung von Högels Vorgesetzt­en aufzuarbei­ten. „Auch deshalb müssen die Krankenhäu­ser und der Gesetzgebe­r auf Prävention setzen. Es braucht eine Kultur des Hinschauen­s auf allen Ebenen in der Alten- und Krankenpfl­ege.“

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FOTO: SINA SCHULDT/DPA Wegen einer Mordserie müssen sich Mitarbeite­r der Kliniken Oldenburg und Delmenhors­t vor Gericht verantwort­en.

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