Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
„Sehe Minderjährige verstärkt gefährdet“
Ulmer Richter verurteilt die Pläne der Bundesregierung zur Cannabis-Legalisierung
- Die Debatte ist alles andere als entspannt: Die geplante Teillegalisierung von Cannabis ab 2024 spaltet Deutschland. Manche Suchtexperten warnen, andere hingegen jubeln: Endlich werde der Besitz der Droge „entkriminalisiert“. Doch was sagt die Justiz? Redakteur Johannes Rauneker hat mit Oliver Chama (43), Richter am Ulmer Amtsgericht, gesprochen. Der sieht die Sache nicht ganz so „gechillt“wie die Befürworter der Legalisierung.
Herr Chama, die Bundesregierung will den Bürgern unter anderem den Besitz von Cannabis bis zu einer Menge von 25 Gramm erlauben. Auch der Anbau von drei Cannabis-Pflanzen soll straffrei werden. Der richtige Schritt?
Nein. Ich sehe die geplanten Lockerungen negativ.
Warum? Vor allem die Justiz und die Polizei sollen ja entlastet werden, weil sie sich nicht mehr mit jedem Kleinkonsumenten herumschlagen müssen.
Cannabis macht uns tatsächlich sehr viel Arbeit. Geschätzt rund 30 Prozent meiner Fälle drehen sich um den Besitz und Verkauf dieser Droge. Aus meiner Sicht ist es jedoch keine Lösung zu sagen: Die Verbotspolitik der letzten Jahrzehnte war nicht so erfolgreich, wie wir uns das erhofft haben, also legalisieren wir das jetzt. Ein bisschen fühlt sich das an wie eine Kapitulation des Rechtsstaats.
Wie meinen Sie das?
Die Behauptung, die Verbotspolitik sei gescheitert, weil die Verbote von vielen Menschen gebrochen werden, bedeutet nicht, dass die Verbotspolitik als solche falsch ist. Wir geben ja auch nicht alle Geschwindigkeitsbeschränkungen im Straßenverkehr auf, weil sich viele Menschen nicht an diese halten wollen.
Was stört sie an den Plänen der Bundesregierung?
Der Staat hat eine verfassungsrechtliche Schutzpflicht, die er hier meines Erachtens verletzt. Das Betäubungsmittelgesetz schützt das Rechtsgut der Volksgesundheit und diese wird durch Cannabis weiterhin durchaus gefährdet. Je nachdem, wie schwerwiegend jemand gegen das Betäusolche
bungsmittelgesetz verstoßen hat, mussten in der Vergangenheit zahlreiche Täter für viele Jahre ins Gefängnis. Mit dem Strafrecht hat der Staat bislang sein schärfstes Schwert eingesetzt, um die Volksgesundheit zu schützen. Es ist nicht ersichtlich, was sich nun an den wissenschaftlichen Tatsachen so signifikant geändert haben soll, dass der Umgang mit Cannabis nun nicht mehr gefährlich und Strafen nicht mehr gerechtfertigt sein sollen. Die angedachte neue Rechtslage wäre ein nicht nachvollziehbarer Paradigmenwechsel.
Es soll Modellregionen geben, in denen Menschen straffrei Drogen kaufen können.
De facto haben wir schon lange
Modellregionen. In Berlin zum Beispiel wird der Umgang mit Cannabis deutlich laxer gehandhabt und bestraft als in Bayern und Baden-Württemberg.
Ist Cannabis aus Ihrer Sicht eine Einstiegsdroge?
Ja, ganz eindeutig. Fast alle Abhängigen, die ich vor Gericht sehe, und die harte Drogen wie Kokain oder Heroin nehmen, haben mit Cannabis angefangen. Die klassische Geschichte lautet: Los ging es mit einem ersten Joint als Minderjähriger, später folgte der härtere Stoff.
Befürworter der Teillegalisierung sagen: Die Bestrafung von Konsumenten bewirkt nichts, die Leute kiffen trotzdem.
Die Abschreckung durch Strafen wirkt in der Bevölkerung durchaus. Auch wenn ich viele Wiederholungstäter verurteile, die trotz Bestrafung immer wieder rückfällig werden. Das sind meist Menschen, die wegen ihrer Sucht nicht anders können und sich von Strafen nicht abschrecken lassen.
Was ist Ihre Sorge?
Dass die Teillegalisierung jetzt einen Hype entfacht, durch den dann auch Leute zu Cannabis greifen, die das ansonsten allein wegen der Stigmatisierung aufgrund der Illegalität nicht machen würden. Viele Menschen werden es probieren wollen, weil es nun legal ist und es nun quasi jeder macht. Auch Minderjährige sehe ich verstärkt gefährdet. Bei ihnen soll zwar weiterhin ein Verbot gelten. Dieses ist aber nicht mehr strafbewehrt.
Ein Argument der Befürworter der Liberalisierung lautet: Damit lasse sich der Schwarzmarkt austrocknen.
Ich bezweifle, dass das gelingt. Für Dealer wird es nun sogar leichter, denn sie können das Cannabis fortan ganz legal transportieren. Sie müssen sich an die geplante Höchstgrenze von 25 Gramm halten, aber dann stückeln sie die Menge, die sie befördern, einfach. Auch rund um den THC-Gehalt (der Wirkstoff von Cannabis, d. Red.) könnte der illegale und unkontrollierbare Schwarzmarkt anwachsen. Irgendwann geht es nicht mehr nur um die Menge der Droge, sondern darum, Cannabis mit dem höchsten Wirkstoffgehalt anzubieten. So dient der legale Markt zum Einstieg und wenn die Menschen einen höheren THC-Gehalt – also „besseren Stoff“– wollen, bedienen sie sich auf dem Schwarzmarkt.
Und was ist mit der Droge Alkohol? Es erscheint komisch, dass die erlaubt ist – die Schäden, durch Alkohol sind immens.
Das stimmt. Alkohol hat schon viele Existenzen zerstört und spielt eine Rolle bei sehr vielen Straftaten. Aber Alkohol ist keine Einstiegsdroge. Letztlich ist es aber auch kulturell bedingt, dass Alkohol bei uns akzeptiert wird. Unser Rechtssystem beruht auch auf kulturellen Gegebenheiten. Cannabis hat nicht im Ansatz eine ähnliche Bedeutung und sollte es nach meiner Meinung auch weiterhin nicht haben.