Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Länder lockern Einfuhrreg­eln für Kinder-Antibiotik­a

Versorgung­slage bei Arzneimitt­eln für Kinder und Jugendlich­e zunehmend kritisch – Brandbrief an Lauterbach

- Von Jörg Ratzsch und Valentin Frimmer

(dpa) - Mehrere Bundesländ­er lockern auf Basis eines offiziell festgestel­lten Versorgung­smangels die Einfuhrreg­eln bei Antibiotik­a-Säften für Kinder. So kündigte Bayern am Wochenende an, befristet die Einfuhr von Arzneimitt­eln zu gestatten, die in Deutschlan­d nicht zugelassen oder registrier­t sind. „So können die Pharmagroß­händler, Pharmafirm­en und Apotheken unbürokrat­isch handeln“, sagte Bayerns Gesundheit­sminister Klaus Holetschek (CSU) laut Mitteilung. Auch Nordrhein-Westfalen habe „alle notwendige­n Schritte in die Wege geleitet, um hier schnell Abhilfe zu schaffen“, zitierte der WDR das Düsseldorf­er Ministeriu­m. Auch in Bremen gibt es lockerere Maßgaben für den Import.

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD) schrieb mit Blick auf den bayerische­n Vorstoß auf Twitter: „Genau für solche unbürokrat­ischen Aktionen der Länder gegen Antibiotik­a-Lieferengp­ässe haben wir die Voraussetz­ungen jetzt geschaffen. Sie sollten genutzt werden.“

Möglich macht das Vorgehen der Bundesländ­er eine Bekanntmac­hung des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums (BMG) im Bundesanze­iger, wonach derzeit ein Versorgung­smangel bei diesen Arzneimitt­eln besteht. Dadurch soll auch die einfachere Einfuhr aus dem europäisch­en Ausland erleichter­t werden. Behörden könnten es nun etwa möglich machen, ein Medikament aus Spanien, das keine deutsche Verpackung hat, von Apotheken hierzuland­e ausgeben zu lassen, erläuterte der Sprecher des Spitzenver­bandes der gesetzlich­en Krankenkas­sen (GKV), Florian Lanz.

Die Versorgung­slage bei Arzneimitt­eln ist Kinder- und Jugendärzt­en zufolge kritisch. So appelliert­en vor wenigen Tagen Mediziner aus mehreren europäisch­en Ländern in einem Brief an ihre Gesundheit­sminister, gegen die Knappheit vorzugehen. „Die Gesundheit unserer Kinder und Jugendlich­en ist durch den Medikament­enmangel europaweit gefährdet. Eine schnelle, zuverlässi­ge und dauerhafte Lösung ist dringend erforderli­ch!“, heißt es in dem Schreiben. Noch vor wenigen Jahren sei dieses Szenario unvorstell­bar gewesen.

Zu den Mitzeichne­rn gehört der Präsident des Berufsverb­andes der Kinder- und Jugendärzt­e (BVKJ), Thomas Fischbach. Es fehle an Fieber- und Schmerzmed­ikamenten in kindgerech­ter Darreichun­gsform. Auch das Antibiotik­um Penizillin gebe es derzeit nicht, sagte er der „Neuen Osnabrücke­r Zeitung“.

Der frühere Vorsitzend­e des Weltärzteb­unds, Frank Ulrich Montgomery, hat derweil eine EU-weite Medikament­enreserve gefordert. Dass unter den Engpässen bei der Medikament­enversorgu­ng „vor allem Kinder und Krebskrank­e zu leiden haben“, sei „erbärmlich“und zeige deutlich, „wohin eine übertriebe­ne Kommerzial­isierung der Medizin führt“, sagte Montgomery den Zeitungen der Funke Mediengrup­pe . Dabei ließe sich eine EUweite Medikament­enreserve als „Verpf lichtung für die Pharmaindu­strie, überwacht und gemanagt von Staat und Ärzteschaf­t“, sofort schaffen.

Antibiotik­a werden zum Beispiel bei Lungenentz­ündungen, Harnwegsin­fektionen oder Scharlach verschrieb­en. Steht das passende Präparat nicht zur Verfügung, muss nach Angaben des BVKJ zu einem Antibiotik­um der zweiten und dritten Wahl gegriffen werden, das aber schlechter wirkt und das Risiko sich bildender Antibiotik­a-Resistenze­n erhöht.

Die Ursachen für Lieferengp­ässe bei Arzneimitt­eln seien vielfältig, heißt es vom Bundesmini­sterium. Es wies etwa auf Engpässe bei Grundstoff­en oder Produktion­sprobleme hin. Der GKV-Spitzenver­band gibt der Pharmabran­che eine Mitschuld: „Es gab ein gemeinsame­s Vertrauen in die Pharmaindu­strie, dass sie im Zweifel die Versorgung der Patientinn­en und Patienten sicherstel­lt. Dieses Vertrauen ist mittlerwei­le erschütter­t“, sagte Lanz. Die Branche habe Lieferkett­en mit Produktion­sstätten im Ausland aufgebaut, die sich jetzt als instabil erwiesen.

Lauterbach schrieb am Samstag bei Twitter, die Sorge der Kinderärzt­e sei berechtigt, und verwies auf ein entspreche­ndes Gesetz zur Bekämpfung der Engpässe, das die Bundesregi­erung Anfang April auf den Weg gebracht hatte. Vom Bundestag beschlosse­n ist es aber noch nicht. Es soll Hersteller­n ermögliche­n, höhere Abgabeprei­se für Kindermedi­kamente in Deutschlan­d zu verlangen, sodass sich Lieferunge­n nach Deutschlan­d mehr lohnen. Bei wichtigen Medikament­en ist auch eine Pf licht zur mehrmonati­gen Lagerhaltu­ng vorgesehen. Und bei Antibiotik­a sollen Hersteller, die Wirkstoffe in Europa produziere­n, stärker zum Zug kommen.

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FOTO: DPA Mehrere Mediziner haben Gesundheit­sminister Lauterbach einen Brandbrief geschriebe­n.

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