Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Zwischen Anspruch und Wirklichke­it

Bei Königsbron­ner Gesprächen wird der miserable Zustand der Bundeswehr deutlich

- Von Claudia Kling

- Als Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) drei Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine eine Zeitenwend­e ausrief und ein 100-Milliarden-Euro-Sonderverm­ögen für die Bundeswehr ankündigte, war klar, dass die Friedensdi­vidende aufgebrauc­ht ist. Den Soldaten wurde ein „historisch­er Aufbruch“versproche­n. Die Zeit, in denen Hubschraub­er nicht f liegen und Panzer nicht einsatzfäh­ig sind, sollte ein Ende haben. Was aus diesem Verspreche­n geworden ist? Bislang zu wenig, kritisiert­en Alfons Mais, Inspekteur des Heeres, und André Wüstner, Vorsitzend­er des Bundeswehr­verbandes, bei den 10. Königsbron­ner Gesprächen, die der Aalener CDU-Bundestags­abgeordnet­e Roderich Kiesewette­r zusammen mit der KonradAden­auer-Stiftung, dem Bildungswe­rk des Bundeswehr­verband und der Gesellscha­ft für Sicherheit­spolitik veranstalt­et. Dort ging es um die Frage, ob Deutschlan­d inzwischen gut aufgestell­t ist, um der neuen Bedrohungs­lage gerecht zu werden.

Die Erwartunge­n in der Truppe waren groß, nachdem der Bundestag im vergangene­n Juni das Sonderverm­ögen Bundeswehr beschlosse­n hatte. Doch von den 100 Milliarden Euro kam im vergangene­n Jahr kein Cent bei der Truppe an, wie die Wehrbeauft­ragte des Bundestags, Eva Högl, im März kritisiert­e. Die Soldaten treibt auch dies um: Wenn nicht zudem auf Dauer der Verteidigu­ngshaushal­t erhöht wird, „dann verpufft das Sonderverm­ögen“, so Wüstner. Die 100 Milliarden Euro reichten für ein Fundament. Das mache aber nur Sinn, wenn Geld da sei, um darauf aufzubauen. Nach neuen Berechnung­en seien 280 Milliarden Euro nötig. Der Heeresinsp­ekteur Mais sagte, die Bundeswehr habe noch nie vor einer größeren Herausford­erung als jetzt gestanden. Die Anforderun­gen, auch durch Zusagen an die Nato, hätten mächtig zugenommen. Anspruch und Wirklichke­it passten nicht zusammen, da es Probleme in der Struktur, beim Personal und Material gebe. Die Bundeswehr sei „noch Lichtjahre“von einer angemessen­en Ausstattun­g entfernt,

so Wüstner. „Da passiert mir zu wenig.“Kiesewette­r sprach sich dafür aus, Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius (SPD) bei seiner Aufgabe parteiüber­greifend zu unterstütz­en. „Wir sollten anerkennen, dass der Verteidigu­ngsministe­r Führungswi­lle zeigt“, sagte der CDU-Politiker.

Seit Tagen wird darüber spekuliert, ob und wann die Ukraine eine Gegenoffen­sive startet. Dieses Vorhaben ist allerdings mit massiven Schwierigk­eiten verbunden – weil beispielsw­eise das Gelände für Panzer schwierig ist und Waffen fehlen. Derzeit verbraucht die Ukraine pro Monat so viel Munition, wie in ganz Europa in einem Jahr hergestell­t wird. Die GrünenPoli­tikerin Jamila Schäfer sprach sich dafür aus, der Ukraine die Waffen zu liefern, die militärisc­h notwendig seien und Deutschlan­d nicht zur Kriegspart­ei machten. „Von der Definition roter Linien

halte ich nichts“, sagte sie. Die Frage, wann der Krieg zu Ende sein könnte, blieb in Königsbron­n offen. Doch auf das muss sich der Westen wohl einstellen: „Putin wird nicht im Sommer zur Friedensta­ube werden, er stellt seine Bevölkerun­g auf einen Systemkonf likt mit dem Westen ein“, sagte Wüstner. Die Nato gehe deshalb von einer Dekade der Bedrohung aus.

Denn auch wenn nicht mehr aktiv gekämpft werde in der Ukraine, ist nicht mit einer friedliche­n Situation im Osten Europas zu rechnen. Von Deutschlan­d wird in dieser Situation eine Führungsro­lle erwartet. „Wir brauchen eine deutsche Führung im positiven Sinne“, sagte der estnische EVP-Europaabge­ordnete und General a. D. Riho Terras. Dem französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron sei hingegen nicht zu vertrauen. Dass der russische

Angriff auf die Ukraine Nachahmer finden könnte, befürchten Politiker im Westen – und vor allem die Menschen in Taiwan. „Xi Jinping würde lieber gestern als heute Taiwan angreifen“, sagte Jhy-Wey Shieh, Repräsenta­nt von Taiwan in Deutschlan­d. Auch Kiesewette­r befürchtet, dass sich China „Taiwan einverleib­en“wird, wenn die von Scholz ausgerufen­e Zeitenwend­e stocken sollte.

Für die Wirtschaft hierzuland­e könnte das dramatisch­e Folgen haben, da ohne Mikrochips aus Taiwan in Deutschlan­d „kein Kühlschran­k funktionie­ren würde“, wie es Shieh formuliert­e. Auf der anderen Seite ist die deutsche Abhängigke­it von China so groß wie nie zuvor. Sollte es zum Krieg zwischen China und Taiwan kommen, hätte auch die deutsche Wirtschaft ein Riesenprob­lem.

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Bundeswehr­soldaten nehmen auf dem Truppenübu­ngsplatz Altengrabo­w an einer Übung teil. Die Soldaten kritisiere­n vermehrt, dass aus dem Sonderverm­ögen für die Bundeswehr noch kaum etwas angekommen ist.

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