Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Bei Königsbronner Gesprächen wird der miserable Zustand der Bundeswehr deutlich
- Als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) drei Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine eine Zeitenwende ausrief und ein 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr ankündigte, war klar, dass die Friedensdividende aufgebraucht ist. Den Soldaten wurde ein „historischer Aufbruch“versprochen. Die Zeit, in denen Hubschrauber nicht f liegen und Panzer nicht einsatzfähig sind, sollte ein Ende haben. Was aus diesem Versprechen geworden ist? Bislang zu wenig, kritisierten Alfons Mais, Inspekteur des Heeres, und André Wüstner, Vorsitzender des Bundeswehrverbandes, bei den 10. Königsbronner Gesprächen, die der Aalener CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter zusammen mit der KonradAdenauer-Stiftung, dem Bildungswerk des Bundeswehrverband und der Gesellschaft für Sicherheitspolitik veranstaltet. Dort ging es um die Frage, ob Deutschland inzwischen gut aufgestellt ist, um der neuen Bedrohungslage gerecht zu werden.
Die Erwartungen in der Truppe waren groß, nachdem der Bundestag im vergangenen Juni das Sondervermögen Bundeswehr beschlossen hatte. Doch von den 100 Milliarden Euro kam im vergangenen Jahr kein Cent bei der Truppe an, wie die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl, im März kritisierte. Die Soldaten treibt auch dies um: Wenn nicht zudem auf Dauer der Verteidigungshaushalt erhöht wird, „dann verpufft das Sondervermögen“, so Wüstner. Die 100 Milliarden Euro reichten für ein Fundament. Das mache aber nur Sinn, wenn Geld da sei, um darauf aufzubauen. Nach neuen Berechnungen seien 280 Milliarden Euro nötig. Der Heeresinspekteur Mais sagte, die Bundeswehr habe noch nie vor einer größeren Herausforderung als jetzt gestanden. Die Anforderungen, auch durch Zusagen an die Nato, hätten mächtig zugenommen. Anspruch und Wirklichkeit passten nicht zusammen, da es Probleme in der Struktur, beim Personal und Material gebe. Die Bundeswehr sei „noch Lichtjahre“von einer angemessenen Ausstattung entfernt,
so Wüstner. „Da passiert mir zu wenig.“Kiesewetter sprach sich dafür aus, Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bei seiner Aufgabe parteiübergreifend zu unterstützen. „Wir sollten anerkennen, dass der Verteidigungsminister Führungswille zeigt“, sagte der CDU-Politiker.
Seit Tagen wird darüber spekuliert, ob und wann die Ukraine eine Gegenoffensive startet. Dieses Vorhaben ist allerdings mit massiven Schwierigkeiten verbunden – weil beispielsweise das Gelände für Panzer schwierig ist und Waffen fehlen. Derzeit verbraucht die Ukraine pro Monat so viel Munition, wie in ganz Europa in einem Jahr hergestellt wird. Die GrünenPolitikerin Jamila Schäfer sprach sich dafür aus, der Ukraine die Waffen zu liefern, die militärisch notwendig seien und Deutschland nicht zur Kriegspartei machten. „Von der Definition roter Linien
halte ich nichts“, sagte sie. Die Frage, wann der Krieg zu Ende sein könnte, blieb in Königsbronn offen. Doch auf das muss sich der Westen wohl einstellen: „Putin wird nicht im Sommer zur Friedenstaube werden, er stellt seine Bevölkerung auf einen Systemkonf likt mit dem Westen ein“, sagte Wüstner. Die Nato gehe deshalb von einer Dekade der Bedrohung aus.
Denn auch wenn nicht mehr aktiv gekämpft werde in der Ukraine, ist nicht mit einer friedlichen Situation im Osten Europas zu rechnen. Von Deutschland wird in dieser Situation eine Führungsrolle erwartet. „Wir brauchen eine deutsche Führung im positiven Sinne“, sagte der estnische EVP-Europaabgeordnete und General a. D. Riho Terras. Dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron sei hingegen nicht zu vertrauen. Dass der russische
Angriff auf die Ukraine Nachahmer finden könnte, befürchten Politiker im Westen – und vor allem die Menschen in Taiwan. „Xi Jinping würde lieber gestern als heute Taiwan angreifen“, sagte Jhy-Wey Shieh, Repräsentant von Taiwan in Deutschland. Auch Kiesewetter befürchtet, dass sich China „Taiwan einverleiben“wird, wenn die von Scholz ausgerufene Zeitenwende stocken sollte.
Für die Wirtschaft hierzulande könnte das dramatische Folgen haben, da ohne Mikrochips aus Taiwan in Deutschland „kein Kühlschrank funktionieren würde“, wie es Shieh formulierte. Auf der anderen Seite ist die deutsche Abhängigkeit von China so groß wie nie zuvor. Sollte es zum Krieg zwischen China und Taiwan kommen, hätte auch die deutsche Wirtschaft ein Riesenproblem.