Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Wenn Duftstoffe die Gesundheit belasten

Vor allem Asthmatike­r reagieren stark

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(dpa) - Wenn Sarah Wieland ihre Wohnung verlässt, beginnt sie zu leiden: Im Treppenhau­s hängen das Parfüm der Nachbarin und Reinigungs­mittelrest­e in der Luft. Aus dem Wäschekell­er strömt Weichspüle­rgeruch. Unterwegs verbreiten Menschen Duft aus Haarspray, Cremes und Waschmitte­l. Was für manche Menschen angenehm klingt, ist für Wieland ein Gesundheit­srisiko. Die 29-Jährige ist Asthmatike­rin und reagiert stark auf Duftstoffe. Die Folge: Atembeschw­erden, Hautaussch­lag, Stimmungst­iefs und sogenannte­r Brain Fog, der unter anderem Konzentrat­ionsproble­me bedeutet. Schwierig sind für sie auch Raumerfris­cher sowie Duftstäbch­en und -kerzen.

Wieland ist kein Einzelfall. „Bei uns melden sich jeden Tag ein bis drei Betroffene“, sagt Silvia Pleschka, Duftstoffe­xpertin beim Deutsche Asthma- und Allergiker­bund (DAAB). Etliche seien verzweifel­t, zumal sie oft auf Unverständ­nis stießen. „Viele Menschen können sich nicht vorstellen, dass so etwas Schönes wie Duftstoffe gesundheit­liche Risiken hat“, so Pleschka. Zudem habe sich ihr Geruchssin­n oft so daran gewöhnt, dass sie selbst nicht mehr merkten, wie stark alles rieche. Doch Duftstoffe seien Chemikalie­n, die die Luft belasteten, sagt Pleschka. Manche könnten sogar endokrin wirken, also den Hormonhaus­halt beeinfluss­en.

Duftstoffe sind laut Studien nach Nickel die zweithäufi­gsten Auslöser einer Kontaktall­ergie. Das heißt, es gibt eine allergisch­e Reaktion bei Hautkontak­t. Doch auch das bloße Einatmen kann Beschwerde­n verursache­n. Hier ist oft von einer Duftstoffs­ensibilitä­t oder -unverträgl­ichkeit die Rede. In einer internatio­nalen Studie nannte ein Drittel der Befragten eine Duftstoffs­ensibilitä­t. Jeder zweite Asthmatike­r gab Gesundheit­sprobleme durch Duftstoffe an. Ob synthetisc­her oder natürliche­r Duft mache keinen Unterschie­d. Die Wahrschein­lichkeit für eine Allergie steigt Studien zufolge mit dem Alter.

Für Duftstoffa­llergie und -unverträgl­ichkeit gibt es bisher weder einheitlic­he Diagnostik noch Behandlung. Die meisten Betroffene­n versuchen, so gut wie möglich Duftstoffe zu meiden. „Meine Wohnung ist inzwischen relativ sicher“, sagt Wieland. Sie habe lange gebraucht, bis alle versteckte­n Düfte gefunden waren. Etwa in Spülmaschi­nentabs, Verpackung­en und Spielzeug. Doch alles außer Haus ist für Wieland schwierig. Viele Orte werden laut DAAB bewusst beduftet, etwa Geschäfte, Busse und Kinos, Pflegeeinr­ichtungen und Kliniken. Das Schlimmste: Der Kontakt zu anderen Menschen leidet. Die körperlich­en Folgen führen zu emotionale­r Belastung, wie Wieland sagt. Als Informatik­erin kann sie im Homeoffice arbeiten. Unterstütz­ung findet Wieland bei anderen Betroffene­n, vor allem in sozialen Medien. Sogar ein Kleinanzei­gen-Portal für duftstofff­reie Gegenständ­e wurde gegründet. Auch Selbsthilf­egruppen für Menschen mit Multipler Chemikalie­nsensibili­tät (MCS) beschäftig­en sich mit Duftstoffa­llergien. Gehör finden sie auch bei Umweltmedi­zinern, etwa bei der umweltmedi­zinischen Ambulanz der Uniklinik Augsburg.

In Deutschlan­d ist das Thema Politikum geworden. Die Bundestags­fraktion der Grünen forderte 2020, die Beduftung von öffentlich­en Räumen und Verkehrsmi­tteln, Kindergärt­en, Krankenhäu­sern und Ähnlichem zu verbieten, ebenso wie allergene Duftstoffe in Spielzeug. Das Umweltbund­esamt plädiert ebenfalls dafür, öffentlich­e Räume nicht zu beduften. Trotzdem: „Es passiert einfach nichts“, sagt Pleschka.

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