Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Loch Ness gibt sein Rätsel nicht preis

Die Legende vom Seeungeheu­er beflügelt seit 90 Jahren die Fantasie der Menschen – Ein Ortsbesuch

- Von Benedikt von Imhoff

(dpa) - Mal ist es ein Seevogel, mal ein Otter – aber eben kein Ungeheuer vom Loch Ness. Seit Jahrzehnte­n beobachtet Steve Feltham den sagenumwob­enen See in den schottisch­en Highlands. Was bewegt sich da, warum kräuselt sich das Wasser dort? Auch an diesem sonnigen Frühlingst­ag spannt der 60Jährige plötzlich den Rücken an und greift zum Fernglas, das immer bereit liegt. Aber es ist nur eine Windböe, die eine Welle schwappen lässt. Die Kreatur, die Feltham schon so lange leidenscha­ftlich sucht, zeigt sich wieder nicht.

Dass im Loch Ness, bis zu 230 Meter tief, etwas hausen soll, weiß man seit Langem. Bereits im Jahr 565 will der irische Mönch Columban hier ein Seeungeheu­er gesehen haben. Dass im See ein „Monster“wohne, berichtete in der Neuzeit als Erstes die Zeitung „Inverness Courier“am 2. Mai 1933. Genau 90 Jahre später ist der Rummel enorm. Auch Feltham wurde von den Geschichte­n angelockt. Als Kind verbrachte er Ferien am See, als Erwachsene­n zog es ihn immer wieder hin. Schließlic­h gab er seinen Job auf, verkaufte sein Haus in Südengland und widmet sich seither der Suche.

Seit 32 Jahren lebt Feltham in einem umgebauten Anhänger am Strand von Dores direkt am See, lernte dort seine Freundin kennen — und steht längst im Guinness-Buch der Rekorde. Niemand hat länger — und vergeblich­er — als Feltham nach dem „Monster“gesucht. Oder wie es der „VollzeitNe­ssie-Jäger“scherzhaft im Gespräch mit der Deutschen PresseAgen­tur sagt: „Ich bin Weltmeiste­r im Nessie-nicht-Finden.“

Wer „Loch Ness“sagt, meint fast immer „Nessie“. Rund um den 36 Kilometer langen See ist es unmöglich, das Ungeheuer zu vermeiden. Auf Hinweissch­ildern und Werbetafel­n ist Nessie zu sehen, der freundlich­e, grüne Saurier lacht von Tassen, T-Shirts und Magneten, zuhauf hängen Plüschfigu­ren in den Souvenirlä­den.

„Nessie ist wohl unsere beste Tourismusb­otschafter­in in den Highlands – und jeder, der Loch Ness besucht, möchte die Gelegenhei­t haben, die mysteriöse Kreatur zu Gesicht zu bekommen“,

sagt Chris Taylor von der Tourismuso­rganisatio­n Visit Scotland. Das lohnt sich: Der „Inverness Courier“berichtete jüngst, auch dank Nessie kämen jährlich 1,6 Millionen Touristen an den See, die 330 Millionen Pfund (373 Millionen Euro) Umsatz bringen und Hunderte Arbeitsplä­tze schaffen.

Einen dieser Jobs hat Mike Bell. Seit 2019 fährt er Touristen über den See. Sein Boot heißt „Nessie Hunter“, Nessie-Jäger. Die besten Chancen auf eine Sichtung gebe es rund um die Burgruine Urquhart Castle am Westufer, berichtet Bell. Schmunzeln­d erklärt er: „Dort sind halt die meisten Touristen.“Selbst hat der junge Mann noch keine Spuren des Ungeheuers gesehen, nur auf dem Sonar ist ihm eine unerklärli­che Messung untergekom­men. Sein Vorgänger auf der „Nessie Hunter“soll das Ungeheuer hingegen 19-mal gesehen haben.

Zentrum des Nessie-Tourismus ist das kleine Örtchen Drumnadroc­hit – obwohl es gar keinen direkten Zugang zum See hat. Das habe mit dem Bericht im „Courier“

vor 90 Jahren zu tun, erzählt Kapitän Bell. Damals stürmte Direktorin Aldie Mackay in die Bar ihres Hotels und erzählte aufgeregt dem Mann hinter dem Tresen, sie habe soeben ein „walähnlich­es Monster“im Loch Ness erblickt. Das Hotel stand in Drumnadroc­hit — und als die Geschichte publik wurde, reisten Schaulusti­ge und Abenteurer dorthin: der Start des Nessie-Tourismus.

Heute beherbergt das Gebäude das interaktiv­e Loch Ness Centre.

Nach einer Renovierun­g, die Ende Mai abgeschlos­sen sein soll, wird hier Nessie wieder aus allen Blickwinke­ln betrachtet. Die Szene mit Mackay soll, von Schauspiel­ern verkörpert, als Video zu sehen sein.

Nebenan kümmert sich auch das beschaulic­here „Nessieland“um die bekannte Bewohnerin. „Wir halten den Mythos am Leben“, erklärt Mitarbeite­r Mark, der unter dem Pseudonym Mark Marquis HK auch als Autor arbeitet. „Deshalb kommen die Leute an den Loch Ness“, betont er. „Sie kommen doch nicht her, damit ihnen gesagt wird, dass die Geschichte nicht stimmt.“Auch deshalb werde Nessie stets so freundlich porträtier­t. „Wir wollen keine Atmosphäre wie in ,Der Weiße Hai’ schaffen“, erzählt Mark lachend. Bootsführe­r Bell stimmt zu: Es habe schon Kinder gegeben, die nicht an Bord gegangen sind – aus Angst, dass sie von Nessie gefressen werden.

Bleibt zum Abschluss die wichtigste Frage: Gibt es Nessie nun oder nicht? Die Aussagen der Experten am See ergeben ein klares

Jein. „Da ist etwas. Ohne Rauch kein Feuer“, sagt Mark. Kapitän Bell sagt, Sonaraufna­hmen hätten immer wieder Hinweise auf sich bewegende Objekte ergeben, größer als ein Fisch, die nicht erklärt werden könnten. Um ein prähistori­sches Ungeheuer handele es sich aber mit großer Sicherheit nicht, das sei wissenscha­ftlich gar nicht möglich, sagen beide — und liegen auf einer Linie mit dem „Vollzeit-Jäger“.

„Ich glaube, dass irgendwas hier drin ist“, betont Feltham, während er seine von Knete verfärbten Hände streicht — ein Andenken an seine Nessie-Basteleien, mit denen er seinen Unterhalt verdient. Es sei scheu und müsse — anders als Robben, die sich gelegentli­ch in den See verirren — nur selten auftauchen. Es sei ein Irgendwas, das sich vermehre, auch das erkläre die Sichtungen seit Jahrzehnte­n. Vielleicht handele es sich um einen großen Wels, meint Feltham nachdenkli­ch. Klar ist für ihn nur: „Es ist ein Rätsel.“Die Hoffnung, dass er die Lösung findet, gibt Feltham nicht auf.

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 ?? FOTO: BENEDIKT VON IMHOFF/DPA ?? Seit 32 Jahren hält Steve Feltham am Loch Ness vergeblich Ausschau nach dem sagenumwob­enen Ungeheuer Nessie.
FOTO: BENEDIKT VON IMHOFF/DPA Seit 32 Jahren hält Steve Feltham am Loch Ness vergeblich Ausschau nach dem sagenumwob­enen Ungeheuer Nessie.

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