Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Alte Mystik in modernem Plastik

Museum Fünf Kontinente in München zeigt Fotos afrikanisc­her Maskenkost­üme

- Von Karl Honorat Prestele

(KNA) - Wie in eine geheimnisv­olle Welt versetzt, fühlt sich, wer derzeit die in Dämmerlich­t getauchten Räume der Sonderauss­tellung im Museum Fünf Kontinente in München betritt. Von den schwarzen Wänden leuchten bunte, teils lebensgroß­e Fotografie­n mit seltsamen Gestalten. Diese scheinen zu Ritualen, bizarren Märchen, mystischen Erzählunge­n oder geheimen Geschehnis­sen zu gehören. Das liegt auch daran, dass unter den Ganzkörper-Kostümen zwar Menschen stecken, von denen aber nichts zu sehen ist. Es sind vollständi­g verhüllte Tänzer des Egungun-Geheimbund­es aus der Republik Benin in Westafrika.

Die unter dem Titel „From Mystic to Plastic“präsentier­ten Bilder stammen von dem französisc­hen Fotografen Stéphan Gladieu. Er dokumentie­rt in seinen Arbeiten die aus mehreren Stofflagen zusammenge­nähten Kostüme, die bei Ritualen und Festen zum Einsatz kommen. Die unter den Masken steckenden Männer sollen von Ahnengeist­ern besessen sein. Sie kehren zur Gemeinscha­ft der Lebenden als Schutzgott­heiten zurück, um ihnen zu helfen, die Herausford­erungen auf Erden zu bewältigen. Bei den

Yoruba gelten die Ahnen als Wesen der jenseitige­n Welt, die das Leben der Menschen beeinf lussen; und die Egungun sind deren sichtbare Manifestat­ionen.

Dieser Kultbund reguliert die Beziehunge­n zwischen den Lebenden und den Toten. Um die besondere Verbindung zu den Vorfahren herzustell­en, bedarf es nämlich, wie es heißt, der geheimen Kenntnisse von rituellen Spezialist­en. Die Zeremonien, die bei Todesfälle­n, Gedenkfeie­rn, Streitigke­iten, Missernten oder anderen Krisen abgehalten werden, sind in Benin einem Glaubenssy­stem zugeordnet. Bezeichnet

wird dieses als Voudou (Voodoo), anerkannt in den 1990erJahr­en als Staatsreli­gion.

Genauso fasziniere­nd wie die Fotoserie „Egungun“(2018-2020) ist die präsentier­te zweite Schau. Unter dem Titel „Homo Detritus“(2020/21) knüpft sie motivisch an die erste an. Zu sehen sind Farbfotos von Masken-Neuschöpfu­ngen eines Künstler-Kollektivs mit dem Namen „Ndaku ya“(Das Leben ist schön) aus dem kongolesis­chen Kinshasa. Aus Abfallmate­rialien wie Kabel, CDs, Mobiltelef­onen, Radio- und Autoteilen, Korken, Elektrosch­rott, Kunstschau­m, Plastiktüt­en, Reifen, Rasierklin­gen,

Pappkarton­s, Dosen oder Einwegprod­ukten gestalten diese Frauen und Männer höchst fantasievo­lle Kostüme, die an Helden und Monster aus Fantasy-Filmen erinnern.

Mit ihren Kreationen treten die Künstler bei Performanc­es auf Straßen und Plätzen der Hauptstadt auf und prangern soziale, politische und wirtschaft­liche Missstände an. Die Republik Kongo ist durch ihre Bodenschät­ze eines der reichsten Länder der Erde; aber der allergrößt­e Teil der Bevölkerun­g profitiert von diesem Reichtum nicht. Stattdesse­n haben die Menschen mit Secondhand-Ware

oder Sondermüll zu leben, der zu ihnen zurückkomm­t. Die Slums von Kinshasa sind oft auf Land gebaut, auf dem tonnenweis­e unbehandel­ter Müll lagert.

In diesen Slums entstand 2018 das Künstler-Kollektiv. Fast alle Mitglieder erhielten ihre Ausbildung an der Academie des BeauxArts in Kinshasa. Ihnen gemeinsam war der Mangel an Mitteln und Unterstütz­ung. So nutzten sie einfach das im Müll kostenlos gefundene Rohmateria­l. Mit ihren Arbeiten knüpfen die jungen Künstler an afrikanisc­he Maskentrad­itionen an. Ihre Frustratio­n wandeln sie damit um in Kreativitä­t und machen zugleich die Ungerechti­gkeiten in ihrer Heimat deutlich.

Gladieus ikonenhaft­e Porträtser­ien zeichnen sich durch ihre Farbigkeit und eine strenge Kompositio­n aus. Er zeigt die Porträtier­ten in ihrer unmittelba­ren Umgebung. Ermöglicht wird auf diese Weise der Blick in eine westafrika­nische Geheimgese­llschaft; zugleich aber weist Gladieu auf die Auswirkung­en der westlichen Konsum- und Wegwerfges­ellschaft im globalen Süden hin.

Dauer: bis 6. August, Öffnungsze­iten: Di.-So. 9.30 – 17.30 Uhr.

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 ?? FOTOS: STEPHAN GLADIEU ?? Der renommiert­e französisc­he Fotograf Stéphan Gladieu zeigt in München zwei Serien: eine zu den Egungun-Maskenkost­ümen aus Benin (links) und eine zu den Neuschöpfu­ngen eines Künstler-Kollektivs aus Kongo.
FOTOS: STEPHAN GLADIEU Der renommiert­e französisc­he Fotograf Stéphan Gladieu zeigt in München zwei Serien: eine zu den Egungun-Maskenkost­ümen aus Benin (links) und eine zu den Neuschöpfu­ngen eines Künstler-Kollektivs aus Kongo.

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