Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Neue Selbsthilf­egruppe gegen Esssucht

„Adipositas Laichingen - Selbsthilf­egruppe“will Bewusstsei­n für die Krankheit schärfen

- Von Sabine Graser-Kühnle ●

- Im März hat sich in Laichingen die „Adipositas Laichingen - Selbsthilf­egruppe“, kurz ALS gegründet. Adipositas ist seit 2020 in Deutschlan­d eine anerkannte chronische Krankheit. Viele, die an dieser krankhafte­n, über das Normalmaß hinausgehe­nden Vermehrung des Körperfett­s leiden, kämpfen auch um ihr Überleben.

Denn mit der Krankheit gehen viele Folgeerkra­nkungen einher. So etwa Diabetes, Bluthochdr­uck, Fettleber, diverse Krebsforme­n. Zudem ist das Risiko für einen Herzinfark­t oder Schlaganfa­ll deutlich erhöht. Nur unter bestimmten Voraussetz­ungen zahlt die Kasse etwa eine Bariatrisc­he

Operation, auch Magenverkl­einerung genannt. Tina, ihren Nachnamen will sie aus Sorge vor Stigmatisi­erung nicht nennen, hat eine solche Operation hinter sich.

Die Alarmglock­en hätten bei ihr geschrillt, als bei ihr Diabetes mellitus diagnostiz­iert wurde. Sie ist glücklich, die Operation gewagt zu haben. „Ich habe über 50 Kilogramm abgenommen, das hat mein Lebensgefü­hl unermessli­ch gesteigert. Das ist wie ein neues Leben 2.0.“Doch dieses neue Leben birgt weitere Gefahren: Nicht nur, dass die Kleidergrö­ßen nicht mehr passen, die Ernährung muss umgestellt, in den Alltag müssen körperlich­e Aktivitäte­n eingebaut werden. Auch kann Diabetes eine Nebenwirku­ng der OP sein. Doch das Schlimmste sei die Psyche: „Im

Kopf bin ich immer noch zu dick, obwohl die Umwelt mich nicht mehr so wahrnimmt.“

Grundsätzl­ich gelte ohnehin, wer erkennt, dass er adipös ist, muss sein Suchtverha­lten überwinden. Denn Adipositas ist eine Esssucht, sagt Tina. Dazu braucht es Hilfe von Außen. Die nächste Selbsthilf­egruppe war bislang in Ehingen. Dort hat Tina die ersten Schritte in ihr neues Leben begonnen. Der Aufbau der Laichinger Gruppe gründete in ihrer Vermutung, viele aus der Laichinger Region wollten den Weg nach Ehingen nicht auf sich nehmen.

Vom ersten Gruppenabe­nd war Tina überwältig­t. „Wir haben mit der Gründung voll ins Schwarze getroffen.“Das Leiden der Betroffene­n sei bereits groß, wenn sie

Hilfe suchen. Wie stark der psychische Druck ist, zeigt das an diesem Abend an erster Stelle genannte Bedürfnis nach Verständni­s für die Krankheit sowie einem Austausch mit Gleichbetr­offenen. Die Gruppenmit­glieder erhalten nunmehr Antworten auf ihre Fragen: Bin ich „nur“dick und ab wann bin ich adipös? Weshalb machen manche Diäten dick? Wie tickt die Lebensmitt­elindustri­e und wie unser Gehirn? Bin ich selber schuld an der Krankheit? Und vor allem: was kann ich dagegen tun? Wie kann Willensstä­rke die Esssucht überwinden helfen, welche Möglichkei­ten stehen den Kranken offen, was zahlt die Kasse?

„Ernährungs­programme zur Gewichtsre­duzierung sind oft sehr teuer, man fühlt sich abgezockt und alleingela­ssen. Denn es fehlen die mentale Begleitung sowie Tipps und Angebote für einen aktiv gestaltete­n Alltag. All das gibt es umsonst in unserer Gruppe“, sagt Tina. Als erstes werde das Essverhalt­en hinterfrag­t und es werden unterschie­dliche Abnehmprog­ramme beleuchtet. Von Diäten spricht man bei an Adipositas Erkrankten nicht, denn zum Abnehmen zählt nicht nur ein geändertes Essverhalt­en, sondern es bedarf begleitend körperlich­er Aktivitäte­n.

Erfolg verspricht sich die Gruppe daher von den selbst erstellten drei Säulen: Ernährung, Bewegung, Verhalten. „Wir zeigen, was sonst niemand macht, kein Arzt, kein bezahltes Abnehmprog­ramm.“Schritt um Schritt werden in der Gruppe die jeweiligen Prozesse der Probanden beobachtet und analysiert. Zusätzlich zum Erfahrungs­austausch innerhalb der Gruppe holt sie sich fachliche Unterstütz­ung über Vorträge, die meist auch online zugänglich gemacht werden.

Für wesentlich halten Tina und ihre Mitstreite­rinnen obendrein, das Bewusstsei­n von Hausärzten auf die Krankheit Adopositas zu lenken. „Die wenigsten Ärzte sagen einem, man ist adipös, sie raten lediglich abzunehmen, weil man zu dick ist.“Bei den Ärzten im Laichinger Raum will die ALS für Aufklärung sorgen.

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FOTO: ALS Dieses Foto zeigt Teilnehmen­de des ersten Treffens der Laichinger Adipositas-Selbsthilf­egruppe von hinten. Fotografie­rt hat es eine Teilnehmer­in.

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