Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Deutschland will Verschärfung des EU-Asylrechts mittragen
Verfahren sollen stärker an die Außengrenzen verlagert werden – Bundesregierung reist mit Bedingungen zum Innenministertreffen
(AFP/dpa) - Die Bundesregierung will die von der EU-Kommission anvisierte Verschärfung des Asylrechts unter bestimmten Bedingungen mittragen. Im Kern geht es um den Plan, Asylverfahren bereits an den EU-Außengrenzen auszuführen: Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) signalisierte in einem Interview mit den Funke-Zeitungen vom Samstag Unterstützung für diese Grenzverfahren unter der Bedingung, dass Familien mit Kindern davon verschont blieben, dass niemand „länger als einige Wochen“in einem solchen Verfahren stecken bleibe und „dass das Recht auf Asyl im Kern nicht ausgehöhlt“werde.
„Grenzverfahren sind hochproblematisch, weil sie in Freiheitsrechte eingreifen“, räumte Baerbock ein. Aber der Vorschlag der EU-Kommission sei die einzige realistische Chance, in der EU aus 27 Mitgliedsstaaten auf absehbare Zeit überhaupt zu einem geordneten und humanen Verteilungsverfahren zu kommen. Die Grenzverfahren seien damit „Fluch und Chance zugleich“.
Nichtregierungsorganisationen und Kirchen hatten scharfe Kritik an den Plänen geübt. In einem gemeinsamen Appell hatten im Mai mehr als 50 Nichtregierungsorganisationen an die Bundesregierung appelliert, die EUPläne aufzuhalten. Sie warnten vor einer Aushöhlung des Asylrechts auf EU-Ebene.
Baerbock zeigte Verständnis für solche Einwände, und sie räumte ein, dass die Grenzverfahren auch in ihrer eigenen Partei umstritten seien. „Aber auch ein Nichthandeln hätte bittere Konsequenzen“, sagte sie. Denn ohne eine gemeinsame europäische Antwort gehe der Trend schon jetzt „überall zu mehr Abschottung“, sagte Baerbock. „Und ohne Ordnung an den Außengrenzen ist es nur eine Frage der Zeit, bis ein EU-Land nach dem anderen
wieder über Binnengrenzkontrollen redet.“
Konkreter Anlass der Debatte ist das bevorstehende Treffen der Innenministerinnen und -minister der EU am Donnerstag in Luxemburg. Diskutiert werden weitere Maßnahmen, um als illegal eingestufte Grenzübertritte an den Außengrenzen zu verhindern. Asylverfahren könnten entweder dort in noch zu errichtenden Aufnahmeeinrichtungen oder in Drittstaaten außerhalb der EU durchgeführt werden. Zudem könnten weitere Länder als sogenannte sichere Herkunftsländer definiert werden.
Die Bundesregierung verständigte sich inzwischen auf eine gemeinsame
Haltung für die Gespräche. Es gelte zwar, „Migration nachhaltig zu ordnen und zu steuern sowie die irreguläre Migration zu begrenzen“, sagte ein Sprecher des federführenden Bundesinnenministeriums von Nancy Faeser (SPD) dazu dem „Tagesspiegel am Sonntag“. Er fügte jedoch hinzu: „Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, Kinder und Jugendliche sowie Familien mit Kindern von den Grenzverfahren auszunehmen.“
Die Koalitionspartei FDP pocht dagegen nicht darauf, dass der ursprüngliche EU-Kommissionsvorschlag, der nur Kinder unter zwölf Jahren vom Grenzverfahren ausnimmt, auf Jugendliche
und Familien ausgeweitet wird. „Eine menschenwürdige Versorgung aller Flüchtlinge und eine effiziente Durchführung der Asylverfahren an den EU-Außengrenzen muss gewährleistet und sichergestellt sein“, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai dem „Tagesspiegel“. „Wenn diese Regeln gelten, dann braucht es auch keine Debatte zu möglichen Ausnahmen, die eine Einigung in Europa wieder nur gefährden würden.“
Die Union kritisierte die von der Bundesregierung vorgetragenen Bedingungen für die Grenzverfahren. Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) warf der Koalition vor, die EU-Vorschläge
„an verschiedenen Stellen weiter aufzuweichen“. Der Zeitung sagte er: „Wenn man Familien von den Verfahren an den Außengrenzen ausnimmt, schwächt das den Ansatz.“Auf deren Bedürfnisse müsse und könne in den Verfahren selbst Rücksicht genommen werden.
Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann sprach von „extrem schwierigen“Verhandlungen auf EU-Ebene. Deutschland poche dabei auf faire Asylverfahren. Die EU müsse in der Asylpolitik „Humanität, Handlungsfähigkeit, Solidarität und Ordnung“beweisen, sagte Haßelmann den Funke-Zeitungen vom Sonntag. „Der Zugang zu individuellen und rechtsstaatlichen Asylverfahren und menschenwürdiger Unterbringung ist auch für die Zukunft unbedingt sicherzustellen.“
Schauspieler, Musiker und andere Prominente sprachen sich in einem offenen Brief an die Bundesregierung gegen eine Verschärfung der Asyl-Politik etwa mit Grenzverfahren aus. Als Unterzeichner des Internetaufrufs wurden unter anderem Herbert Grönemeyer, die Bands Kraftklub und Revolverheld, die Schauspieler Katja Riemann und Benno Fürmann sowie Fernsehmoderatorinnen und -moderatoren wie Klaas Heufer-Umlauf und Ruth Moschner aufgelistet. Der Regierung wird im Schreiben vorgeworfen, statt versprochener Verbesserungen „nun den massivsten EU-Asylrechtsverschärfungen jemals“zustimmen zu wollen.
Hintergrund der EU-Beratungen sind die gestiegenen Migrantenzahlen. Seit Monaten versuchen sehr viele, von Nordafrika über das Mittelmeer Süditalien zu erreichen. Nach Angaben aus Rom kamen seit Januar mehr als 50.000 Migranten auf Booten nach Italien. Dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zufolge starben seit Jahresanfang bei Überfahrten mehr als 980 Menschen oder werden seither vermisst. In Deutschland wurden in den ersten vier Monaten dieses Jahres gut 100.000 Asylerstanträge vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entgegengenommen, eine Zunahme um rund 78 Prozent.
Der Chef der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber (CSU), verteidigte die Idee von Asylverfahren an den Grenzen. In der „Neuen Osnabrücker Zeitung“sprach er sich zugleich dafür aus, dass die Bundespolizei Schiffe ins Mittelmeer schickt, um in Seenot geratene Menschen zu retten – wie früher bei der EUMarinemission „Sophia“.