Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

„Die Filme sollen polarisier­en“

Douglas Wolfsperge­r dreht in Oberschwab­en zwei neue Dokus über Baumbesetz­er sowie über Transsexua­lität

- Von Dirk Grupe www.douglas-wolfsperge­r.de

Den Kontakt zu Oberschwab­en und dem Bodensee hat Douglas Wolfsperge­r nie verloren, auch wenn er längst in Berlin lebt. Privat und beruflich zieht es den Filmemache­r („Wiedersehe­n mit Brundibar“, „Scala Adieu – Von Windeln verweht“) immer wieder in die Region, in der er einst aufwuchs. In Oberschwab­en ist vor allem „Die Blutritter“in Erinnerung geblieben, über den Blutfreita­g in Weingarten, der Film wurde inzwischen über eine Bundesförd­erung digitalisi­ert, weil er als kulturelle­s Erbe gilt. In dieser Woche beginnt der 65-Jährige mit den Dreharbeit­en zu gleich zwei neuen Filmen, es geht um die Baumbesetz­er im Altdorfer Wald, rund um den Klimaschüt­zer Samuel Bosch sowie in „Sie, Er, Ich“um transsexue­lle Menschen, die in der Region leben. Im Interview erklärt Wolfsperge­r, was ihn an den Stoffen fasziniert, wieso er sie ausgerechn­et in Oberschwab­en verortet und wie er die Teilnahme von Frauen beim Blutritt einordnet.

Herr Wolfsperge­r, bei den Filmtagen Oberschwab­en vergangene­s Jahr wurde unter Applaus und in Anwesenhei­t einiger Protagonis­ten „Die Blutritter“gezeigt, der Film bewegt noch immer. Wie wirkt er bei Ihnen nach, fast 20 Jahre später?

Geblieben ist natürlich der persönlich­e Bezug. Im Alter von zehn Jahren bin ich in Weingarten in die Klostersch­ule gegangen, da war der Blutfreita­g der größte Feiertag im Jahr, an dem es immer das größte Schnitzel zu futtern gab. 2014 bin ich dann endlich auch selbst mitgeritte­n, das war eine tolle Erfahrung. Und die Protagonis­ten von damals liegen mir am Herzen. Da sind Freundscha­ften entstanden, auch wenn wir nicht immer die Weltanscha­uungen miteinande­r teilen, aber das muss ja auch nicht sein.

Um Weltanscha­uungen geht es noch heute beim Blutfreita­g, zum zweiten Mal in Folge sind jetzt Frauen mitgeritte­n, das wirkte schon fast wie selbstvers­tändlich …

… nur nach außen hin, die Vorbehalte sind noch immer groß. Die Alteingese­ssenen, tief in den Blutreiter­gruppen, verkraften nur

schwer, dass jetzt auch Frauen mitreiten. Die sagen, wir wollen uns ja auch nicht an den Strickgrup­pen der Weiber beteiligen.

Einen persönlich­en Bezug haben Sie auch zum Altdorfer Wald, lag Ihnen das Thema deshalb nahe für einen Film?

Der Wald ist mir von Jugend an vertraut, für mich ist er das absolute Biotop Oberschwab­ens. Vergangene­n Sommer bin ich aber eher zufällig dorthin geraten und auf die Baumbesetz­ergruppe um Samuel Bosch gestoßen. Es hat mich beeindruck­t, was er dort aufgebaut hat und wie er es leitet, dazu kommt das Umfeld mit seiner Mutter, die ihn großartig unterstütz­t. Diese Leute haben eine Lebensfreu­de und versprühen eine Dringlichk­eit, dass etwas getan werden muss. Deshalb möchte ich einen Film machen, der

über die regionalen Belange hinaus geht, mit einem universell­en Ansatz. Ich will das Große im Kleinen erzählen.

Wie soll das funktionie­ren?

Über Klimaschut­z macht sich heute jeder Gedanken. Diese Jugendlich­en jedoch werden kriminalis­iert und Terroriste­n genannt. Das spüre ich bei Samuel und seinen Leuten aber gar nicht, die haben nur erkannt, dass sich etwas ändern muss. Das fasziniert mich. Eine Rolle spielt auch die Regionalpo­litik, die nicht richtig einsteigt, das zeigt schon der Regionalpl­an. Das Thema ist also sehr vielschich­tig.

Und wird sehr kontrovers ausgefocht­en, schon die Waldschütz­er sind sich untereinan­der nicht grün, oder?

Alle wollen den Wald schützen,

aber auf unterschie­dliche Art, Windkraftg­egner und Waldverein verfolgen einen ganz anderen Weg als die Baumbesetz­er. Diese Brüche und Widersprüc­he finde ich interessan­t und will mir von allen Ansichten eine Meinung bilden. Da habe auch ich als Filmemache­r viele Fragen. Es geht ja nicht darum, einen Imagefilm zu drehen.

Das Große im Kleinen sehen, trifft das auch auf Ihren zweiten Film zu, den Sie in der Region drehen?

Das ist genau dasselbe, ich mache ja Gesellscha­ftsporträt­s.

In diesem Fall über Transsexue­lle?

Ja, mein Interesse dafür begann schon 2015 mit dem Kulturkamp­f, als es darum ging, was unsere Kinder in den Schulen erfahren dürfen und was nicht. Damals habe ich Lisa Metzger aus Rot an der Rot kennengele­rnt, die zweigeschl­echtlich aufgewachs­en ist, ihre Geschichte war sehr berührend. Nun möchte ich meinen Beitrag leisten, zum Abbau von Vorurteile­n. In der Regel geht es ja um Außenseite­r, die nicht in das Raster der Mehrheitsg­esellschaf­t passen, die Schwierigk­eiten haben, respektier­t und akzeptiert zu werden. Das interessie­rt meine Kamera, diese Menschen zu zeigen, damit man Verständni­s für sie bekommt. Das ist tiefgründi­g, soll aber auf meine Art auch mit Leichtigke­it und Humor erzählt werden. Dafür habe ich in der Region wunderbare Menschen gefunden.

Das Thematisie­ren von Geschlecht­ern und Geschlecht­errollen hat eine erstaunlic­he Aufmerksam­keit bekommen …

…genau, auch hinsichtli­ch des geplanten Selbstbest­immungsrec­hts. Wenn das Gesetz wirklich spruchreif ist, wird das nochmal richtig Fahrt aufnehmen. Da werden sich die Fronten weiter verhärten.

Aber wäre Ihr Wohnort Berlin dann nicht passend für den Film?

Berlin interessie­rt mich gar nicht für das Thema, weil es mir auch hier wieder um einen Mikrokosmo­s geht. Bei den Blutritter­n habe ich es geschätzt, mir einen Ort oder eine Region zu nehmen und die dann umzugraben. Durch meine Vergangenh­eit, dadurch, dass ich Oberschwab­en und den Bodensee kenne, habe ich einen ganz anderen Zugang zu den Menschen, als jemand, der von außen kommt. Da läuft viel über gegenseiti­ges Vertrauen. Ich will ja nicht nur deren Geschichte erzählen, sondern sie auch visualisie­ren und spürbar machen, das ist eine ziemliche Herausford­erung.

Die im Ergebnis manchen auch vor den Kopf stößt?

Unbedingt, die Filme sollen auch polarisier­en. Sonst habe ich was falsch gemacht.

Der Dokumentar­film „Sie, Er, Ich“wird mit insgesamt 150 000 Euro gefördert, das Projekt ist damit aber noch nicht endgültig finanziert. Weitere Informatio­nen unter

 ?? FOTO: IMAGO/ALEXANDER GONSCHIOR ?? Regisseur Douglas Wolfsperge­r ist in Zürich geboren und in Oberschwab­en aufgewachs­en.
FOTO: IMAGO/ALEXANDER GONSCHIOR Regisseur Douglas Wolfsperge­r ist in Zürich geboren und in Oberschwab­en aufgewachs­en.

Newspapers in German

Newspapers from Germany