Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Merklinger begeistert mit Musik und als Lehrmeister
Serhii Shkoliarenko hat vor fünf Jahren seine Heimat verlassen und sich in Deutschland ein neues Leben aufgebaut
- Wo er spielt, hinterlässt er Eindruck. Wo er unterrichtet, ebenfalls. Der aus der Ukraine stammende Konzertpianist Serhii Shkoliarenko lehrt Musik und Deutsch am Michelsberg Gymnasium in Geislingen.
Michelsberg Gymnasium, erste Etage im Container: Gerade ist der Deutsch-Unterricht für die Schülerinnen und Schüler zwischen zehn und 16 Jahren im kahl wirkenden Klassenzimmer beendet. Bester Laune sitzt Serhii Shkoliarenko noch am Lehrerpult. Als das Regierungspräsidium Stuttgart im Jahr 2022 Lehrer suchte, hatte er sich beworben, bekam die Stelle und unterrichtet seit 2023 Deutsch in der Vorbereitungsklasse und Musik in einer Regelklasse am Geislinger Michelsberg Gymnasium. Freilich, eine neue Erfahrung für den studierten Konzertpianisten, der schon in der Ukraine an der städtischen Musikschule unterrichtete. Deutsch-Unterricht in der Vorbereitungsklasse sei für ihn allerdings eine Herausforderung gewesen. Er habe sich aber schnell einarbeiten können und dabei auf die eigene Erfahrung vertraut.
Vor fünf Jahren verließ der 38jährige Musiker seine Heimatstadt Charkiw und begann in Stuttgart ein neues Leben. Innerhalb eines Jahres lernte er die deutsche Sprache bis zur C 1 Prüfung, übernahm parallel einen Minijob in einem Café und begab sich trotz seiner Ängste vor Verständigungsschwierigkeiten „mitten unter die Leute, rein in die Gesellschaft“, erzählt er.
Im Wohnheim hätte man sich eher in der Muttersprache verständigt, doch um Deutsch zu lernen, suchte er den Bezug nach außen. „Dabei ging es mir um Kontakte, um Freunde, um das Ankommen in einem neuen Land, das zur Heimat werden soll“, berichtet er. Außerdem wollte er schnell einen Job finden, um finanziell unabhängig zu sein. „In meiner Branche ist das schwer“, weiß er, trotz seiner beachtlichen Musikkarriere: Im Alter von sechs Jahren begann er mit dem Klavierspielen an einer Musikschule für musikalisch besonders begabte Kinder. In Charkiw studierte er Klavier und promovierte am renommierten Tschaikowsky-Konservatorium in Moskau, wo er seinen Doktor als Pianist absolvierte. Dieser folgte noch eine wissenschaftliche Promotion.
In Stuttgart bewies sich Shkoliarenko seit seiner Ankunft beherzt zupackend: Eine Tätigkeit als Barista in einem Café verschaffte ihm die Möglichkeit, Kleidung und Essen selbst zu finanzieren, wie er berichtet. Mit Einzug der Corona-Pandamie schloss das Café, doch eine private Musikschule stellte ihn als Klavierlehrer ein. Über neue Kontakte fand er sogar einen Flügel zum Proben, doch als mit dem September 2020 der komplette Lockdown kam verblieb nur noch etwas Online-Unterricht. Shkoliarenko übernahm erneut eine Tätigkeit als Barista-Angestellter in Stuttgart, womit er sich auch in der Ukraine Geld für sein Studium verdient hatte, berichtet er. So schaffte er es, auf diesem Weg eine eigene Wohnung samt Lebensunterhalt zu finanzieren.
Diszipliniert arbeitete er sich in die deutsche Gesellschaft hinein, spricht bis heute über sein Glück mit Kollegen, nur auf seine Bewerbungen als Musiklehrer erhält er keine Einladung. Also gibt er Konzerte, überwiegend im Benefizbereich, und sagt: „Ich warte nicht auf ein Wunder. Was soll man erwarten? Woher soll etwas kommen? Das Glück kommt zu dem, der etwas tut.“Shkoliarenko ist ein Mensch, der sich bewegt und selbst gestalten will, trotz aller Schwierigkeiten. „Wenn es gerade nicht die Musik ist, ist es eben Barista“, sagt er, was bei ihm authentisch klingt. „Alles Tun unterstützt unsere Fähigkeiten. Man muss sich anpassen können.“Keineswegs sei es für ihn schlimm als Barista anstatt als Musiker tätig zu sein: „Das wäre eine ganz falsche Einstellung, denn alles was wir tun, prägt unseren Charakter und formt unser Menschsein.“
Und so verwundert es kaum, dass dieser sich selbst zurücknehmende Musiker auch ein Sympathieträger auf der Bühne ist: Wer ihn hört, will mehr davon, staunend über Technik und Ausdrucksfähigkeit. Seit 2021 begeistert er immer wieder sein Publikum als Konzertpianist, häufig im Benefizbereich, nebenher ist er ein begleitender Unterstützer im Kinderhospiz Stuttgart. Auch hier spielt er dazu noch ehrenamtlich Klavier und ist froh, dass er „mit dieser Kunst etwas für die Kinder tun kann, weil es sie entspannt.“
Im August 2023 zog Shkoliarenko zu seinem Lebensgefährten in die Gemeinde Deggingen. Seine Eltern kamen im Frühjahr aus Charkiw auf die Albhochf läche und wohnen seitdem in Merklingen: „Ich habe mit meiner Mutter telefoniert, als sie im dunklen Flur saß, nachdem eine Bombe ins Haus geflogen ist. Sie hatten keinen Strom und kein Wasser mehr, packten mit Kerzenlicht die Koffer und f lohen.“Jetzt fühle es sich an, wie ein Glück im Unglück: „Sie sind in Sicherheit“, sagt er.