Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Wie Ewald Schrade alle Zweifler überraschte
Der bekannte Galerist schuf in Mochental ein Zentrum der Kunst – Die aktuelle Ausstellung ist wieder ein Blickfang
- „Unglaublich“, „Wahnsinn“: Wenn der Galerist Ewald Schrade durch die Ausstellungsräume im Schloss Mochental schreitet, zeigt er sich von den Künstlern und Werken begeistert, wie ein Besucher, der die Bilder und Skulpturen zum ersten Mal erblickt. Ewald Schrade lebt für die Kunst. Und er hat sich national wie international einen Namen gemacht. „Was bleibt von den Menschen übrig?“, fragt der 82-Jährige und antwortet: „die Kunst“. Man müsse ja nur nach Blaubeuren gucken, wo Kunstwerke aus der Eiszeit ausgestellt sind.
Erst bestimmte das Handwerk sein Leben, dann kam er über Umwege zur Kunst: Als Ewald Schrade mit 19 Jahren bei einem Motorradunfall seine rechte Hand verlor, musste er seinen Beruf als Modellschreiner aufgeben. „Mir blieb nichts anderes übrig, als Schreibtischtäter zu werden“, erzählt er. So kam es, dass er ein Versicherungsbüro mit Bankzweigstelle in Reutlingen führte. In dieser Zeit wuchs das Interesse für die Kunst, erstmals stellte er Werke selbst aus, bis er 1975 die Zweigstelle in Reutlingen aufgab und sich ganz auf den Kunstbetrieb fokussierte.
Sein Weg führte über Kißlegg beziehungsweise Wolfegg, bis er davon hörte, dass das Schloss Mochental schon lange leer stand. Mittlerweile bewirtschaftet er es seit 39 Jahren. Idyllisch gelegen, zieht die Galerie im Schloss Mochental Menschen von nah und fern an. Hier können auf 2800 Quadratmeter Werke der Gegenwartskunst wie auch der klassischen Moderne betrachtet werden. Der Dialog zwischen den Kunstwerken und den barocken Schlossräumen ist dabei ein Kunsterlebnis für sich.
Als er hier angefangen hat, hätten Viele ihre Zweifel geäußert, erzählt Schrade. Was er denn da
im Wald wolle, habe ihn ein Künstler gefragt. Denn letztlich ist es eine Galerie im Nirgendwo. „Ich habe das Schloss zum Zentrum der Kunst gemacht, abseits von den großen Städten des Landes“, sagt der 82-jährige Galerist stolz. Doch funktioniere das nur, wenn das Programm auch entsprechend ist, dass sich für die Menschen die Fahrt hierher aufs Land lohnt. Mit den parallel laufenden Ausstellungen „auf hohem Level“und über drei Etagen hinweg, sei ein Besuch in Mochental ein richtiges Erlebnis, was zur „ausgeprägten Erlebnisgesellschaft“, in der wir leben, passe, erklärt er. Hier finde ein Zusammenspiel von Natur und Kultur, von Kunst und Landschaft statt, „das ist eine großartige Situation“.
An den Wochentagen, an denen er hier ist, lebt Schrade selbst in den Schlossräumen. „Für Menschen, die Freude an der Kunst haben, ist es hier ein Eldorado“, sagt er. Die Besucher kämen teils von weit her, etwa aus Stuttgart oder
aus der Bodenseeregion. Es sind Kunstsammler, die Werke erwerben möchten, es sind zum großen Teil aber auch ganz einfach Museumsbesucher. Natürlich müsse er auch Werke verkaufen, immerhin bewirtschafte er das Haus seit bald 40 Jahren und müsse Geld verdienen. Doch denkt er bei der Auswahl der Künstler nicht an den Verkauf, vielmehr suche er sie aus, „weil sie in der Kunst etwas vorangebracht haben“. Die Kunst sei eine Kraft, betont er, und es gebe immer etwas Neues zu entdecken und zu erkennen. Das, was er für gut empfindet, soll auch seine Besucher begeistern. „Ich vertraue meinem Geschmack“, betont Schrade, „man muss sich selbst vertrauen“.
Bei der Auswahl verlässt sich der 82-Jährige daher auf seinen Instinkt. „Es muss was sein, von dem ich überzeugt bin.“Mit den Jahren hat sich der Instinkt mit weitreichendem Wissen gepaart. „Heute bin ich so was wie der Papst“, sagt der 82-Jährige nach mehr als 50 Jahren Galerietätigkeit.
Für die Künstler sei es etwas Besonderes, wenn sie hier im Schloss Mochental eine Ausstellung haben. Er habe immer den Kontakt zum Kunstbetrieb gepflegt und auch stets mit jüngeren Künstlern zusammengearbeitet. Viele Besucher in Mochental seien ebenfalls jung oder der mittleren Altersklasse angehörig.
Erst kürzlich hat wieder eine spannende Ausstellung im Schloss begonnen: Zu sehen sind eine Vielzahl von Werken des norddeutschen Künstlers Bernd Schwarting. Manche haben etwa Dekoratives, fast Kitschiges an sich, andere sind düster romantisch. Sofort fällt die Eigenart der Werke Schwartings ins Auge: Besonders bei der Schöpfung der vielen Blüten trägt der Künstler die Farben richtig dick auf, teilweise mehrere Zentimeter. So ragen die Pf lanzen auch mal über den Rand der Bilder hinaus. Es entstehen Zwitterwerke aus Malerei und Plastik.
„Er modelliert richtig“, erklärt Schrade. Der Maler trage die Farbe
über lange Zeit auf, lasse sie zwischendurch wieder trockenen, um dann wieder neue Farbe aufzutragen und zu modellieren. Man hat den Eindruck, die Farbe wächst aus der Leinwand heraus. Es dominieren Blüten – strahlende, bewegte und ausdrucksstarke Blüten – manche wirken wie Sonnen, andere wie Kraken. Eine Besucherin bemerkt, es sei für einen Mann doch ungewöhnlich, dass die Werke so floral und blumig daherkommen.
Doch das Dekorative kann auch kippen. Manche Werke wirken mystisch und geheimnisvoll – die Farben eher dunkel, und hier und da blitzen den Betrachter Augen an. Man kann eine schwarze Katze, Fische oder auch einen Nachtalb erkennen. „Das Unsichtbare danach“lautet ein Titel. Auf manchen Leinwänden erstrecken sich faszinierende Landschaften mit viel Dynamik und mit leuchtenden Farben, die förmlich in den Raum strahlen. Eines haben die Werke so gut wie alle gemeinsam: Sie sind menschenleer, manche wirken gar postapokalyptisch.
Unter manchen Bildern erkennt man rote Aufkleber – ein Zeichen dafür, dass sie bereits verkauft sind. Heute genieße die Kunst eine viel größere Popularität in der Gesellschaft als vor 50 Jahren, zu der Zeit als er angefangen hat, sagt Schrade. Damals beschäftigte sich ein kleiner Zirkel mit der Kunst, es war „eine eingeschworene Gemeinde, die fast sektiererisch zusammenkam“, erklärt er. Heute sei die Kunst in der breiten Öffentlichkeit angekommen – durch ein Zusammenspiel derjenigen, die etwas für die Kunst getan haben, indem sie sie ausgestellt, beleuchtet und besprochen haben. Museen seien heute gut besucht und auch der Kunstmarkt habe sich verändert: Früher habe man sich eher ein Mühlrad in den Garten gestellt. Heute strebten viele danach, ein Werk von einem Künstler zu erwerben.
Bekannt wurde Ewald Schrade durch die Gründung der Art Karlsruhe vor 20 Jahren. Auch damals gab es viel Skepsis, wie bei der Gründung der Galerie im Schloss Mochental. „Das kann doch nichts werden“, habe man gesagt. Dass er es trotzdem durchzog und das auch noch so erfolgreich, damit habe er Viele überrascht, sagt er. Im vergangenen Jahr schließlich gab er die Leitung ab. Warum? „Es reicht. Man muss wissen, wann’s gut ist“, erklärt der 82-Jährige. Außerdem gehe es ja weiter. Als Aussteller bleibe er der Messe verbunden. Eigentlich ist Schrade schon immer gependelt. Aktuell pendelt er noch zwischen seinen Galerien in Mochental und Karlsruhe. Auf die Frage, was die Kunst ihm persönlich bedeutet, sagt Ewald Schrade, dass sie „etwas sehr Göttliches“sei: „Es ist etwas, das über alle Grenzen – sprachliche, territoriale und ethnische – hinausgeht.“Kunst schwebe über allen Dingen – und gebe Kraft.