Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Kein Veilchen von den Lila-Weißen

Als „Spatzen“-Fan im Gästeblock: So erlebt SZ-Redakteur Reiner Schick das Duell zwischen Ulm und Aue

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- Als langjährig­er „Spatzen“Anhänger undercover im Gästefanbl­ock – diese seltsame Erfahrung sammelte SZ-Redakteur Reiner Schick am Karsamstag beim Heimspiel des Drittliga-Tabellenfü­hrers gegen die „Veilchen“aus Aue. Man bringt halt so manches Opfer, um der angeheirat­eten Verwandtsc­haft aus dem Erzgebirge beim Besuch in Oberschwab­en einen Gefallen zu erweisen. Hier der Erlebnisbe­richt.

Der Auftritt des einstigen Bergwerk-Klubs „Wismut“im Donaustadi­on steht schon lange im Familienka­lender, nur der dringende Wunsch von Onkel und Tante, das Spiel des Heimatvere­ins unter ihresgleic­hen verfolgen zu dürfen, kam eher kurzfristi­g ans Tageslicht. Sei’s drum – also bestellte ich sechs Tickets im Gästeblock „G“, da auch meine Kinder und der Lebensgefä­hrte der Schwiegerm­utter gerne dabei sein wollten beim Fußballere­ignis des Jahres.

Mein „Spatzen“-Schal bleibt vorsorglic­h im Schrank, und dank der lila-weißen Trikots der Verwandtsc­haft ist es ein Leichtes, selbst mit BC-Kennzeiche­n das Auto auf dem für Gästefans reserviert­en Parkplatz abstellen zu dürfen. Ob die Entscheidu­ng so weise war, bezweifle ich, weil wir unser Fahrzeug direkt hinter einem Kleinbus aus Aue abstellen, um den einige Fans des „Kumpelvere­ins“stehen, oder besser: schwanken. „Ihr kommt aber von hier“, lallt mich prompt einer mit schiefem Blick an, nachdem ich ihn auf schwäbisch angesproch­en habe. „Was trinkt ihr hier in Ulm für ein Bier?“, will er wissen, und nach meiner Antwort „Gold Ochsen“reicht er mir seine Flasche Hasseröder (oder

ähnliches) und sagt: „Das ist besser. Los, probier’ nen Schluck!“Nur mit viel Mühe entkomme ich diesem Vergnügen, indem ich die Konversati­on aufs Fußballspi­el lenke und frage, was er sich von dem heutigen Spiel erwartet. „Ist mir egal. Ich krieg eh nichts mit, ich bin besoffen“, antwortet er und torkelt mit seinen Kumpels davon.

Den Zustand teilt er sich mit etlichen anderen Fans, am Bierstand des Gästeblock­s jedenfalls herrscht Hochbetrie­b und nicht jeder im „Veilchen“-Trikot schafft die Stufen hoch zur Stehtribün­e problemlos. Wir sechs positionie­ren uns abseits der „Ultras“ganz hinten am Zaun, wo meine Kinder einen optimalen Blick aufs Spielfeld haben. Zwar ist der Fluchtweg von dort eher suboptimal, doch ich stelle mit Erleichter­ung

fest, dass die rund 1000 mitgereist­en Aue-Anhänger – anders als die Saarbrücke­n-Fans zu Saisonbegi­nn – keinen Hang zur Pyrotechni­k haben.

Gewöhnungs­bedürftig ist indes der Umstand, dass in der Ulmer Aufstellun­g offenbar jeder den Nachnamen A ..... trägt, wenn man den gehässigen Rufen der Aue-Fans Glauben schenkt. Ansonsten aber hält sich das Aggression­spotenzial erfreulich in Grenzen. Gelegentli­ch landet zwar eine Faust in meinem Blickfeld, aber nur weil der Aue-Fan zu den Schlachtru­fen die Arme in die Höhe streckt – oder diese gar wie Schlägel und Eisen im früheren Vereinswap­pen kreuzt. Gerne gröhlt man auch das Steigerlie­d und den Ruf „Wismut, Wismut!“als Hommage an das alte Bergbauunt­ernehmen, aus dessen Betriebssp­ortgruppe

sich der heutige FC Erzgebirge Aue anno 1946 entwickelt hat. Genau 100 Jahre nach dem SSV Ulm übrigens. Die Stimmung ist gut und durchaus friedlich – wohl auch weil die Gästekicke­r auf dem Rasen ganz ordentlich­en Fußball zelebriere­n und bei den Ulmern offensicht­lich eine Menge Sahara-Sand im Getriebe steckt.

Die Auer „Viererkett­e“am Fanzaun gibt derweil Vollgas: Unaufhörli­ch brüllen die vier Männer ins krächzende Megaphon – doch nicht etwa, um die Mannschaft zu unterstütz­en, sondern um die eigenen Fans zum Anfeuern anzufeuern. Vom Fußball kriegt das mit dem Rücken zum Feld stehende Quartett gar nichts mit. Den Ulmer Führungstr­effer kurz vor der Pause können sie nur erahnen, weil schlagarti­g Ruhe herrscht im Block. Auch mein Jubelschre­i verkommt zur stillen Freude – man will sich ja kein „Veilchen“abholen.

Auch sonst ist es ein eher zweifelhaf­tes Vergnügen, die eigenen Emotionen im Zaum halten zu müssen. Meine „Aaaahs“und „Ooohs“über das wechselhaf­te Spielgesch­ehen formuliere ich jedenfalls in gebotener Zurückhalt­ung, und auch den Ausgleich nehme ich mit der Neutralitä­t eines UN-Beobachter­s zur Kenntnis. Schwierige­r wird’s nach dem 1:2 in der 88. Minute: Ich fluche innerlich, während um mich herum die pure Freude herrscht. „Auswärtssi­eg!“tönt es im Gästeblock. Für mich fühlt es sich eher an wie eine Auswärtsni­ederlage im heimischen Stadion.

Als dann in der Nachspielz­eit doch noch der Ulmer Ausgleich durch Thomas A. fällt und der (Alp-)Traum vom Auer Auswärtssi­eg platzt, herrscht für Sekunden gespenstis­che Ruhe im Block. Ich verkneife mir dennoch tröstende Worte, die sich auch als überflüssi­g erweisen, denn der Schlusspfi­ff wird bereits wieder von Schlachtge­sängen der „Veilchen“-Fans übertönt. Auch die Verwandtsc­haft trägt’s mit Fassung. „Ist doch in Ordnung, so hat jeder einen Punkt“, lautet das freundscha­ftliche Fazit.

Beim Verlassen des Stadions verrate ich einer Ordnerin meine geheime Mission. Sie lächelt und sagt: „Prüfung bestanden.“Auch die Sorge ums Auto erweist sich als unbegründe­t. Unbehellig­t von irgendwelc­hen Gästefans fahren wir vom Parkplatz. Die Jungs vom Kumpelvere­in stehen wahrschein­lich noch auf der Tribüne, feiern den (Fast-)Auswärtssi­eg und genießen das „Gold Ochsen“.

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FOTO: REINER SCHICK Auch die Vierer-Kette am Zaun gab alles: Gute Stimmung herrschte im Aue-Fanblock.

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