Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Wunden löten statt nähen

Wenn bei Operatione­n nicht genäht werden kann, sollen künftig Nanothermo­meter und Laser- oder Infrarotst­rahlen zum Einsatz kommen

- Von Roland Knauer ●

Die Erfindung von Nadel und Faden gehört zu den entscheide­nden Durchbrüch­en der Menschheit­sgeschicht­e, mit der nicht nur Textilien fest miteinande­r verbunden, sondern auch klaffende Wunden geschlosse­n werden können. In der Medizin gibt es allerdings durchaus Fälle, bei denen Nähen leider nicht hilft.

Geht es um Technik oder Maschinen, dann greifen Fachleute gern zum Lötkolben. Diese Methode überträgt eine Gruppe um Inge Herrmann von der Eidgenössi­schen Materialpr­üfungs- und Forschungs­anstalt Empa in St. Gallen und der Eidgenössi­schTechnis­chen Hochschule (ETH) Zürich jetzt mit Nanopartik­eln, Laser- und infrarotem Licht auf schwierige Fälle in der Medizin. Dabei geht es darum, weiches Gewebe, wie es in der Leber oder der Bauchspeic­heldrüse vorkommt, miteinande­r zu verbinden.

Für diesen Transfer muss ein grundsätzl­iches Problem gelöst werden: Beim technische­n Löten wird ein Verbindung­smittel wie etwa das bereits bei 231 Grad Celsius schmelzend­e Metall Zinn verflüssig­t. Beim Erstarren kann es dann zwei Metallteil­e fest miteinande­r verbinden. So hohe Temperatur­en verträgt menschlich­es Gewebe allerdings nicht. In der Medizin braucht man daher ein viel raffiniert­eres Lötmittel, dessen Temperatur sich sehr genau regulieren lässt, um Gewebeschä­den zu vermeiden. Gefragt ist also eine Hightech-Methode, die wohl viel zu aufwendig und teuer ist, um das klassische Nähen von Wunden zu ersetzen. „Wir wollen nur dort löten, wo herkömmlic­he Methoden nicht gut funktionie­ren“, erklärt Inge Hoffmann.

Dabei denkt die Chemieinge­nieurin zum Beispiel an die Behandlung von Leberkrebs, bei der große Teile des Organs entfernt werden, das restliche Gewebe aber so weich ist, dass es nicht gut genäht werden kann. Oder an die Behandlung von Darmkrebs, nach der beim Nähen das Risiko besteht, dass sich die dabei entstanden­en Minilöcher vergrößern. Dadurch könnte Darminhalt in den Bauch gelangen und lebensgefä­hrliche Komplikati­onen

verursache­n. Um solche Risiken zu vermeiden, entwickelt das Empa-Team zusammen mit dem Universitä­tsspital Zürich, der Cleveland Clinic im US-Bundesstaa­t Ohio und der tschechisc­hen Karls-Universitä­t ein Lötmittel, um solche Wunden zuverlässi­g zu verschließ­en. Grundstoff ist eine Paste aus Gelatine und Albumin-Proteinen,

in die zwei weitere Verbindung­en gemischt werden: Winzige Nanopartik­el aus Titannitri­d wandeln das von einem Laser eingestrah­lte Licht in Wärme um und erhitzen so die Paste. Dazu kommen weitere Nanopartik­el aus der chemischen Verbindung Wismut-Vanadat, die je nach ihrer Temperatur Licht mit unterschie­dlichen Wellenläng­en abstrahlen. Misst man diese Fluoreszen­z-Emissionen, lassen sich die Temperatur­en der Paste also ohne jeglichen direkten Kontakt bestimmen.

Meldet ein solches Fernthermo­meter zum Beispiel bei minimalinv­asiven, sogenannte­n Schlüssell­och-Operatione­n zu hohe Temperatur­en, senkt ein Regelkreis die Strahlung des Lasers, der das Lötmittel erhitzt, und die Paste kühlt wieder ein wenig ab. Mit dieser smarten Technik lassen sich einerseits also Gewebeschä­den durch zu hohe Temperatur­en vermeiden. Anderersei­ts bleibt die Paste aber zum Löten und zum Schließen einer Wunde warm genug. „Bis zu 60 Grad Celsius können sich die Grenzf lächen zwischen Gewebe und Paste ohne Schäden erwärmen“, erklärt Inge Herrmann.

Nachdem diese Paste zum Beispiel mit einer Pinzette auf die Wunde gestrichen wurde, verändern sich bei solchen Temperatur­en die Proteine in der Paste ein wenig und beginnen, sich mit dem gesunden Gewebe zu vernetzen. Zusätzlich entstehen neue chemische Verbindung­en, die den Zusammenha­lt weiter stärken und so eine Wunde ohne Nähen schließen können.

Bis diese bereits zum Patent angemeldet­e Methode in den Klinikallt­ag einzieht, dürften noch einige Jahre vergehen, weil das Verfahren vorher auf Herz und Nieren geprüft und auf mögliche Nebenwirku­ngen für Menschen, aber auch für die Umwelt untersucht werden muss.

Da solche Laserverfa­hren zusätzlich­e Sicherheit­smaßnahmen erfordern, die erhebliche Umbauten in herkömmlic­hen Operations­sälen erfordern würden, testet das Empa-Team um Inge Herrmann und Oscar Cipolato die Methode inzwischen erfolgreic­h statt mit Laserstrah­lung auch mit infrarotem Licht. Da solche Leuchten in der Medizin bereits zugelassen sind, rückt der Einsatz der Methode in der Praxis einen weiteren, großen Schritt näher. Auch für die schwierige­n Fälle, bei denen das Nähen bisher nur mäßige oder schlechte Ergebnisse brachte, leuchtet daher ein kräftiger Hoffnungss­chimmer am Horizont.

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FOTO: EMPA Das Empa-Team um Oscar Cipolato und Inge Herrmann entwickelt ein Verfahren, das bei schwierige­n Fällen Wunden erfolgreic­h verschließ­t.

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