Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Wunden löten statt nähen
Wenn bei Operationen nicht genäht werden kann, sollen künftig Nanothermometer und Laser- oder Infrarotstrahlen zum Einsatz kommen
Die Erfindung von Nadel und Faden gehört zu den entscheidenden Durchbrüchen der Menschheitsgeschichte, mit der nicht nur Textilien fest miteinander verbunden, sondern auch klaffende Wunden geschlossen werden können. In der Medizin gibt es allerdings durchaus Fälle, bei denen Nähen leider nicht hilft.
Geht es um Technik oder Maschinen, dann greifen Fachleute gern zum Lötkolben. Diese Methode überträgt eine Gruppe um Inge Herrmann von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa in St. Gallen und der EidgenössischTechnischen Hochschule (ETH) Zürich jetzt mit Nanopartikeln, Laser- und infrarotem Licht auf schwierige Fälle in der Medizin. Dabei geht es darum, weiches Gewebe, wie es in der Leber oder der Bauchspeicheldrüse vorkommt, miteinander zu verbinden.
Für diesen Transfer muss ein grundsätzliches Problem gelöst werden: Beim technischen Löten wird ein Verbindungsmittel wie etwa das bereits bei 231 Grad Celsius schmelzende Metall Zinn verflüssigt. Beim Erstarren kann es dann zwei Metallteile fest miteinander verbinden. So hohe Temperaturen verträgt menschliches Gewebe allerdings nicht. In der Medizin braucht man daher ein viel raffinierteres Lötmittel, dessen Temperatur sich sehr genau regulieren lässt, um Gewebeschäden zu vermeiden. Gefragt ist also eine Hightech-Methode, die wohl viel zu aufwendig und teuer ist, um das klassische Nähen von Wunden zu ersetzen. „Wir wollen nur dort löten, wo herkömmliche Methoden nicht gut funktionieren“, erklärt Inge Hoffmann.
Dabei denkt die Chemieingenieurin zum Beispiel an die Behandlung von Leberkrebs, bei der große Teile des Organs entfernt werden, das restliche Gewebe aber so weich ist, dass es nicht gut genäht werden kann. Oder an die Behandlung von Darmkrebs, nach der beim Nähen das Risiko besteht, dass sich die dabei entstandenen Minilöcher vergrößern. Dadurch könnte Darminhalt in den Bauch gelangen und lebensgefährliche Komplikationen
verursachen. Um solche Risiken zu vermeiden, entwickelt das Empa-Team zusammen mit dem Universitätsspital Zürich, der Cleveland Clinic im US-Bundesstaat Ohio und der tschechischen Karls-Universität ein Lötmittel, um solche Wunden zuverlässig zu verschließen. Grundstoff ist eine Paste aus Gelatine und Albumin-Proteinen,
in die zwei weitere Verbindungen gemischt werden: Winzige Nanopartikel aus Titannitrid wandeln das von einem Laser eingestrahlte Licht in Wärme um und erhitzen so die Paste. Dazu kommen weitere Nanopartikel aus der chemischen Verbindung Wismut-Vanadat, die je nach ihrer Temperatur Licht mit unterschiedlichen Wellenlängen abstrahlen. Misst man diese Fluoreszenz-Emissionen, lassen sich die Temperaturen der Paste also ohne jeglichen direkten Kontakt bestimmen.
Meldet ein solches Fernthermometer zum Beispiel bei minimalinvasiven, sogenannten Schlüsselloch-Operationen zu hohe Temperaturen, senkt ein Regelkreis die Strahlung des Lasers, der das Lötmittel erhitzt, und die Paste kühlt wieder ein wenig ab. Mit dieser smarten Technik lassen sich einerseits also Gewebeschäden durch zu hohe Temperaturen vermeiden. Andererseits bleibt die Paste aber zum Löten und zum Schließen einer Wunde warm genug. „Bis zu 60 Grad Celsius können sich die Grenzf lächen zwischen Gewebe und Paste ohne Schäden erwärmen“, erklärt Inge Herrmann.
Nachdem diese Paste zum Beispiel mit einer Pinzette auf die Wunde gestrichen wurde, verändern sich bei solchen Temperaturen die Proteine in der Paste ein wenig und beginnen, sich mit dem gesunden Gewebe zu vernetzen. Zusätzlich entstehen neue chemische Verbindungen, die den Zusammenhalt weiter stärken und so eine Wunde ohne Nähen schließen können.
Bis diese bereits zum Patent angemeldete Methode in den Klinikalltag einzieht, dürften noch einige Jahre vergehen, weil das Verfahren vorher auf Herz und Nieren geprüft und auf mögliche Nebenwirkungen für Menschen, aber auch für die Umwelt untersucht werden muss.
Da solche Laserverfahren zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen erfordern, die erhebliche Umbauten in herkömmlichen Operationssälen erfordern würden, testet das Empa-Team um Inge Herrmann und Oscar Cipolato die Methode inzwischen erfolgreich statt mit Laserstrahlung auch mit infrarotem Licht. Da solche Leuchten in der Medizin bereits zugelassen sind, rückt der Einsatz der Methode in der Praxis einen weiteren, großen Schritt näher. Auch für die schwierigen Fälle, bei denen das Nähen bisher nur mäßige oder schlechte Ergebnisse brachte, leuchtet daher ein kräftiger Hoffnungsschimmer am Horizont.