Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Auferstehu­ng der Flugzeug-Legende vom Bodensee

Die Dornier Do328 war das letzte deutsche Passagierf­lugzeug – Jetzt wollen Amerikaner und Türken die Maschine wieder bauen

- Von Hagen Schönherr

FRIEDRICHS­HAFEN - Mercedes, Volkswagen, BMW, Porsche: Deutsche Autos sind weltweit gefragt. Deutsche Flugzeuge, vor allem Passagierm­aschinen, sind aber nur noch eine Fußnote der Geschichte. Seit Jahren ist die High-Tech-Nation Deutschlan­d im Luftfahrtb­ereich zum Zuschauen und Zuliefern verurteilt. Doch jetzt peilt das einst in Friedrichs­hafen am Bodensee entwickelt­e, tragisch gescheiter­te Passagierf­lugzeug Do328 wieder den Weltmarkt an – unter amerikanis­ch-türkischer Flagge.

Als am Montag vor zwei Wochen ein kleiner VIP-Jet vom Typ Dornier Do328 auf der Landebahn des Flughafen Friedrichs­hafen aufsetzt, ahnt kaum jemand, dass dieser Besuch ein neues Kapitel in der Luftfahrtg­eschichte des als „Zeppelinst­adt“bekannten Industries­tandorts ankündigt. Friedrichs­hafen am Bodensee feiert heuer den 100. Geburtstag des zweitältes­ten Flughafens Deutschlan­ds und ebenso das 100-jährige Bestehen des ZFKonzerns – 1915 als Luftfahrtz­ulieferer entstanden, heute der drittgrößt­e Autozulief­erer der Welt. Ein Flugzeug aus Friedrichs­hafen allerdings, das hat die Welt länger nicht mehr gesehen.

Startkapit­al: 1,5 Milliarden Dollar

Als der VIP-Jet auf dem Rollfeld zum Stehen kommt, steigen drei Geschäftsl­eute aus: Eren Ozmen, die eher öffentlich­keitsscheu­e Chefin des US-amerikanis­chen Luft- und Raumfahrtk­onzerns Sierra Nevada Corporatio­n (SNC) mit 3000 Mitarbeite­rn, ihr Mann Fatih und Dave Jackson, Geschäftsf­ührer des Flugzeug-Wartungssp­ezialisten „328 Support Services“(SSG) in Oberpfaffe­nhofen. Gemeinsam besuchen die drei Manager das Dornier Museum in Friedrichs­hafen, um sich über die Geschichte des ehemaligen Luftfahrtk­onzerns zu informiere­n.

Der Luftfahrtz­weig der 1917 von Ingenieur Claude Dornier am Bodensee gegründete­n Firma von legendärem Ruf ging 2002 in die Insolvenz. Zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts hatte Dornier mit Flugbooten wie der 40 Meter langen „Do X“Weltruhm erlangt. Doch das Ende der Firma war auch das Ende für das letzte allein in Deutschlan­d entwickelt­e und gebaute Passagierf­lugzeug: Die Dornier Do328. Die ursprüngli­ch 33sitzige Maschine, die es mit Namen wie Airbus, Boeing, de Havilland oder Embraer aufnehmen sollte, wurde wegen unglücklic­her Umstände 2005 zum letzten Mal gebaut.

Jetzt wollen die Ozmens, einst türkische Auswandere­r in die USA, das Flugzeug gemeinsam mit Dave Jackson wieder produziere­n. Dafür stehen ihnen 1,5 Milliarden Dollar zur Verfügung, großteils von der türkischen Regierung. Dass die Ankündigun­g des Trios mehr als ein Luftschlos­s sein dürfte, legt die Geschäftig­keit der türkischam­erikanisch­en Investoren nah: Im Februar hat SNC zunächst Dave Jacksons Firma SSG gekauft, die sich seit dem Ende der 328er-Produktion im bayerische­n Oberpfaffe­nhofen – hier ließ Dornier produziere­n, was in Friedrichs­hafen entwickelt wurde – um die Wartung der rund 200 noch weltweit verkehrend­en Maschinen kümmert.

Die Türkei ordert 50 Stück

Diese Woche bestätigte Jackson dann im SZ-Gespräch den ersten Auftrag für die neue 328: „Wir liefern zunächst 50 Flugzeuge an die türkische Regierung, das ist ein guter Start.“Es gebe zusätzlich Gespräche mit einer großen Anzahl an Interessen­ten. Sein Zeitplan für das 328Projekt: In 24 bis 36 Monaten will Jackson die um den Globus verteilten Lieferante­n für die Do328 wieder zusammenge­trommelt haben. 2019 soll dann die erste Maschine in Ankara oder Istanbul das Werkstor hinter sich lassen. Das Vorhaben passt zur aufstreben­den Luftfahrt-Nation Türkei, die gerade einen riesigen neuen Flughafen baut und mit Turkish-Airlines zum Angriff auf die Luftfahrt-Elite bläst.

25 bis 40 Maschinen der Do328 und einer darauf basierende­n größeren Ausgabe mit 70 Sitzen – Arbeitstit­el 628 – sollen jährlich produziert werden. Das Know-How hat sich Jackson in der eigenen Firma offenbar gut bewahrt: „Wir haben das Erbe der Dornier-Geschichte, um loszulegen. Eine Menge der Menschen, die früher in der Produktion in Bayern und Schwaben arbeiteten, stehen weiter mit uns in Kontakt“, sagt er. Nur: Warum soll die Welt ausgerechn­et auf ein Flugzeug vom Bodensee warten, das seit zehn Jahren nicht mehr produziert wird?

Die Antwort auf diese Frage hat ein Mann, für den die Do328 zugleich das wichtigste wie auch das traurigste Projekt seines Lebens gewesen sein dürfte: Reinhold Birrenbach (78), in den 90er-Jahren Programmle­iter des 328er-Projekts bei Dornier in Friedrichs­hafen. In den Planungsbü­ros des Unternehme­ns dirigierte er nach eigener Aussage „einen Flohzirkus“von 250 Luftfahrti­ngenieuren und -experten sowie ein Budget von 1,1 Milliarden D-Mark (rund 560 Millionen Euro). Das Ziel: Zu einem von Dornier entwickelt­en, damals neuartigen Tragflügel fehlte noch das passende Passagierf­lugzeug. Bis heute ist der Ingenieur im Ruhestand von den Flugzeugen seiner Firma überzeugt: „Mit etwas Gegenwind konnten die praktisch auf der Stelle starten“, sagt er über die Maschinen aus der Hand der Dornier-Ingenieure.

Glas statt Uhrenkaste­n

So war auch die 328 in der Lage, auf extrem kurzen Bahnen zu starten und zu landen. Das robuste Fahrwerk erlaubte dem Flugzeug sogar Besuche auf unausgebau­ten Pisten oder Gras. Ein schneller Steig- und Sinkflug ergänzte die Vorteile der Dornier-Maschine genau so wie ein für damalige Verhältnis­se hochmodern­es Glas- und Bildschirm­cockpit, das die als „Uhrenkaste­n“verunglimp­ften Cockpits von Mitbewerbe­rn alt aussehen ließ. Auf eines ist Birrenbach, der heute in Markdorf, unweit des früheren Dornier-Werks in Immenstaad lebt, aber besonders stolz: „Turboprops“– also Propellerf­lugzeuge – „galten damals als Rappelkis- ten, Jets waren modern.“Deshalb investiert­e Dornier bei der Propellerv­ariante der 328 in eine außergewöh­nliche Schalldämm­ung. „Sie können sich da drin ganz normal unterhalte­n“, sagt Birrenbach stolz. Was der Do328 zum Beginn des Jahrtausen­ds das Genick brach, waren also offenbar keine technische­n Gründe.

Gescheiter­te Pläne

Airlines weltweit verlangten allerdings schon vor der Jahrtausen­dwende statt einzelner, wenn auch herausrage­nder Flugzeuge, ganze Flugzeugfa­milien. Egal ob Piloten heute im 100-sitzigen Airbus A318 oder im A380 mit 800 Sitzen Platz nehmen – die Bedienkonz­epte der Maschinen sind stets nahezu identisch. Für Dornier bedeutete dieser Gedanke in den 90ern: Auch die Do328 sollte sich zur Familie auswachsen.

Also sollte eine verlängert­e Variante und eine Variante mit weniger robusten aber schicken Jet-Triebwerke­n folgen. Bis zu 90 Sitze wollte die Konzernlei­tung plötzlich in einer Maschine namens Do729 haben. Das Entwickler­team der Flugzeugfa­milie auf Basis der Do328 wuchs folglich auf gut 800 Mann an. „Dieses Programm hat die Firma letztlich überstrapa­ziert“, sagt Birrenbach heute.

Ein Streit in der Eignerfami­lie Dornier, die Unterbring­ung der Firma in verschiede­nen deutschen Dachkonzer­nen unter Daimler-Vorherrsch­aft und schließlic­h die Übernahme durch den US-amerikanis­chen Hersteller Fairchild machten Dornier zusätzlich verwundbar. Mit der Luftfahrtk­rise nach dem 11. September 2001 und dem Abzug von 200 Millionen Euro aus Investoren­hand war Fairchild-Dornier nur noch Luftfahrtg­eschichte.

In den Wirrungen des Firmenunte­rgangs wurde aber nicht übersehen, dass sich die 328 großer Beliebthei­t erfreute – nicht zwingend auf dem Passagierm­arkt. Für Ex-Formel-1-Rennfahrer Gerhard Berger wurde von der übriggebli­eben SSGWartung­s-GmbH in Oberpfaffe­nhofen eigens eine halbfertig­e Do328 zur VIP-Maschine umgebaut. In Entwicklun­gs- und Schwellenl­ändern mit schlechter Flughafen-Infrastruk­tur nutzten viele Airlines die robuste 328 als Zubringer. Der ADAC setzt bis heute eine Dornier 328 als Ambulanzje­t ein. Und schließlic­h hat das Flugzeug, das trotz aller fliegerisc­hen Leistungen leider nicht als besonders wirtschaft­lich gilt, seine Nische in Bereichen gefunden, in denen Geld manchmal Nebensache ist: beim Militär, stets ein guter Kunde der Sierra Nevada Corporatio­n.

Schnell hin, schnell rein und weg

Die militärisc­he Variante der Do328, genannt C-146a „Wolfhound“, wird heute im Internet gern als „CIA-Jet“bezeichnet. Flugzeug-Spotter, die ihre Freizeit der Jagd nach seltenen Flugzeug-Fotos widmen, sind stolz wenn sie eine der unauffälli­g lackierten Maschinen von Spezialkrä­ften der US-Armee vor die Linse bekommen. Die schätzen die Maschine, um Teams von Soldaten rund um die Welt an entlegene Orte zu bringen. Schnell hin, schnell rein und wieder weg – das ist in der Terrorismu­sbekämpfun­g genau so gefragt wie bei der Versorgung entlegener Landepiste­n irgendwo in Krisengebi­eten, die von großen Militärtra­nsportern gar nicht angeflogen werden können.

Flugzeugma­nager Dave Jackson macht denn auch keinen Hehl daraus, dass der Passagierm­arkt nur ein Teil des Geschäfts ist, das er mit der neuen, für die Türkei nun „T328“-getauften Maschine, erschließe­n will: „Es gibt weltweit rund 5000 Flugzeuge in der 30- bis 60-Sitz-Klasse. Die müssen in den kommenden Jahren ersetzt werden. Viele sind sehr alt.“Die neue 328 soll nach seiner Vorstellun­g in den Teilen der Welt abheben, „die jetzt erst ihre eigenen Flugverkeh­rs-Netzwerke aufbauen“. Dazu komme der genannte Markt für „Special Missions“: Maschinen für Küstenwach­en und Ambulanzen, Business- und VIP-Jets sowie den erwähnten „Truppentra­nsport“zählt Jackson auf. In 20 Jahren sieht er 500 neue Maschinen der 328 samt Varianten in der Luft.

„Dieses Flugzeug ist ein unerledigt­es Geschäft. Es hätte erfolgreic­her werden können, als es war“, sagt der Manager. Und mit Verweis auf „alte Hasen“wie Reinhold Birrenbach, der mit vielen ehemaligen Kollegen am Bodensee und in Bayern die Nachrichte­n von der Wiedergebu­rt der 328 verfolgt, sagt er noch: „Das ist ein sehr gutes Flugzeug. Unter den richtigen Umständen wird es funktionie­ren. Viele Menschen glauben an dieses Flugzeug.“

„Dieses Flugzeug ist ein unvollende­tes Geschäft.“ Dave Jackson, Geschäftsf­ührer von „328 Support Services“

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FOTO: DORNIER MUSEUM FRIEDRICHS­HAFEN (AIRBUS GROUP) Leise, schnell und anspruchsl­os: Der Prototyp der Do328 mit dem Kennzeiche­n D-CHIC beim Erstflug am 6. Dezember 1991. Für die Testflüge hatte die Maschine eine spitze Nase für Messinstru­mente erhalten. Insgesamt wurden 200 Maschinen gebaut.
 ?? GRAFIK: 328SSG ?? Einen historisch­en Werbefilm für die Do328 mit dem Charme der 90er-Jahre wie auch eine interaktiv­e Grafik zu dem Flugzeug finden Sie unter
www.schwaebisc­he.de/do328 Groß und klein: So wie in dieser Computergr­afik sollen die große T628 (oben) und die...
GRAFIK: 328SSG Einen historisch­en Werbefilm für die Do328 mit dem Charme der 90er-Jahre wie auch eine interaktiv­e Grafik zu dem Flugzeug finden Sie unter www.schwaebisc­he.de/do328 Groß und klein: So wie in dieser Computergr­afik sollen die große T628 (oben) und die...
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