Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Auf Spurensuche
Der Tettnanger Bernd Bühler durchkämmt den Wald nach Beuteresten und Fußabdrücken – Fährtenlesen liegt im Trend
TETTNANG - Fährtenleser gab es lange Zeit allenfalls noch in KarlMay-Filmen. Doch diese uralte Kunst ist wieder im Kommen. Auch der Tettnanger Bernd Bühler sucht den Heggelbacher Wald jede freie Minute nach Spuren ab. Er ist der erste zertifizierte Fährtenleser Baden-Württembergs.
Die Zeiten, als der Natur- und Wildnispädagoge Bühler (51) auf seinem Grundstück entspannt an der Argen saß und dem Wasser beim Plätschern zuschaute, sind vorbei: „Ich bin fast ein bisschen süchtig“, gesteht er mit verschmitztem Lächeln. Denn heute treibt es ihn, kaum ist er draußen, in den angrenzenden Wald. Gibt es dort doch dermaßen viel zu erkunden: Kotwürstchen, Beutereste, Federn, Haarbüschel, Knochen, angeknabberte Blätter und natürlich jede Menge Fußabdrücke. All das sind Spuren. Spuren, die es zu verfolgen, zu kombinieren, zu deuten gilt.
Wie viele Zehen sind dran?
Wie tief drückte sich die Pfote in den Boden? Wie viele Zehen sind dran? Wie ist es um den Ballenabdruck bestellt, und wie viele Millimeter beträgt der Abstand zwischen Ballen und Krallen? Jedes dieser auf den ersten Blick unscheinbar anmutenden Indizien, die einem Spaziergänger in der Regel überhaupt nicht auffallen, ist wichtig und ergibt, vielleicht, am Ende ein Gesamtbild. „Ein Dachs zum Beispiel hat lange Krallen, um seine Erdhöhlen zu graben“, erklärt Bühler. Der Dachs läuft zudem auf dem ganzen Fuß – ein Hund hingegen lediglich auf den Vorderpfoten.
Und weil sein Fressnapf zu Hause ständig gut gefüllt ist, braucht ein Hund auch nicht sonderlich energiesparend durch die Gegend zu rennen. Ein Wildtier schon. Darum treten, erläutert Bühler, Füchse oder Wölfe mit ihren Hinterfüßen stets in die Trittspur der Vorderfüße. Derartiges Detailwissen hat er sich ein Jahr
Der Fährtensucher Bernd Bühler in seinem Element: Bei Laimnau (Bodenseekreis) durchsucht er mit Begleithund Sam ein Waldstück. lang im Fährtenleser-Lehrgang der Wildnisschule „Wildniswissen“in Hannover angeeignet. Deren Gründer, Wolfgang Peham, gilt hierzulande als Pionier auf dem Gebiet des Spurenlesens. Gelernt hat Peham sein Handwerk bei nordamerikanischen Indianern und afrikanischen Buschmännern. Noch immer fasziniert ihn, „wie das Spurenlesen uns mit den Geschöpfen, die diese Spuren hinterlassen, und dadurch letztlich mit der Natur um uns und in uns verbindet“. Denn, so seine Erfah- rung, „weil Spuren immer ein Geheimnis bergen, ziehen sie uns in die Natur rein“. Seit 20 Jahren bietet der Experte „Wolf Tracking“-Touren in Estland an – zunächst für OutdoorFreaks. Nachdem im Jahr 2000 der erste Wolf nach Deutschland zurückgekehrt war, nahm das Thema Spurenlesen laut Peham allerdings an Fahrt auf und „bekommt immer mehr einen Wert, der über die reine Liebhaberei hinausgeht“.
Insbesondere die (meist ehrenamtlichen) Wolfsbetreuer in
Besonders interessante Spuren werden auch mal in Form von Gipsabdrücken konserviert. Deutschland, die vor Ort als Ansprechpartner für die Bevölkerung fungieren, lassen sich in der Wildnisschule Hannover zu Fährtenlesern fortbilden. Auch Markus Bathen, Leiter des „Projektbüros Wolf“des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu), hat den Kurs absolviert. Er sagt: „Das Fährtenlesen ist nicht nur bei der Artenschutzarbeit von Wolf und Luchs von Interesse, sondern eine grundlegende wissenschaftliche Technik.“
Gerade solch seltene und scheue Wildtiere könne man gar nicht anders als über das ausgiebige Verfolgen ihrer Fährten und das anschließende akribische Analysieren ihrer Hinterlassenschaften vom Urin bis zu den Kratzspuren erfassen. „Nichtinvasives Monitoring“heißt das in der Fachsprache.
Als Gutachter gefragt
Wer sich auskennt, kann im Zweifelsfall unter anderem eine Hunde- von einer Wolfsspur unterscheiden. Und wird daher, wie die Experten der Wildnisschule, vom niedersächsischen Umweltministerium auch mal als Gutachter herangezogen. 2015 hatte beispielsweise ein Jäger behauptet, ein Wolf habe ihn angegriffen. Darum habe er in den Boden schießen müssen. Verbotenerweise, denn Wölfe stehen unter Schutz.
Die versierten Fährtenleser fanden freilich nirgendwo Wolfsspuren. Allenfalls welche von Rehen und Füchsen. Auch Markus Bathen weiß: „In der Regel wollen Wölfe jagen – aber keine anderen Raubtiere, wie der Mensch für sie eines ist.“Mo- mentan leben 38 Wolfsrudel in Nordund Ostdeutschland. Bathen geht davon aus, dass sich früher oder später – schätzungsweise in zehn Jahren – wieder Wölfe in Baden-Württemberg ansiedeln werden. Erste Stippvisiten hat es bereits gegeben: Im vergangenen Jahr sind zwei Wölfe im Südwesten überfahren worden. Markus Bathen, Leiter des
„Projektbüros Wolf“des Naturschutzbundes
Deutschland (Nabu)
Noch muss sich Bernd Bühler im Heggelbacher Wald damit begnügen, die Spuren von Rehen, Füchsen oder Mardern zu entschlüsseln. Auf irgend etwas Interessantes stößt er, wenn er gemeinsam mit seinem Retriever Sam losgeht, aber allemal. Nach wenigen Schritten auf dem verträumten Waldweg ist es so weit.
Sam wird unruhig, Bühler wird aufgeregt. „Dass der Hund anschlägt, bedeutet: Da ist eine relativ frische Spur“, wispert der Fährtenleser. Er biegt Zweige zurück, folgt Sam vorsichtig ins Unterholz, den Blick immer nach unten geheftet. „Ah“, macht Bühler. Und zeigt auf einen kleinen, auf einem Wurzelausläufer thronenden Kothaufen. Den habe ein Marder hinterlassen. Oder ein Fuchs. Woher er das weiß? „Die machen immer auf erhöhte Stellen, damit man die Markierung gut riecht“, sagt Bühler. Letztens ist er richtig ausgeflippt. Da landete er „einen Lottogewinn“– indem er auf Spuren stieß, die in schwäbischen Wäldern bisher selten bis gar nicht vorkommen: die eines Waschbären. So stolz war Bühler da, dass er auf der Stelle Fotos in der Fährtensucher-Whatsapp-Gruppe gepostet hat. Dort werden die Fahndungsindizien regelmäßig diskutiert. Und erfolgreiche Detektiv-Erfolge gebührend gelobt. „Spurenlesen“, beschreibt Bühler die Begeisterung für sein Hobby, „ist ein bisschen wie Sudoku – ganz schön knifflig.“
„In der Regel wollen Wölfe jagen – aber
keine anderen Raubtiere, wie der Mensch für sie eines
ist.“
Ganzheitlicher Aspekt
Laut Wolfgang Peham hat es zudem einen ganzheitlichen Aspekt: Abgesehen von der technischen Seite, dem Bestimmen von Gangart, Fußoder Fraßspuren der Tiere, schule das Fährtenlesen auch die Intuition. „Wenn eine Fährte, der ich folge, plötzlich aufhört, muss ich mich in das Tier hineinversetzen und ein Gefühl dafür entwickeln, was es in dieser Situation wohl als Nächstes getan haben könnte.“Dabei, so hat es Peham immer wieder erlebt, „entdeckt man, wie schlussendlich alles miteinander zusammenhängt“.