Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Staatsrätin
Nach einem halben Jahrhundert Militärdiktatur ist in Myanmar, einem der ärmsten Länder Asiens, jetzt Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi an der Regierung. Heute ist es genau ein Jahr her, dass ihre Nationale Liga für Demokratie nach weitgehend freien und fairen Wahlen die Geschäfte übernahm. Präsidentin konnte sie nicht werden, weil ihr Ehemann Brite war und die Kinder britische Pässe haben. Das verbietet die Verfassung.
So ist die 71-Jährige, die 15 Jahre in Hausarrest saß, nun als „Staatsrätin“die starke Frau des Landes. Die Hoffnungen waren groß, doch nach zwölf Monaten gibt es ein Gefühl der Enttäuschung. Viele Weggefährten haben sich abgewendet. Auch aus dem Ausland kommen zunehmend kritische Töne. Viele werfen ihr vor, dem PolitikAlltag nicht gewachsen zu sein. Zu Oppositionszeiten galt es als Stärke, dass sie sich wenig sagen ließ. Jetzt, in der Regierung, ist das anders. Außer einem kleinen Kreis von Beratern lässt sie kaum jemanden an sich heran.
Generell wird Suu Kyi zur Last gelegt, nicht deutlich zu machen, wohin sie das Land führen will. Reden hält sie nur wenig, Interviews gibt sie kaum. Vor allem abseits der großen Städte wird die „Lady“trotzdem immer noch sehr verehrt. Aung San Suu Kyi lenkt seit einem Jahr die Geschicke von Myanmar.
Was im Ausland große Sorgen bereitet, ist das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Rohingya, eine muslimische Minderheit von mehr als einer Million Menschen im Westen des Vielvölkerstaates. Mindestens 70 000 Rohingya sind bereits geflohen. In einem offenen Brief verlangten 13 andere Nobelpreisträger von Suu Kyi, gegen „ethnische Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“Stellung zu beziehen.
Sie tat es nicht. Manche erklären das damit, dass sie Rücksicht auf das Militär nehmen müsse und auf die Wählerschaft, in der es eine muslimfeindliche Stimmung gibt. Sie selbst ist fromme Buddhistin.
Christoph Sator (dpa)