Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Darf’s mal wieder normal sein?
Der Drang zum Besseren und Besonderen macht eher nervös als glücklich
Nein, ich traue mich nicht mehr, meine Freunde nach Hause einzuladen. Sie haben so einen verdammt guten Geschmack. Meine Spaghetti mit kreativer Restesoße („Ah, interessantes Rezept ...“) werden nur aus Mitleid goutiert. Alle schwören zwar, dass sie das Einfache mögen, aber bitte: Es muss schon gut sein! Sehr gut, so wie Utes geklärte Ochsenschwanzsuppe nach ihren Lachsknusperschnecken. Der professionelle Drang zur Optimierung hat längst das Privatleben erreicht. Wir streben immerzu nach dem Besseren. Hilfe, wie anstrengend ist das denn?
Erinnern Sie sich? In unbefangenen Jugendzeiten haben wir unser Zusammensein niemals besonders gestaltet, wir wollten halt in unaufgeräumten Buden beieinander hocken, Musik hören, die Weltlage diskutieren. Wenn meine beste Freundin Britta und ich Hunger hatten, steckten wir uns in der Küche ein paar Graubrotscheiben in den Toaster und aßen die mit Butter und Begeisterung. Dazu tranken wir Beuteltee, von Grauburgunder aus besonderen Hanglagen hatten wir noch keine Ahnung. Wenn wir ausgingen, gab’s halt Moussaka beim Griechen und ein Glas Retsina, das war am billigsten. Und doch ganz lecker, zumindest, bevor wir unseren Lebensstil so konsequent verfeinert haben, dass es uns selber stresst.
Anspruchsvolle Gesellschaft
Denn das Normale und Zufällige passt nicht mehr ins Konzept unserer anspruchsvollen Gesellschaft. Wenn wir schon Regale von Ikea aufgestellt haben („Das Design ist ja doch gut!“), brauchen wir dazu aber bitte Eames-Stühle am individuellen Massivholz-Schreinertisch. Dort servieren wir dann zu leiser klassischer Jazz-Musik (Ben Webster, 1963) ein paar Häppchen aus der Henze-Kochschule, rosa gebratenes Roastbeef mit Trüffelvinaigrette oder Riesengarnele auf Vanillepepperonata und plaudern über die Auslandsstipendien unserer Kinder.
Wie, Sie meinen, das gilt nur für hochgestochene Städter? Keineswegs – im lauschig-ländlichen Milieu gibt es vielleicht andere Prioritäten, aber einen ähnlichen Qualitätsdruck. Die Kinder reüssieren bei „Jugend musiziert“und studieren demnächst Diversity Management an der Zeppelin University. Die Stauden im Garten blühen läusefrei, der Rasen ist vertikutiert und kann atmen, die Bruschetta wird mit selbstgezüchteten Bio-Tomaten gemacht, beim Grillen gibt’s natürlich auch Kräutertofu für die Veganer. Man trainiert für den Halbmarathon am See, man lernt jetzt Italienisch, man baut die neue Terrasse mit eigenen Händen und echtem Terrazzo. Heimwerken, Basteln, Nähen und alles selber machen heißt DIY (Do it Yourself ) und ist ein Trend.
Kein Wunder, dass sich eine gewisse Erschöpfung einstellt. Und eine Sehnsucht nach dem, was Trenddenker als „das einfache Glück“ausgemacht haben. Hygge ist das Stichwort – nach dem dänischen Begriff für Wohlbefinden und Gemütlichkeit, der zugleich das Rezept für das wissenschaftlich festgestellte dänische Glücksgefühl sein soll.
Der sympathische Däne ist so froh, weil er es sich am liebsten mit Familie und Freunden zu Hause behaglich macht und nicht mehr verlangt als Kaffee, Kuchen, Kerzenschein. Nun, das klingt vielleicht ein bisschen langweilig, aber auf jeden Fall entspannend. Bücher zum Thema Hygge verkaufen sich optimal, und der Verlag Gruner & Jahr hat uns Gestressten jetzt auch noch das passende Fachmagazin beschert: Hygge.
Für fünf Euro pro Ausgabe und Saison soll Hygge die Erlösung vom Lifestyle-Leistungsdruck bringen. „Hej“, so werden Leser auf Dänisch begrüßt – und gleich ganz hyggelig geduzt. Das Editorial-Foto zeigt eine lächelnde Redaktion am Küchentisch von Chefin Merle, mit Croissants. Ach, so möchte ich es auch haben – ohne Gedöns, normal.
Das Heft ist wunderschön fotografiert und gestaltet: Man sieht Filzpantoffeln auf der Treppe, Omas Sammeltassen auf der verkrümelten Tischplatte, Wiesenblumen in der Frauenhand, Kinder am Badesee. „Einfach glücklich sein“wird da versprochen. Und wie geht das? Naja, leider doch nicht ohne Mühe.
Das Glück der Dänen
Denn anders als dänische Naturtalente brauchen wir Gestaltungsexperten ja immer Rezepte und Handlungsanleitungen. Andreas, der Kreativdirektor von Hygge, empfiehlt fürs optimale Lebensgefühl eine Woche Bergwandern in kleiner Gruppe – für mich so ziemlich die ungemütlichste Vorstellung einer Freizeitgestaltung. Ein weiterer Vorschlag ist Singen – im Chor oder in der Band. Schön, aber auch nicht jedem gegeben. Blaubeer-Waffeln essen würde mir schon eher behagen. Laut Hygge muss ich die Waffeln jedoch persönlich backen und die Beeren zuvor im Walde sammeln. Oder ich zaubere für meine Freunde duftende Zimtschnecken nach dem Rezept von Chefredakteurin Merle, die diese fotogene Küche hat. Das macht mir Angst. Ich gehe doch lieber ins Café. Oder in mein supergemütliches Bett – wenn ich nicht gezwungen werde, zunächst dieses Streifennachthemd aus Kuscheljersey selbst zu nähen, was man mir auf Seite 127 nahelegt.
Fazit: Das einfache Glück ist in unserer Zivilisation auch etwas Besseres und Besonderes, weit entfernt vom Normalen. Ich versuche es jetzt mal anders und mache Ferien auf dem Bauernhof mit meinen Enkeln. Die mögen meine Spaghetti mit kreativer Restesoße. Das wird ganz hyggelig.