Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Die türkische Polizei jagt ein T-Shirt
Behörden vermuten geheime Botschaften – Über ein Dutzend Festnahmen
ISTANBUL - In ihrem Kampf gegen die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen und andere Kritiker verlässt sich die Regierung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nicht mehr allein auf Massenentlassungen und Festnahmen – jetzt geraten auch T-Shirts ins Visier des Staates. Mehr als ein Dutzend Festnahmen hat es in den vergangenen Wochen wegen eines bestimmten Hemdes gegeben, das als Träger geheimer Botschaften gilt. Nichts ahnende Besitzer des Shirts finden sich auf Polizeiwachen und in Verhörzimmern wieder. Schuld daran ist die englische Aufschrift „Hero“– zu Deutsch: Held.
Alles begann mit einem Auftritt des mutmaßlichen Gülen-Anhängers Gökhan Güclü vor Gericht. Güclü soll als Soldat im Dienste Gülens am Putschversuch beteiligt und mitverantwortlich für den Tod von zwei Polizisten gewesen sein. Als er Mitte Juli als Angeklagter aus der Untersuchungshaft vor das Schwurgericht in Mugla gebracht wurde, trug Güclü ein weißes T-Shirt mit der schwarzen Aufschrift „Hero“. Unter dem Wort steht in kleineren Buchstaben der Spruch „Helden sind unsterblich“. Er hatte das Hemd von seiner Schwester geschenkt bekommen, die ihm dazu schrieb, er sei für die Familie ein Held.
Künftig Häftlingsanzüge
Das sehen die türkischen Behörden ganz anders. Sie betrachten die Aufschrift als Glorifizierung einer Terrororganisation. Güclü wurde wegen des T-Shirts aus dem Gerichtssaal entfernt und wieder in seine Zelle gebracht. Damit so etwas nicht noch einmal vorkommt, will die türkische Regierung künftig alle Angeklagten in Gülen-Prozessen in orangefarbene Häftlingsanzüge stecken – „wie in Guantánamo“, kündigte Erdogan an.
Nach dem Wirbel um Güclüs Hemd wurde das T-Shirt für die Polizei zum roten Tuch. Überall sieht sie plötzlich mutmaßliche Gülenisten mit „Hero“-T-Shirt. Im ostanatolischen Erzurum verfolgte die Polizei auf Überwachungskameras zwei Träger des Shirts und nahm sie fest. In der Urlauberstadt Antalya jagten Polizisten ein junges Pärchen, das im Partnerlook in „Helden“-Shirts auf einem Motorrad unterwegs war. Die verdutzten jungen Leute wurden ebenfalls festgenommen.
Laut Medienberichten kamen bisher mindestens 15 Menschen wegen des T-Shirts in Gewahrsam. Selbst der Träger eines weiteren T-Shirts mit der Aufschrift „Part Time Hero“kam vorübergehend in Haft. Die selbe Folge hatte das Wort „Hero“auf einem Batman-T-Shirt eines anderen Betroffenen.
Vielen Festgenommenen dürfte es so gegangen sein wie einem 20Jährigen im zentralanatolischen Konya. Nachdem ihn die Polizei allein wegen des „Hero“-Shirts aufgegriffen hatte, gab er nichts ahnend zu Protokoll, er habe das Hemd vor einem halben Jahr gekauft, ohne sich etwas dabei zu denken. Schließlich war das T-Shirt des Herstellers Defacto mit umgerechnet nicht einmal vier Euro besonders billig. Auf der Defacto-Internetseite wird das Als Gökhan Güclü vor das Schwurgericht in Mugla gebracht wurde, trug er das T-Shirt mit der Aufschrift „Hero“. Hemd inzwischen nicht mehr angeboten.
Doch die Behörden glauben nicht an Zufälle; sie wittern überall neue Verschwörungen der Gülenisten, selbst in einem englischen Wort auf einem T-Shirt. Die Aufschrift „Hero“sei eine geheime Botschaft an den in den USA lebenden Gülen, berichten regierungsnahe Zeitungen: Die Buchstaben des Wortes sollen demnach für den türkischen Spruch „Hoca Efendi Rahat Ol“stehen: Mach dir keine Sorgen, verehrter Meister. Gülen wird von seinen Anhängern als „verehrter Meister“bezeichnet.
Festnahme wegen bunter Bänder
Die Verfolgung angeblich subversiver Symbole durch die Sicherheitsbehörden hat in der Türkei eine lange Tradition. In den 1990er-Jahren konnten Kleidung oder bunte Bänder in Rot, Gelb und Grün zu Festnahmen führen, weil die Farben als Zeichen der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) galten. Mehrere Türken kamen damals vor Gericht, weil sie Shorts oder Hemden der Marke Emporio Armani trugen – ihnen wurde pro-armenische Propaganda vorgeworfen.
Ähnlich absurd wirkt die heutige Jagd auf die „Hero“-Shirts. Auch bei den Hemden sieht der Staat feindliche Kräfte am Werk, die auf eine Zerstörung der Türkei hinarbeiten und die mit allen Mitteln aufgehalten werden müssen. Im Fall von Gökhan Güclü, dem ersten Träger des „Hero“-Hemdes, ermittelt die Staatsanwaltschaft inzwischen gegen die Schwester des Angeklagten, die das Kleidungsstück für ihren Bruder besorgte, sowie gegen die Gefängniswärter und Gendarmen, die Güclü nicht daran hinderten, mit dem TShirt vor Gericht zu erscheinen.