Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Günther Oettinger: „Wir haben Frieden exportiert“
Der EU-Kommissar spricht in Sigmaringen unter anderem über die Rolle der Europäischen Union
SIGMARINGEN - Der EU-Kommissar für Haushalt und ehemalige badenwürttembergische Ministerpräsident, Günther Oettinger, ist am Freitagabend im Foyer der Stadthalle Sigmaringen aufgetreten. Rund 150 Interessierte kamen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Bareiß hatte Oettinger zu seinem Wahlkampfauftakt eingeladen. Die CDUStadtverbandsvorsitzende Sabine Maier nannte Oettinger eingangs einen „politischen Hochkaräter“. Bareiß bezeichnete ihn „den Wahlkämpfer schlechthin“und als denjenigen, „der Baden-Württemberg am Besten kennt.“
„Wir leben in einer schwierigen Zeit“, sagte Oettinger zu Beginn seiner Rede und sprach von einem „Wettbewerb der Werteordnungen“. Die deutsche und europäische Werteordnung beinhalten unter anderem die soziale Marktwirtschaft, Gewaltenteilung, Meinungs- und Religionsfreiheit sowie unabhängige Gerichte. „Wir haben jahrzehntelang damit Erfolg gehabt. Wir haben diese Werteordnung auch exportiert“, sagte Oettinger. Das jüdisch-christliche Menschenbild sei von Toleranz und Nächstenliebe geprägt. „Es gibt aber auch andere Werteordnungen, die unsere Werteordnung nicht achten oder sogar verachten.“Oettinger sprach unter anderem die autokratischen Strukturen in Ankara, Moskau oder Peking an. „Wenn unsere Werteordnung auch noch für unsere Kinder und Enkel gelten soll, müssen wir für sie eintreten und kämpfen. Die Gegner sind zahlreich unterwegs. Das ist die Ausgangslage für die Bundestagswahl“, sagte Oettinger.
Als Tiefpunkt der europäischen Krise nannte er den Brexit im vergangenen Jahr. Um das jüdischchristliche Menschenbild zu festigen, brauche es „eine starke deutsche Mitarbeit im europäischen Team“. Der Wirtschaft komme eine wichtige Bedeutung zu: „Eine starke Wirtschaft führt zu Stärke in der Politik“, sagte Oettinger. Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann habe dies erkannt: „Kretschmann ist konservativer als ich jemals werden will“, scherzte Oettinger. Es gelte, die Wirtschaft stark zu halten, die Fachkräfte gut auszubilden und Dinge zu produzieren, die die Welt brauche.
„Europa war, ist und bleibt die Friedensunion“, fuhr Oettinger fort. „Wir haben Frieden exportiert.“Daran gelte es festzuhalten, sagte Oettinger und sprach die Beitrittsbemühungen der Staaten auf dem Westbalkan zur Europäischen Union an. „Wir müssen diese Beitrittsperspektive glaubwürdig vermitteln.“Denn sonst würden sich diese Staaten von der EU ab- und Moskau zuwenden. „Das europäische Projekt ist ein Friedensprojekt der Gegenwart und Zukunft. Der Friedens- und Werteexport ist wichtiger als der Export der S-Klasse.“Die Aufnahme in die EU sei ein Geschenk mit strengen Voraussetzungen. Oettinger bezeichnete die Einladung Deutschlands zur Montanunion – dem Vorläufer der EU – im Jahr 1950 als ein „Gottesgeschenk“– nur fünf Jahre nach dem von Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieg. Dieses Geschenk solle an andere Staaten weitergegeben werden. „Die Gründung Europas erfolgte am Rhein, die Weiterentwicklung geschieht an der Donau“, sagte Oettinger mit Blick auf die osteuropäischen Nachbarn.
Die gemeinsamen Werte, der Frieden und ein europäischer Binnenmarkt seien große Errungenschaften der EU. Oettinger bezeichnete Europa als „Kontinent der Freizügigkeit“: Seine Kinder könnten dort in Europa leben und arbeiten, wo sie wollten. Nach dem Brexit sei die Talsohle durchschritten, in Europa ginge es wieder voran. Oettinger sprach sich für den Euro aus: „Ein Rückweg, Nationalismus, Populismus und Protektionismus wären völlig falsch.“Zum Ende seiner etwa 45-minütigen Rede lobte Oettinger die Erfahrung der Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Ich mag Martin Schulz. Aber die Erfahrung hat er nicht“, sagte Oettinger über den SPD-Spitzenkandidaten . Es sei wichtig, dass Merkel die Wahl nicht mit 34 sondern mit mindestens 40 Prozent gewinne: „Auch Trump und Erdogan gucken darauf, ob sie stark ins Amt gewählt wird.“Sie brauche eine starke Wiederwahl für einen starken deutschen Bestandteil im europäischen Team.
Oettinger lobte zudem den Abgeordneten Thomas Bareiß – unter anderem für dessen Wirtschaftskenntnis. „Er ist fleißig, der Kerle“, sagte Oettinger über Bareiß.