Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Der hysterische Mann
Die drei Leben des Jerry Lewis: Zum Tod des großen amerikanischen Komikers
Zuletzt hatte er es gar in das Museum of Modern Art geschafft. Im vergangenen Jahr ehrte das MoMa Jerry Lewis zu seinem 90. Geburtstag mit einer Ausstellung und der Aufführung von zehn seiner Filme. Jetzt, da der „King of Comedy“im 92. Lebensjahr gestorben ist, wird endgültig erkennbar, dass es eigentlich drei ganz verschiedene Berufsphasen im Leben dieses Mannes gibt, der am 16. März 1926 als Joseph Gerald Levitch in Newark, New Jersey in jüdischen Einwandererverhältnissen geboren wurde. Seine Kindheit und das hohe Alter sind damit nicht gemeint.
Eine Kindheit im herkömmlichen Sinne hat Jerry Lewis sowieso nie gehabt. Bereits mit fünf Jahren stand der Sohn eines Nachtclubsängers auf der Bühne. Bei seinem ersten Auftritt begann er zu weinen: „Die Leute brüllten vor Lachen. Da wusste ich, was ich für den Rest meines Lebens zu tun hatte: stolpern, ausrutschen, hinfallen,“erzählte er Jahrzehnte später.
Ein Verwandter von Harpo Marx
„The emotion is in the emulsion.“Das Gefühl ist das Bindemittel. Die sehr spezielle, einmalige Komik dieses Komikers war immer: Grimassenschneiden, Augenrollen, Zappeln, Stolpern, Schnellsprechen – ein hysterischer Mann. Vor allem sein Gesicht war einmalig, pure Anarchie, das Gegenteil der ausdruckslos-beherrschten Gesichter von Buster Keaton oder Jacques Tati. Lewis war eher ein Clown und naher Verwandter von Harpo, dem irrationalsten der vier Marx Brothers. Im Gesicht von Jerry Lewis, das schrieb immerhin Jean-Luc Godard, verbinde „sich das Äußerste an Künstlichkeit mit der Noblesse des wahren Dokumentarfilms“.
Lewis war gerade erst 20, da traf er mit Dean Martin zusammen. In den verrauchten Nachtclubs von Atlantic City ging es los und dann schnell nach oben. Die scheinbar komplett improvisierten Auftritte der witzigen Wortakrobaten „Martin & Lewis“wurden eine Sensation und erzielten Höchstgagen. Auf eigene Shows in Radio und Fernsehen folgten schon 1949 erste Spielfilme. 17 Filme machten beide zusammen. Dean Martin war der Dummkopf, der singen konnte, Jerry Lewis der intelligente Narr. In den Filmen hat Dino immer die Mädchen bekommen, die Jerry zuvor angeschleppt hatte, weil er vollkommen unbedrohlich wirkte. In Wirklichkeit war das Verhältnis wohl ausgeglichen, und wer genauer hinsah, der erkannte in Lewis immer schon den Anarchisten, den unberechenbaren Ausdruck des Triebhaften, die rohe Gewalt des unbewussten Es, wie Sigmund Freud es beschrieben hat.
Irgendwann wurde die Rivalität zu groß und 1956 brach das Duo auseinander. „Die klügste Entscheidung meines Lebens war es, mich mit Jerry Lewis zusammenzutun. Die zweitklügste war es, mich von ihm zu trennen“, sagte Dean Martin einige Jahre später über die Trennung.
Das ewige Kind
Für seine Solokarriere musste sich Lewis neu erfinden. Ohne das Alter Ego von Dino spielte er gewissermaßen beide Rollen, und verkörperte immer wieder schizophrene Figuren. In einem seiner berühmtesten Filme, „Der verrückte Professor“, parodierte er dies 1963 in einer Jekyll & Hyde-Komödienversion. Aber auch hinter der Kamera übernahm er alles selbst: Regie, Drehbuch, Hauptrollen. In „Das Familienjuwel“verkörperte er unter eigener Regie sieben Figuren. Die Titel sprechen Bände: Aschenblödl, Bürotrottel, Heulboje, Mondkalb. In zahllosen Filmen war er das ewige Kind, der dumme Junge und Kasper, der Klassenclown. Aber „Hallo Page!“(1960) ist eine wagemutige Arbeit, pures Kino, das fast ohne Dialog und ohne stringente Story auskommt. Jerry Lewis war nicht allein ein großartiger Schauspieler und Regisseur in Hollywoods klassischer Ära. Er war auch ein wichtiger Erneuerer der Komik und der Techniken, die ihr zugrundeliegen. Dazu gehört auch die Fähigkeit, diese Technik ganz unsichtbar zu machen.
Das Leben, ein Filmstoff
Nachdem der Erfolg trotzdem abnahm und der Körper den Belastungen Tribut zollte, versuchte Lewis Anfang der 1970er noch einmal etwas komplett Neues: Doch der Versuch, eine zweite Karriere mit mehr Ernst und brüchigem Humor zu starten, ging dramatisch schief. „The Day The Clown Cried“von 1972 sollte eine Komödie im Konzentrationslager spielen lassen. Der Film, von dem Roberto Benigni für „Das Leben ist schön“schamlos klaute, liegt bis heute unter Verschluss. Mit der Regiekarriere war es vorbei.
Erst von jüngeren Filmemachern bekam Lewis die Chance, der Rolle des ewigen Kindes zu entkommen: „The King of Comedy" (1983) von Martin Scorsese zeigt einen Lewis, der von einem Fan unter Druck gesetzt wird. In „Cookie“(1989) ist er ein zynischer Casino-Boss.
Es gibt keinen zweiten Komiker, den das Kino selbst so oft zum Thema gemacht hat, wie ihn: Bei Emir Kusturica („Arizona Dream“) spielt er ebenso sich selbst, wie in „Funny Bones“von Peter Chelsom. Am abgründigsten aber ist der Thriller „Where The Truth Lies“(„Wo die Wahrheit liegt/lügt“). Darin fiktionalisiert Atom Egoyan das Ende der Zusammenarbeit mit Dean Martin, und zeigt zwei Komiker, die im wahren Leben noch ganz anders die Sau rauslassen, als auf der Bühne: „Ich war Rock’n’ Roll, und er war Klasse“, erzählt da Lewis’ Alter Ego. „Seine Anwesenheit erlaubte Amerika, mich zu lieben.“Jetzt ist der größte Anarchist der Filmgeschichte, der geliebteste Unerzogene Amerikas, gestorben.