Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Das Ende des Schweigekartells
Ex-FIFA-Schiedsrichter Bernd Heynemann springt Manuel Gräfe nach seinen Attacken bei
RAVENSBURG - Unter Fußballfans ist eher der neue Videobeweis das Thema. Dieser soll auch die Schiedsrichter aus der Schusslinie befördern. Doch die Unparteiischen stellen sich gerade verstärkt gegenseitig ins Fadenkreuz. Seit der Berliner Referee Manuel Gräfe, von den Kollegen der „11 Freunde“nicht zu Unrecht erst im Juli zum besten Schiedsrichter der abgelaufenen Bundesligasaison gekürt, die früheren deutschen Schiedsrichter-Chefs Hellmut Krug und Herbert Fandel attackiert und ihnen unter anderem Vettern- und Günstlingswirtschaft vorgeworfen hat, ist die früher so verschwiegene Szene in Aufruhr.
„Die beiden haben sich ihre Schiedsrichterliste so zusammengebastelt, wie sie es wollten“, sagte Gräfe dem „Tagesspiegel“: „Es ging nicht vorrangig nach Leistung und deshalb zulasten des Fußballs, wie man ja auch an dem Leistungsabfall bis zum Sommer 2016 merkte.“
Seit 2016 ist Lutz Michael Fröhlich neuer Schiedsrichter-Chef des DFB. Und nach Jahren der Verschwiegenheitskultur im Schiedsrichterwesen scheinen nun die Unparteiischen ihre Sprache wiederzufinden. Gräfe scheint einen wunden Punkt getroffen zu haben. „Die Kritik existiert ja nicht erst seit fünf Minuten, sondern es rumort schon seit Jahren unter den Schiedsrichtern“, sagt etwa der frühere FIFA-Schiedsrichter und CDU-Bundestagsabgeordnete Bernd Heynemann im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Auch er sieht die Arbeit von Fandel und Krug kritisch, eine ausgewogene Struktur unter den beförderten Referees sei nicht gewollt gewesen. „Ich war ja auch viele Jahre Schiedsrichterbeobachter. Als dann die Ära Krug/Fandel begann, wurden viele Leute abgelöst, und sie wollten nur noch ihre Typen – die Schiedsrichter durften nichts mehr sagen und man wollte keine wirklichen Charaktere, nur noch Stromlinienförmige“, so Heynemann.
Fandel wollte auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“keine Stellung nehmen zu den Vorwürfen.
Besonders schwer wiegen jene, die Gräfe in Bezug auf seinen Kollegen Felix Zwayer anführt. „Wie kann so jemand bis in die Spitze der deutschen Top-Schiedsrichter kommen? Kann es sein, dass Fandel und Krug dort einen Mann haben wollten, der ihnen zu bedingungsloser Loyalität verpflichtet war?“, fragte Gräfe im Interview und spielte auf die Verstrickungen Zwayers in den Wettskandal um Robert Hoyzer an. Der heute 36-Jährige hatte den Skandal damals zwar durch seine Anzeige mit ins Rollen gebracht, war aber wegen seiner Mitwisserschaft für sechs Monate gesperrt worden. Der DFB hatte das Urteil damals aber nicht veröffentlicht.
Auch Heynemann kann die Karriere Zwayers, der mittlerweile durch die UEFA sogar in die Elitekategorie für Schiedsrichter berufen
Bernd Heynemann
wurde, nicht nachvollziehen. „Bei der Sache mit Zwayer befinden wir uns in einem sensiblen Bereich. Aber wer in einen Bestechungsskandal involviert war, kann eigentlich kein Großer mehr werden, das wollte wohl auch Gräfe ausdrücken“, sagte er. Allerdings bliebe zu bedenken: „Fakt ist: alle Schiedsrichter sind heute untereinander Konkurrenten. Da geht es natürlich auch um das Geld, das verdient wird.“
Steinhaus zu spät befördert?
Gräfe meint aber: Während Kollegen in Positionen gekommen seien, für die sie nicht gut oder weit genug gewesen wären, seien andere jahrelang unter ihren Möglichkeiten eingesetzt worden. So auch die in diesem Sommer in die Bundesliga aufgestiegene Bibiana Steinhaus – die den Aufstieg nach Ansicht vieler schon früher verdient gehabt hätte.
Hier wiederspricht Heynemann Gräfe jedoch. „Bibiana Steinhaus hat in den letzten Jahren gute Leistungen gebracht und irgendwann muss man generell entscheiden, ob es noch einmal nach oben geht oder nie – dafür was es nun das letzte Jahr. Wenn es vor zwei Jahren passiert wäre, wäre es wohl auch ein Frauenbonus gewesen. Jetzt pfeift sie stabil und es ist der logische Schluss.“Für Gräfe sei diese Hochstufung nach einem Jahr unter Fröhlichs Führung allerdings exemplarisch für die neue Herangehensweise. „Seitdem er die Verantwortung trägt, geht es ausschließlich nach Leistung“, sagte Gräfe. Auch Heynemann erkennt eine klare Wandlung, jedoch sei nun abzuwarten, wie es sich entwickeln würde.
Ähnliche gelte für den Videobeweis – dessen Start Heynemann als „Katastrophe“bezeichnet: „Wenn wir soweit sind, dass Entscheidungen online aus Köln getroffen werden, dann brauchen wir keine Schiedsrichter mehr.“Heynemann glaubt auch nicht, dass durch den Videoassistenten die Diskussionen weniger werden würden. „Man muss sich nur einmal die Szene am Freitag mit Karim Bellarabi ansehen (der Bayerns Joshua Kimmich rotwürdig gefoult hatte; d. Red.) Da muss der Videoschiedsrichter eingreifen“, so Heynemann. Eigentlich sei dieser eingeführt worden, um bei schweren Vergehen oder Fehlentscheidungen einzugreifen. Das sei aber in diesem Beispiel am Freitag „nicht passiert. Das ist dann auch Wettbewerbsverzerrung. Und das soll Gerechtigkeit sein? Ich glaube nicht!“, so Heynemanns Resümee.
Es dürfte weiter rumoren unter den Schiedsrichtern.
„Die Schiedsrichter durften nichts mehr sagen und man wollte keine wirklichen Charaktere, nur noch Stromlinienförmige.“