Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Pionierin in Uniform
Vor 30 Jahren traten in Baden-Württemberg die ersten Frauen bei der Schutzpolizei ein – Heute sind 40 Prozent der Anfänger weiblich
STUTTGART - Manche Dinge ändern sich langsam. Sehr langsam. „Die Kolleginnen kommen sofort“, versprach Hauptkommissarin Manuela Haller vor einigen Wochen einem Anrufer, der um Hilfe der Erbacher Polizei bat. „Was? Arbeiten da nur noch Frauen?“, war die Antwort. Nicht jeder Bürger fühlt sich beschützt, wenn Damen in Uniform anrücken. „Darüber gehe ich hinweg“, sagt Haller und lächelt vielsagend. Die 47-Jährige ist eine von 120 Frauen, die am 1. September 1987 als erste Schutzpolizistinnen in Baden-Württemberg ihre Ausbildung begannen. Das war nur in Biberach und Lahr möglich. Sonst gab es nirgendwo getrennte Duschräume.
30 Jahre später ist einiges anders. Aber eben nicht alles. „Natürlich habe ich darüber nachgedacht, wie es als Frau bei der Polizei ist. Schließlich denken ja schon einige Jungs in der Schule, Mädchen hätten weniger drauf“, sagt Sina-Marie Meissner (18). Sie tritt am 1. September 2017 ihren Dienst an – wie Haller in der Dienststelle Biberach.
Bei der Kriminalpolizei arbeiten Frauen schon lange, seit rund 100 Jahren. Doch erst 1978 stellte die Polizei in Berlin die ersten weiblichen Uniformierten ein. In BadenWürttemberg blieb dieser Dienst noch neun weitere Jahre eine Männerdomäne. Nur Bayern führte seine Schutzpolizei noch länger als frauenfreie Zone – bis 1990.
Vor dem 1. September 1987 hatte Haller sich über solche Fragen wenig Gedanken gemacht. Das örtliche Revier lag genau gegenüber ihrer Schule in Geislingen (Kreis Göppingen). Die Arbeit der Polizisten faszinierte sie. Spannend stellte sie sich diese vor und einen Bürojob wollte sie partout nicht lernen. Ihre Eltern waren entsetzt – so ein gefährlicher Beruf. „Denen ist das bis heute suspekt, sie haben Angst um ihr Mädchen“, erzählt Haller. Da lächelt Sina-Marie neben ihr. Angst hat ihre Mutter auch. „Meine Freundinnen fanden das eigentlich alle gut, aber einige machen was ganz anderes. Eher so was wie Bürokauffrau“, meint die 18-Jährige. Es klingt, als langweile sie schon der Gedanke daran. Jetzt lächelt Kollegin Haller. Sie schätzt noch heute, dass Polizistinnen nie wissen, was in der nächsten Minute passiert. Spannend eben.
Eifersucht und Ablehnung
Doch deren Begeisterung für den vermeintlichen Traumjob nutzte sich ab. Im ersten Jahr der Ausbildung wurde sie herumgereicht als Exotin. Journalisten und TV-Teams, Schülerinnen und andere suchten Kontakt zu den ersten Frauen im Streifendienst. Männliche Kollegen waren offen eifersüchtig, das kam bei allen Vorbehalten noch dazu. Haller war mit neun Kameradinnen in einem Zug von insgesamt 30 Anwärtern. „Im Zug haben wir zusammengehalten, die Männer dort kamen fast alle direkt von der Schule, sie waren es ja gewöhnt, mit Mädchen zusammen zu lernen“, berichtet Haller. Anders die Ausbilder. Wenn Haller an kritische Punkte ihrer Karriere kommt, erscheint auf ihrer Stirn eine senkrechte Falte, sie denkt kurz nach und antwortet erst dann. Sie will, das ist erkennbar, ihre Polizei nicht schlechter reden, als sie ist. Denn: „Das ist ein guter Job“, sagt Manuel Haller mehrfach mit Überzeugung.
Dennoch gab es diesen Punkt, an dem Haller wusste: Entweder, ich gehe am Wochenende zurück in die Polizeischule und ziehe das durch, oder ich mache was anderes. Sie ging wieder hin. Doch der Weg war hart. Zum einen dauerte es lange, bis sie tatsächlich Dienst tun konnte. Damals absolvierten die Anwärter nur vier Wochen in einem Revier, heute ist es ein Jahr. Der Rest bestand aus Theorie und Drill in der Polizeischule, mehrere Monate in der Einsatzhundertschaft. Das körperliche Training war hart. „Ich glaube, viele Ausbilder wurden damals von ganz oben völlig alleingelassen“, so Haller. Die Anforderungen waren auf Männer zugeschnitten. Nicht nur die Frauen mussten ihnen genügen. Auch die Ausbilder wurden daran gemessen, ob ihre Anwärter und Anwärterinnen die Tests bestanden. Es galt die Maxime: Hauptsache, Polizisten sind stark, dann kämpfen die schon jeden nieder.
Das hat sich laut Renato Gigliotti, Pressesprecher des Innenministeriums, seit 1987 stark verändert. Heute geht es in der Ausbildung viel mehr darum, Situationen frühzeitig zu analysieren und mögliche Gefahren zu erkennen. „Das hat sicher unter anderem mit dem Dienstantritt der Frauen zu tun. Man hat begonnen, sich Gedanken darüber zu machen, dass die Polizei nicht in jeder Situation mit Kraft oder Waffengewalt die Oberhand gewinnen kann“, sagt Gigliotti.
Haller war sich der körperlichen Unterlegenheit stets bewusst. Als Frau müsse man eben mehr Kampftechniken lernen und im Zweifel dem Kollegen signalisieren, wann die Grenze erreicht sei. „Aber das gilt natürlich auch für Männer. Nicht jeder Mann ist groß und kräftig, nicht jede Frau klein und zierlich.“
Familienplanung als Polizistin
Zum harten Drill kam, dass einige Vorgesetzte Polizistinnen nicht akzeptierten. Das spürten die Frauen. Und das legte sich nach der Ausbildung nicht. Haller war überall die Erste. Als sie ihren Dienst in Stuttgart antrat, gab es keine Umkleiden – weder für Männer noch für Frauen. Wenn Haller zur Wache kam, musste ein Kollege sein Zimmer verlassen. Eine Extrawurst für die Kollegin. Und das im Bewusstsein: „Du musst dich hier so benehmen, dass Frauen später auch noch willkommen sind“, sagt Haller. Als Pionierin fühlte sie sich verantwortlich für das Frauenbild, das sie vermittelte.
Mit 20 erwartete Haller ein Kind und war eine der ersten Schwangeren im Polizeidienst. „Damals dachten die Vorgesetzten wohl, Frauen bei der Polizei würden ihre Familienplanung ganz hinten anstellen“, sagt Haller. Und so wusste niemand, was man nun mit einer schwangeren Schutzpolizistin anfangen sollte.
Das wiederum hat sich geändert. Manuela Haller hat es selbst erlebt. Sie wurde vor sieben Jahren noch einmal schwanger. Ihr Vorgesetzter wollte mit ihr eigentlich die Schritte auf der Karriereleiter berechnen. „Ich hatte Angst, jetzt ist das kein Thema mehr“, erinnert sich die Hauptkommissarin. Doch der Vorgesetzte reagierte anders als befürchtet. Er ermöglichte Haller weitere Stationen innerhalb der Polizei, weil sie als Schwangere ohnehin nur Innendienst tun konnte. Die Schwangerschaft als Chance, das war neu für Haller. Nach der zweiten Schwangerschaft ließ sie sich noch beurlauben. Gezwungenermaßen. Teilzeitmodelle gab es kaum. Die Kita vor Ort hatte sogar noch eine Mittagspause. Ein
Dienst neben der Kindererziehung war unmöglich, weil der Vater Vollzeit arbeitete.
Mittlerweile bietet die Polizei zahlreiche Teilzeitmodelle, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie Müttern und Vätern zu ermöglichen. „Das ist schon luxuriös“, sagt Armin Bohnert, vom Verein Polizeigrün, einem Zusammenschluss von Polizisten, die politisch den Grünen nahestehen. „Der Anteil der Frauen liegt heute bei knapp 21 Prozent und wächst, das ist gut.“
Dennoch berichtet er von Vorbehalten gegenüber Frauen, die sich bis heute halten. Gerade wenn es hart auf hart gehe, sei es bei der Dienstplanung oder bei der Verteilung der Einsatzpartner, seien Frauen in den Augen einiger Männer eben doch nicht 100 Prozent gleichberechtigt. „Ein Riesenproblem ist die Tatsache, dass Schwangere nicht vertreten werden“, sagt Bohnert. Wenn eine schwangere Frau keinen Streifendienst mehr tun könne, erhalte ihr Chef dafür keinen Ersatz. „Deswegen jubelt nicht jeder Revierleiter, wenn er einen hohen Frauenanteil hat“, so Bohnert. Hier müsse das Innenministerium des Landes nachbessern. Das gelte auch für Frauen in Führungspositionen. Derzeit sind neun Prozent der Beamten im gehobenen Dienst Frauen. „Da sieht es düster aus und es tut sich gar nichts“, moniert Bohnert. Das lässt sein oberster Dienstherr, Innenminister Thomas Strobl (CDU), so nicht stehen. Er gibt zwar zu: „Bei Frauen in Führungspositionen haben wir noch Luft nach oben. Mein Ziel ist, dass sich das gut entwickelt.“Aber, so der CDU-Politiker: „Natürlich geht es bei der familienfreundlichen Personalpolitik auch darum, den Frauenanteil in Führungspositionen zu erhöhen. Zum Beispiel durch Modelle wie Führen in Teilzeit.“Manuela Haller ist eine der wenigen, die einen Polizeiposten leitet. Selbstbewusst und durchsetzungsstark tritt die 47-Jährige auf. „Das hat sich entwickelt. Der Polizeidienst war sicher einer der Gründe“, sagt sie rückblickend. Davon profitiert sie heute. Auf die Frage, ob sie Missfallen anderer Eltern spürt, weil sie ihren Siebenjährigen ganztags betreuen lässt, lacht sie nur und sagt: „Ach Gott, ja, natürlich.“Alleinerziehend und dann auch noch Karriere machen wollen, das wird Frauen als Fehler vorgehalten.
Damit wird sich auch 30 Jahre nach Dienstantritt der Pionierinnen Sina-Marie auseinandersetzen müssen. Sie zuckt mit der Schulter. Familienplanung ist mit 18 noch weit weg. Anders als ihre Vorgängerinnen muss sie zumindest keine unvorteilhaften braunen, knöchellangen Röcke als Dienstkleidung tragen. Zu denen gab es 1987 nicht einmal passende Schuhe. Beim Pressetermin mit dem damaligen Innenminister Dietmar Schlee (CDU) trug Frau daher Halbschuhe und Wollsocken unter dem Rock.
„Schon in meiner Schule denken Jungs, dass Mädchen weniger draufhaben.“Polizeianwärterin Sina-Marie Meissner (18)
„Meinen Eltern ist der Beruf bis heute suspekt – sie haben Angst um ihr Mädchen.“Manuela Haller, Hauptkommissarin (47)