Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Vom Schafstall zum Publikumsmagneten
Die spätgotische St. Anna Kapelle in Tettnang
TETTNANG - Es war die tiefe Not eines adeligen Grafenpaars, die im Jahr 1513 zur Kapellenstiftung von St. Anna in Tettnang geführt hat. Die Montforts hatten zehn Kinder, aber keine männlichen Erben. Graf Ulrich VII. und seine Gemahlin Magdalena von Oettingen riefen die Heilige Anna an. Die Mutter Marias wird als Schutzpatronin der werdenden Mütter und kinderlosen Frauen verehrt. Draußen vor der Stadt, „nächst dem siechenhus“, entstand die Kapelle – ohne Glockenturm. Der spätgotische Altar des Memminger Meisters Bernhard Strigel zeigte auf den äußeren Altarflügeln die beiden Stifter, auf den inneren waren Szenen aus dem Leben der Heiligen Anna dargestellt. Vom Altar sind nur noch die Flügel erhalten, befinden sich aber heute in der Hauskapelle derer zu Oettingen.
Im Jahr 1812 wurde die Kapelle verkauft und fiel wenig später an einen Gutsbesitzer. Als Kirche wurde sie nicht mehr genutzt, aber als Schafstall. Von der gotischen Ausstattung ist kaum etwas übrig geblieben. „So mancher betagte Tettnanger erinnert sich noch an den Stall“, weiß Karin Gaißer, die mit ihrer Familie seit vielen Jahren im denkmalgeschützten Leprosenhaus wohnt und „mit Mann, Schwager und eigentlich der ganzen Familie“die Messnerdienste ausübt. „Ja, ich habe nach meiner Hochzeit auch zur Hl. Anna gebetet“, erzählt sie. Der reiche Kindersegen ließ nicht lange auf sich warten.
Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Kapelle wieder zur Kirche. Der damalige Besitzer, Herzog Philipp von Württemberg stiftete Holz für die Renovierung, und die Tettnanger wurden vom Landrat um Spenden gebeten. In jahrelanger Arbeit wurde aus dem Schafstall wieder ein Gotteshaus, mit neuen Fenstern, konservierten Rippen des spätgotischen Netzgewölbes und bunt bemalten Schlusssteinen. Die kleine Wappengalerie stellt eine Art steinerne Chronik des Hauses Montfort dar.
1971 wurde der erste Gottesdienst gefeiert. „Seither“, so Gaißer, „wird die Kapelle als Kirche genutzt und ist inzwischen ein wahrer Publikumsmagnet.“Mütter mit Kindern, Bewohner aus dem nahen Altenheim und vom Wohngebiet Schäferhof kämen hier entlang. „Wir lassen von morgens bis abends offen, es ist ein ständiges Kommen und Gehen.“Und auch so mancher Pilger auf dem Jakobsweg Richtung Nonnenhorn und Wasserburg kehrt kurz ein. Gern wird St. Anna, die zur katholischen Kirchengemeinde St. Gallus gehört, für Hochzeiten, Taufen und Samstagsgottesdienste genutzt. Auch für Konzerte, „die Akustik hier ist einmalig und die sanierte Orgel auch“. Einmalig ist auch die Lage auf der Wiese zwischen den Obstbäumen. Das wird sich allerdings bald ändern. Wiese und Bäume müssen einem sozialen Wohnbauprojekt weichen.