Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
„In Deutschland ist es eine Zäsur“
Der Wahlkampf von SPD und CDU hat laut Politikwissenschaftler Stefan Wurster zum AfD-Erfolg beigetragen
RAVENSBURG - Der lasche Wahlkampf zwischen SPD und CDU hat ein Erstarken der AfD ermöglicht. Das sagte Stefan Wurster, Politikwissenschaftler an der Hochschule für Politik München, im Gespräch mit Daniel Hadrys. Es sei für die AfD leichter gewesen zu behaupten, die SPD und CDU würden sich kaum unterscheiden. Nun hätten die Volksparteien die Chance, ihre Profile wieder zu schärfen.
Herr Wurster, wie haben Sie das Ergebnis der AfD erlebt?
Die Überraschung war nicht besonders groß. Man konnte erwarten, dass die AfD ein gutes Ergebnis erzielen wird. Überraschend ist jedoch, dass die AfD in Sachsen als stärkste Partei abgeschnitten hat. Es zeigt, dass es ein erhebliches Protestpotenzial in den neuen Bundesländern gibt, dass aber auch eine Rechtsverschiebung in der Wählerschaft stattgefunden hat.
Wie erklären Sie die Tatsache, dass ostdeutsche Männer größtenteils die AfD gewählt haben?
Die AfD hat von den Anhängern verschiedener Parteien Stimmen bekommen, aber vor allem von der Union und von Nichtwählern. In den neuen Bundesländern kommt ein großer Anteil an Protestwählern dazu. Das ist spannend, weil die traditionelle „Protestpartei“in den neuen Bundesländern bislang die Linke war. Hier hat es scheinbar in Teilen einen Übergang der Protestwähler von den Linken zur AfD gegeben.
Werden diese Protestwähler nun profitieren?
Die AfD wird nicht dafür gewählt, dass sie Probleme löst. Prominente Vertreter haben das auch selbst so gesagt. Für die AfD ist wichtig, dass es ein Problem gibt, auf das sie hinweisen kann. Das ist für die AfD vor allem die Flüchtlingsfrage. Von den allermeisten Wählern wird gar keine Antwort darauf erwartet. Deswegen ist es für sie auch kein Problem, dass die AfD gar kein kohärentes Programm im Hinblick auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik hat. Sie hat nicht mal ein einheitliches Rentenkonzept entwickelt. Das ist für eine Protestpartei aber auch nicht entscheidend.
AfD-Chefin Frauke Petry will kein Teil der Fraktion sein, die Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern hat sich aufgespalten. Was bedeutet das für die AfD im Bundestag?
Dass dies einen Tag nach der Wahl passiert, ist sehr früh, aber nicht untypisch. Das Phänomen beobachten wir häufiger bei Protestparteien. Sie sprechen verschiedene unzufriedene Gruppen an. Es gibt daher ein großes Potenzial für Streit und Spaltungen innerhalb der Partei. Frauke Petry will die AfD zu einer bürgerlichen, rechtskonservativen Partei machen, die auch irgendwann Regierungsverantwortung übernehmen kann. Andere Vertreter fahren eine Proteststrategie, die ganz deutlich nach rechts ausgreift und provoziert. Die Frage wird sein, ob die Partei die Flügel zusammenhalten kann. Damit eine Partei langfristig erfolgreich sein kann, muss sie mehrere Streitpunkte abdecken. Das hat man damals bei den Grünen gesehen.
Lange Zeit sah es so aus, als ob die AfD einstellig bleiben wird. Wieso hat sie im Endspurt des Wahlkampfes wieder so aufgeholt?
Die Flüchtlingspolitik ist für die AfD ein ganz zentrales Thema – obwohl nicht mehr so viele Flüchtlinge kommen. Nichtsdestotrotz hat am Ende des Wahlkampfs kein anderes gesellschaftspolitisches „Pegida“-Demonstration in Dresden: Die AfD hat vor allem in den neuen Bundesländern viele Stimmen bekommen – vor allem von Protestwählern, sagt Politologe Wurster.
Thema mehr so stark gezündet. Die Wechselhaftigkeit der Wähler hat zugenommen, auch kurzfristige Einflüsse können eine Rolle spielen. Das war auch ein strategischer Fehler der Union. Sie hat versucht, kein relevantes Thema mehr aufzukommen zu lassen. Dadurch wollte sie der SPD keine Chance zur Profilierung geben.
In anderen europäischen Ländern sind Rechtspopulisten fest verankert in der Parteienlandschaft. Hat dies dazu beigetragen, dass rechte Thesen auch hierzulande gesellschaftsfähig geworden sind?
Das politische System in Deutschland war lange durch Sonderfaktoren gekennzeichnet. Lange hat keine Partei im extremen linken oder rechten Spektrum nachhaltige Erfolge erzielen
können – zumindest auf Bundesebene. Das hat sich erst mit der PDS im linken Spektrum geändert. Lange war es auch der Union möglich, Wähler rechts von ihr zu integrieren. Die deutsche Geschichte mit der Nazidiktatur hat viele Wähler lange davor abgeschreckt, weiter rechts als die Union zu wählen. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Aus internationaler Sicht ist das eine Normalisierung, das stellen wir in vielen Parteiensystemen fest. In Deutschland ist es trotzdem eine Zäsur.
Haben die Volksparteien zum Erstarken der AfD beigetragen?
Aus der Geschichte sieht man, dass Große Koalitionen tendenziell die Ränder stärken. Der Wettbewerb zwischen den großen Parteien findet nicht so stark und konfrontativ statt. Sie haben es der AfD leichter gemacht, zu sagen: „Wir gegen den Rest.“Es ist das Grundnarrativ der AfD, die anderen Parteien würden gar keinen großen Unterschied machen.
SPD und CDU haben die schlechtesten Ergebnisse seit 1949 eingefahren. Werden wir uns an den Gedanken gewöhnen müssen, dass es die Volksparteien eigentlich nicht mehr gibt?
Das sehe ich nicht so. Natürlich sind die Volksparteien geschwächt worden, das ist nach Großen Koalitionen häufiger so. Es gibt danach eine Stärkung an den Rändern. Das kann sich auch wieder drehen. Volksparteien sind wichtig für die Stabilität des politischen Systems in Deutschland. Sie bündeln im Vorfeld intern verschiedene Flügel und machen sie politikfähig. Durch eine zunehmende Individualisierung differenzieren sich die Interessen innerhalb der Wählerschaft jedoch weiter aus. Im Bundestag sitzen künftig sieben Fraktionen. Das ist neu. Das heißt aber nicht, dass Volksparteien nicht reüssieren könnten. Wenn die CDU in der Regierung und die SPD in der Opposition sitzt, kann es sein, dass sie durch diese Polarisierung wieder an Zustimmung gewinnen.
Merkel hat Gespräche mit der SPD angekündigt. Glauben Sie, die SPD bleibt in ihrer Oppositionsrolle?
Das hat die SPD sehr klar gesagt, aus Sicht der SPD spricht auch sehr viel dafür. Sie war sehr lange an der Regierung beteiligt. Um einen kraftvollen Oppositionswahlkampf führen zu können, ist es wichtig, nicht Teil der Regierung zu sein. Das war auch eines der Hauptprobleme von Martin Schulz, dass er nicht richtig angreifen konnte.
Kann die SPD in der Opposition gesunden?
Das ist nicht ausgemacht. Für die SPD besteht die Möglichkeit, sich stärker zu profilieren und so zu gesunden. Sie kann als Bollwerk der Demokratie eine wichtige Rolle ausfüllen. Schwieriger wäre es gewesen, eine Große Koalition fortzuführen.