Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Frankreich macht den Ausnahmezustand zur Regel
Nach Anschlägen hatten Ordnungshüter Sonderrechte bekommen – Nun werden viele davon in reguläres Recht überführt
PARIS - Die französische Nationalversammlung hat ein Anti-Terror-Gesetz verabschiedet, das den Ausnahmezustand ablösen soll. Menschenrechtler kritisieren, dass die Justiz künftig nicht viel mitzureden hat.
Die Rue Chanez liegt im eleganten 16. Stadtbezirk von Paris. In dieser ruhigen Wohngegend am Rande des Bois de Boulogne entdeckte ein Nachbar hinter der grünen Eingangstür zur Nummer 31 zwei Gasflaschen, literweise verschüttetes Benzin und ein Handy als Zünder. Alles deutet auf einen Anschlag hin, der am Wochenende in letzter Minute vereitelt wurde. „Die Tatsache, dass jemand ein Gebäude in einem schicken Viertel in die Luft sprengen wollte, ist ein Zeichen dafür, dass niemand in Sicherheit ist“, sagte Innenminister Gérard Collomb. Am Dienstag stimmte die Nationalversammlung in erster Lesung seinem neuen AntiTerror-Gesetz zu, das knapp zwei Jahre nach den Anschlägen von Paris den seither geltenden Ausnahmezustand beenden soll. Ein Teil der Maßnahmen soll dazu in normales Recht übernommen werden.
„Angesichts einer dauerhaften Bedrohung ist es notwendig, einen Ausstieg aus dem Ausnahmezustand anzustreben und den Staat mit neuen juristischen Mitteln auszustatten, um der Terrorgefahr außerhalb des Ausnahmezustands zu begegnen“, erklärte die Regierung bei der Vorstellung des Entwurfs im Juni. Noch vor den Präsidenten- und Parlamentswahlen war ein Ausschuss der Nationalversammlung zu dem Schluss gekommen, dass die im November 2015 erlassenen Regelungen nicht mehr viel bringen. Nachdem nach den Anschlägen in Paris mit 130 Toten noch Tausende Durchsuchungen angeordnet worden waren, waren es zuletzt nur noch gut 20 im Monat. Die wenigsten mündeten in einem Gerichtsverfahren.
Hausarrest und Durchsuchungen sollen auch künftig möglich sein. Die Kompetenzen für die meisten Maßnahmen liegen aber nicht bei der Justiz, sondern beim Innenminister und bei den Präfekten als Vertreter des Präsidenten in den Départements. So können die Präfekten für Verdächtige einen Hausarrest verhängen, wenn eine Gefahr für die Sicherheit besteht. Sie können auch Kultstätten schließen, wenn dort gewaltverherrlichende oder diskriminierende Ideen verbreitet werden. Bisher waren dafür Schriften als Grundlage nötig. Auch für Polizeikontrollen beispielsweise rund um Bahnhöfe oder Flughäfen reicht der Beschluss des Präfekten. Lediglich für Hausdurchsuchungen, die künftig „Besuche“heißen, braucht es – anders als unter dem Ausnahmezustand – nun die Erlaubnis eines Richters.
Der Menschenrechtsbeauftragte Jacques Toubon kritisierte das neue Gesetz. „Es erlaubt die Einschränkung der Freiheiten auf der Grundlage eines Verdachts, eines Verhaltens, von Einstellungen, Kontakten oder Absichten“, sagte er in „Le Monde“.
Mehrheit für Neuregelung
In Frankreich finden die Maßnahmen aber Zustimmung: 57 Prozent sind laut einer Umfrage dafür. Einem Teil der konservativen Republikaner und dem rechten Front National (FN) geht das Gesetz nicht weit genug. Sie kritisieren das Ende des Ausnahmezustands zu einem Zeitpunkt, wo die Terrorgefahr nach wie vor hoch ist. Das zeigten nicht nur die Sprengstofffunde in Paris, sondern auch der tödliche Messerangriff auf zwei junge Frauen vor dem Bahnhof von Marseille – in diesem Fall wurden am Dienstag fünf Verdächtige festgenommen; der Haupttäter war am Tatort von Polizisten erschossen worden.
„Das Gesetz verringert den Schutz der Franzosen“, sagte der konservative Abgeordnete Guillaume Larrivé zu den Neuregelungen. Er stimmte ebenso wie die Abgeordneten vom FN, Kommunisten und Linkspopulisten gegen das Anti-Terror-Gesetz, das aber trotzdem mit 415 zu 127 Stimmen verabschiedet wurde.