Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Wie Qualität von Kliniken gemessen wird
Bund entwickelt neue Kriterien, doch Baden-Württemberg will sie nicht anwenden
STUTTGART - Wie gut arbeitet ein Krankenhaus? Geht es nach der Bundesregierung, soll die Antwort auf diese Frage künftig eine größere Rolle spielen. Abteilungen mit vielen Komplikationen könnten sogar geschlossen werden. Doch BadenWürttemberg will die neuen Möglichkeiten nicht nutzen. Der Grund: Das Sozialministerium hält die Kriterien, anhand derer die Qualität von Krankenhäusern gemessen wird, für umstritten. Das sehen Krankenkassen und Gesundheitsexperten anders.
Bereits seit mehr als zehn Jahren müssen Kliniken Zahlen und Fakten aus ihrer Arbeit vorlegen. Wie verlaufen Operationen, welche Behandlungen wählen Ärzte und was ist das Ergebnis? Zu solchen Fragen müssen sie Daten an die Geschäftsstelle Qualitätssicherung im Krankenhaus (GeQiK) übermitteln. Diese überwacht im Auftrag der Krankenkassen, Kliniken und Ärzte, wie gut Krankenhäuser arbeiten. Sie wertet die Daten aus. Gibt es Unstimmigkeiten, müssen die Kliniken Stellung nehmen. Sie können zu Beratungsgesprächen mit externen Experten oder einer genaueren Dokumentation ihrer Arbeit verpflichtet werden. Nach Angaben der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG) werden jährlich rund 50 000 Datensätze übermittelt, 2000 waren auffällig, bei 150 stieg man in konkrete Gespräche über Qualitätsprobleme ein.
Kriterien für alle Fächer geplant
Doch ab 2018 könnten härtere Konsequenzen drohen. Der gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hat neue Maßstäbe zur Qualitätsmessung entwickelt. In dem Gremium sitzen Kassen, Ärzte, Kliniken und andere Verbände des Gesundheitswesens. Elf Indikatoren haben die Experten bereits erarbeitet. Sie decken allerdings nur einige Bereiche ab, nämlich gynäkologische Operationen, Geburtshilfe und Brustchirurgie. Beispiel Geburtshilfe: Bei Frühgeburten sollte immer ein Kinderarzt anwesend sein. Ist dies in einer Klinik häufiger als bei jedem zehnten Fall nicht so, wäre das ein Nachweis für fehlende Güte. Weitere Kriterien für die übrigen medizinischen Fächer sollen folgen.
Die scheidende Bundesregierung empfiehlt den Ländern nun Folgendes: Reißt ein Krankenhaus einmal oder gar mehrfach die Qualitätshürden, können Gelder gekürzt oder gar ganze Abteilungen geschlossen werden. Denn das Land ist für die Krankenhausplanung zuständig, verteilt also Mittel und genehmigt den Betrieb.
Anders als etwa Hamburg will Baden-Württemberg das Verfahren aber nicht anwenden. „Die vom Bund definierten Qualitätsvorgaben können aber dazu führen, dass einzelne Fachabteilungen, die für die Gesundheitsversorgung relevant sind, geschlossen werden müssen“, warnt ein Sprecher von Sozialminister Manfred Lucha (Grüne). Gerade dort, wo Patienten jetzt schon lange Wege zu einer Klinik auf sich nehmen müssen, wäre das aus seiner Sicht ein großes Problem. Ähnliches befürchtet auch der Koalitionspartner CDU. Man solle die Kriterien des Bundes nicht einfach übernehmen, sagt deren gesundheitspolitischer Sprecher Stefan Teufel: „Wir müssen genau schauen, dass Bürger in allen Landesteilen Zugang zu einer guten medizinischen Versorgung haben.“
Der FDP-Gesundheitsexperte Jochen Haußmann hält die Entscheidung dagegen für übereilt. „Es ist schon fast überheblich, dieses vom Bund empfohlene Verfahren einfach so abzutun.“Die Qualitätskriterien des GBA hält er für durchaus sinnvoll. „Man sollte das ernsthaft prüfen, alles andere halte ich für falsch.“Der Landeschef der Techniker Krankenkasse Andreas Vogt ist ein entschiedener Verfechter des neuen Ansatzes: „Bei der Frage, ob ein Krankenhaus gesetzlich versicherte Patienten behandeln darf, sollte eine wichtige Rolle spielen, wie gut die medizinischen Ergebnisse sind.“
Kontraproduktives Vorhaben?
Die Kliniken selbst sind eher skeptisch. Matthias Einwag, Chef der BWKG: „Schon jetzt ist Qualität ein wichtiger Faktor bei der Krankenhausplanung.“Die Krankenhäuser in Baden-Württemberg leistete in diesem Bereich bereist mehr als gesetzlich vorgeschrieben. So dokumentieren sie etwa auch Fälle aus Bereichen, in denen es der Bund nicht vorschreibt. „Das neue Verfahren könnte sogar kontraproduktiv sein“, mahnt Einwag. Bislang setze man auf Dialog mit den Kliniken. Diese seien meistens von selbst motiviert, Fehler abzustellen. Müssten diese nun aber Sanktionen befürchten, könne sich das ändern.
Das alte Verfahren habe viel geleistet, räumt Regina Klakow-Franck vom GBA ein. Aber es sei zu schwerfällig und werde der modernen Medizin nicht mehr gerecht. „Wir wissen derzeit nicht, wie gut unsere Krankenhäuser wirklich sind.“Das neue Verfahren biete außerdem die Chance der „Marktbereinigung anhand von Qualitätskriterien“– sprich, schlecht funktionierende Kliniken zu schließen. Das wiederum könnte nach Lage der Dinge vor allem Häuser mit wenigen Betten treffen. Denn zahlreiche Studien zeigen: Häuser, die wenige Operationen oder Behandlungen durchführen, erzielen schlechtere Ergebnisse als größere Abteilungen mit vielen Patienten.
Auch Sozialminister Lucha will bestimmte Leistungen an großen Kliniken bündeln. Doch er will sich nicht durch Vorgaben des Bundes sagen lassen, wo und wann.