Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Geheimdeal erschüttert Vertrauen in US-Strategie gegen IS
Ein geheimes Abkommen hat offenbar mit Wissen der USA mehreren Hundert Kämpfern des „Islamischen Staates“(IS) die Flucht aus der nordsyrischen Stadt Rakka ermöglicht. Unter den Dschihadisten, denen die Flucht aus Rakka erlaubt wurde, gehörten nach einem Bericht der britischen BBC ranghohe IS-Vertreter sowie Extremisten aus europäischen Ländern, die jetzt in ihre Heimat zurückkehren könnten.
Das Bekanntwerden des Geheimdeals erschüttert die US-Strategie gegen den IS und lässt in der Türkei das Misstrauen gegen die Amerikaner und die syrischen Kurden wachsen. Der BBC-Bericht über die Geheimabsprache wurde von einem US-Sprecher bestätigt. Washington war demnach über die Vereinbarung informiert, betont aber, der Deal sei von lokalen Verbündeten der USA ausgehandelt worden. Die türkische Nachrichtenagentur Anadolu zitierte einen Sprecher des US-Verteidigungsministeriums mit den Worten, der Deal sei „eine lokale Lösung für ein lokales Problem“gewesen. Rakka war im Oktober von den Syrischen Demokratischen Streitkräften (SDF) – einem Rebellenverband unter Führung der syrischen Kurden, der von den USA unterstützt wird – eingenommen worden.
In einem Konvoi aus eigens angemieteten Bussen und Lastwagen wurden die IS-Kämpfer sowie Frauen, Kinder, Waffen und Munition kurz vor dem Fall von Rakka aus der Stadt gebracht. Rund 250 IS-Kämpfer sowie etwa 3500 ihrer Familienangehörigen konnten sich so in Sicherheit bringen. Der Buskonvoi war laut BBC acht Kilometer lang. Entgegen den ursprünglichen Absprachen seien viele ausländische IS-Mitglieder und derart viele Waffen aus der Stadt gebracht worden, dass bei einem Bus wegen Überladung die Achsen brachen.
Yildirim: Anschlagsgefahr wächst
Viele IS-Extremisten gelangten in den Osten Syriens, wo der IS nach wie vor einige Gebiete beherrscht. Andere setzten sich über die Grenze in die Türkei ab. Manche IS-Mitglieder wurden in der Türkei festgenommen, andere blieben unentdeckt. Dies lasse neue IS-Anschläge in der Türkei und im Westen wahrscheinlich werden, sagte der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim, der von einer „Schande“für die USA spricht.
Die USA als Hauptunterstützer der Rebellenallianz SDF sieht sich kritischen Fragen gegenüber. Verteidigungsminister Jim Mattis hatte stets betont, in Syrien und im Irak werde ein „Vernichtungskrieg“gegen den IS geführt, mit dem IS-Mitgliedern die Flucht ins Ausland unmöglich gemacht werden solle. Der Kampf gegen den IS werde weitergehen, bis die Extremisten aufgeben, sagte Mattis.
Die Geheimabsprache von Rakka steht dazu im Widerspruch. Die Vereinbarung dürfte das ohnehin gestörte Verhältnis zwischen den USA und der Türkei zusätzlich belasten. Die Forderung aus Ankara nach einem Ende der US-Unterstützung für die syrischen Kurden wird in Washington zurückgewiesen. Die Türkei sieht in der syrischen Kurdenmiliz YPG, der stärksten Gruppe innerhalb der SDF, eine Terrororganisation. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan befürchtet, dass die syrischen Kurden dank der Hilfe der USA ihren Einflussbereich im Norden Syriens ausbauen und dort einen eigenen Staat gründen könnten. Vor wenigen Wochen hatte die Türkei erneut Truppen nach Syrien geschickt, um das zu verhindern.