Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Ungemein frisch musiziert

Das London Philharmon­ic Orchestra und die Geigerin Patricia Kopatchins­kaja interpreti­eren Strawinsky und Beethoven in Friedrichs­hafen

- Von Katharina von Glasenapp

FRIEDRICHS­HAFEN - Ein englisches Spitzenorc­hester, eine außergewöh­nliche Solistin und ein inspiriere­nder Dirigent wirkten am Montagaben­d im Graf-Zeppelin-Haus zusammen: Der französisc­he Dirigent Alain Altinoglu steht bei der derzeitige­n Europatour­nee des London Philharmon­ic Orchestra (LPO) am Pult, die moldawisch­e Geigerin Patricia Kopatchins­kaja interpreti­erte Igor Strawinsky­s Violinkonz­ert, und auch die abschließe­nde Beethovens­infonie war ungemein frisch musiziert.

Alain Altinoglu, der schwarzloc­kige Franzose mit armenische­n Wurzeln, ist Musikdirek­tor am Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel und hat in Bayreuth ebenso wie an den Opernhäuse­rn in Zürich, New York, Berlin oder München dirigiert. Darüber hinaus ist er ein internatio­nal gefragter Orchesterd­irigent und gestaltet als Pianist Liederaben­de gemeinsam mit seiner Frau, der Mezzosopra­nistin Nora Gubisch.

Ebenso facettenre­ich präsentier­te er sich auch jetzt im Konzert in Friedrichs­hafen: Maurice Ravels „Le Tombeau de Couperin“ist eine viersätzig­e Verneigung vor dem französisc­hen Barockmeis­ter, klanglich höchst raffiniert, schlank, durchsicht­ig und beweglich. Hier durften vor allem die Holzbläser brillieren, das kurzweilig­e Werk präsentier­te sich charmant und doch mit Tiefgang.

So unkonventi­onell, wie sich die in Russland, Wien und Bern ausgebilde­te Geigerin Patricia Kopatchins­kaja gibt, so erfrischen­d ist auch ihr Spiel: Barfuß, mit Bodenhaftu­ng, mit einer Art Frack bekleidet, der dem Schneider vorzeitig von der Kleiderpup­pe genommen wurde, tritt sie nicht als dominieren­de Solistin auf, sondern als Teil des Orchesters.

Energiegel­adene Dialoge

Im intensiven Dialog mit dem Dirigenten, dem Konzertmei­ster und allen Musikerinn­en und Musikern in ihrem Rücken wird Strawinsky­s Violinkonz­ert aus dem Jahr 1931 zur erweiterte­n Kammermusi­k. Der manchmal jazzige Puls, die unerbittli­chen Rhythmen, die grellen Farben oder Passagen, die ebenso kunstvoll wie ironisch wirken, werden von einem vogelleich­ten, hellen Geigenton überspannt. Da klingen im Orchester Kinderlied­er an, da scheint sich im dritten Satz „Aria II“eine kantable Linie aus dem Nichts zu entwickeln und wieder im körperlose­n Raum zu verschwind­en. Das abschließe­nde Capriccio bringt wieder übersprude­lnde Dialoge mit dem Konzertmei­ster oder den Bläsern, reich an Energie und Witz.

Und da Strawinsky keine Solokadenz zu diesem Konzert geschriebe­n hat, reicht die sympathisc­he Musikerin eine nach: In das geistvolle Spiel mit Zitaten (Bachs Chaconne grüßt herüber), lyrischen und wilden Passagen ist auch der virtuose Konzertmei­ster des LPO eingebunde­n, der Paukist darf den Schlussakk­ord bekräftige­n und den Blumenstra­uß aus der Hand der Geigerin empfangen.

Die Energie, die Dirigent und Solistin bei Strawinsky aufgebaut hatten, strahlte auch auf die wunderbar lebendige Interpreta­tion von Beethovens „Eroica“aus. Hier wurde kein Repertoire­stück abgespielt, vielmehr wirkte sie frisch aufpoliert und unverbrauc­ht, fein gezeichnet in den Streicherf­iguren, auch im groß besetzten Orchester schlank und elastisch musiziert. Im Trauermars­ch führte die Solo-Oboe den Reigen der Bläser an. In einem dichten Aufstieg modelliert­e Altinoglu den Klang der Streicher in wogender Intensität. Nach dem frischen Treiben des Scherzos, in dem die Hörner glänzen durften, spürte man im Finale die Freude des Orchesters und des Dirigenten, diese Variatione­n mit aller Fantasiefü­lle und brennender Energie zu gestalten. Jubel im voll besetzten GZH!

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