Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Kanzlerin Merkel rügt Minister Schmidt
Glyphosat-Streit belastet Bundesregierung – CSU-Politiker zum Rücktritt aufgefordert
BERLIN - Es kriselt in der geschäftsführenden Bundesregierung. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Landwirtschaftsminister Christian Schmidt für seine Zustimmung zum Unkrautvernichter Glyphosat auf EU-Ebene gerügt. Trotz anderslautender Forderungen aus Reihen des Koalitionspartners SPD will Merkel den CSU-Politiker aber offensichtlich im Amt lassen. Die Bundeskanzlerin machte am Dienstag deutlich, dass das Vorgehen Schmidts in Brüssel gegen die in der schwarz-roten Regierung verabredete Abstimmungspraxis verstieß und sie persönlich nicht eingebunden war. „Das entsprach nicht der Weisungslage, die von der Bundesregierung ausgearbeitet war“, sagte sie. Nachfragen zu einer möglichen Entlassung Schmidts ignorierte die Kanzlerin.
Ganz einsam handelte Schmidt dabei nicht. Nach Angaben aus bayerischen Regierungskreisen war CSU-Chef Horst Seehofer vorab über das geplante Ja informiert. Am Dienstag nahm er Schmidt in Schutz. „Die CSU spricht Christian Schmidt ihre Rückendeckung aus“, sagte Seehofer der „Süddeutschen Zeitung“. Er könne nicht verstehen, dass Schmidt so abgekanzelt werde.
Der SPD reicht Merkels Distanzierung kurz vor der Spitzenrunde zur Regierungsbildungskrise mit der Union nicht aus. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) sagte in Berlin: „Ich bin weiterhin der Auffassung, dass wir eine vertrauensbildende Maßnahme brauchen.“Die Kanzlerin habe nur eine Selbstverständlichkeit ausgesprochen. „Nämlich, dass sich alle Minister an die Geschäftsordnung der Bundesregierung zu halten haben.“Sind sich die Partner bei einem Thema uneinig, muss sich Deutschland bei EU-Abstimmungen enthalten. Hendricks sprach erneut von einem „Affront“. Zuvor hatte sie betont, eine Entlassung Schmidts wäre eine solche vertrauensbildende Maßnahme. Fordern wolle sie diese aber nicht.
Schmidts Verhalten hatte bei der SPD generell Empörung ausgelöst. Von einem groben Foulspiel vor dem Treffen der drei Parteichefs Martin Schulz (SPD), Seehofer (CSU) und Merkel (CDU) morgen bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war die Rede. Bei der Unterredung sollen Wege aus der Regierungsbildungskrise nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen gesucht werden. Für den SPD-Bundestagsabgeordneten Marco Bülow zeigt das Vorgehen Schmidts, dass „eine weitere Große Koalition mit der Union unmöglich ist“. Man könne nicht einem Partner vertrauen, der sich nicht an Absprachen hält.
Grünen-Fraktionschef Toni Hofreiter hält Schmidt als Minister für nicht mehr tragbar. „Das war eine Entscheidung gegen Artenvielfalt, gegen Gesundheitsschutz, gegen die Zukunft. Es war eine Lobby-Entscheidung für Monsanto. Schmidt hat gezeigt: Er ist kein Volksvertreter, sondern ein Industrievertreter“, erklärte Hofreiter am Dienstag.
Die Umweltschutzorganisation BUND forderte Angela Merkel in einem offenen Brief auf, den „aus dem Abstimmungsverhalten Deutschlands entstandenen Schaden wenigstens national zu begrenzen“und den umstrittenen Unkrautvernichter für den Privatverbrauch und den Einsatz in Parks und auf Spielplätzen zu verbieten. Glyphosat steht im Verdacht, Krebs auszulösen.
Bei der Abstimmung auf EU-Ebene hatte der deutsche Vertreter auf Geheiß Schmidts am Montag dafür gestimmt, dass Glyphosat fünf weitere Jahre von europäischen Bauern genutzt werden darf. Bislang hatte sich Deutschland enthalten, weil Umweltministerin Hendricks dagegen war, Agrarminister Schmidt jedoch dafür.
BERLIN - Er war immer der Unauffällige im Kabinett. Der „Christian wer?“Er konnte sogar auf die Grüne Woche in Berlin gehen, ohne gleich erkannt zu werden und ohne dass sich die Aussteller um ihn geschart hätten. Jetzt aber wurde er über Nacht bekannt. Er hat in Europa für die Zulassungsverlängerung von Glyphosat gestimmt, sich über SPDUmweltministerin Barbara Hendricks hinweggesetzt und damit nicht nur die SPD in Rage gebracht, sondern auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die davon nichts wusste.
Christian Schmidt ist ein altgedienter CSU-Politiker. Dass der 57jährige Bäckerssohn aus Bad Windsheim im Februar 2014 quasi über Nacht Landwirtschaftsminister wurde, verdankt er einem Vertrauensbruch der SPD. Diese, genauer gesagt ihr Fraktionschef Thomas Oppermann, hatte nämlich herausposaunt, dass Landwirtschaftsminister HansPeter Friedrich, als er noch Innenminister war, die SPD wegen des Falls Edathy gewarnt hatte. Hans-Peter Friedrich wollte 2013 bei der Regierungsbildung die Sozialdemokraten davor bewahren, Edathy, gegen den es den Kinderpornografie-Verdacht gab, in Regierungsämter zu befördern. Die Warnung von Friedrich war sehr kollegial, aber nicht rechtens. Dass Oppermann dies öffentlich machte, war unkollegial, aber rechtens. Hans-Peter Friedrich musste als Landwirtschaftsminister zurücktreten, über Nacht kam Nachfolger Christian Schmidt.
Der war bis dahin acht Jahre lang Staatssekretär im Verteidigungsministerium gewesen und ein hochangesehener Experte auf diesem Feld. „Ich werde alles daran setzen, dass dieses Vertrauen nicht nur gerechtfertigt wird, sondern dass klar wird: Der Schmidt ist der Schmidt, und der kann nicht nur Verteidigung, der kann nicht nur Panzer, der kann auch Mähdrescher“, sagte Christian Schmidt bei seinem Amtsantritt. Doch die Panzer lagen ihm wohl mehr. Christian Schmidt ist es in den gut drei Jahren seiner Amtszeit nicht gelungen, in der Öffentlichkeit wirklich Statur zu gewinnen.
Das änderte sich jetzt schlagartig, nachdem er in Brüssel der Verlängerung für Gyphosat zustimmte und sich über die Bedenken seiner Umweltkollegin Barbara Hendricks (SPD) hinwegsetzte. Er wurde öffentlich von Kanzlerin Angela Merkel gerügt: „Das entsprach nicht der Weisungslage“, und solch ein Vorkommnis dürfe sich nicht wiederholen. Für das Image der Kanzlerin ist der Fall abträglich.
Tanzt auf Merkels Nase
Der FDP-Fraktionsvize Michael Theurer spottet bereits: „Merkel hat den Laden nicht im Griff“, ihre Minister tanzten ihr offensichtlich auf der Nase herum.
Christian Schmidt selbst führt ins Feld, er habe nur das Vernünftigste getan. Denn „die fünf Jahre wären mindestens gekommen, auch ohne die Entscheidung in Brüssel.“Ohne Deutschlands Zustimmung wäre Glyphosat von der EU-Kommision ohne Verbesserungen zugelassen worden, meint Schmidt. Umweltministerin Hendricks sieht das anders. Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation WHO hatte Glyphosat 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“eingestuft. Andere Experten kamen allerdings zu anderen Ergebnissen. Unabhängig davon gilt Glyphosat als Gefahr für die Artenvielfalt, besonders für Bienen und andere Insekten sowie für Vögel.
„So blöd kann man nicht sein“
Umweltministerin Hendricks sagt, der Agrarminister habe den Versuch unternommen, sich bei ihr zu entschuldigen. „Ich will auch nicht auf Dauer eine Entschuldigung zurückweisen. Aber ich habe ihm gesagt, dass man so blöd eigentlich nicht sein könnte.“
In der CSU sind dagegen andere Stimmen zu hören. „Die Sozis haben jetzt mal gespürt, wie das ist, wenn man nicht regiert“, heißt es. Doch nachdem selbst der deutsche Imkerbund protestiert, meint man in der Staatskanzlei in Bayern, Schmidt habe eine „wohlabgewogene Sachentscheidung“getroffen. Trotzdem müsse man Wege suchen, wie man von der Glyphosat-Anwendung wegkomme oder sie reduziere.