Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Freude über Mesale Tolus Freilassung
Journalistin aus Ulm kommt nach einigen Irrungen aus türkischer Untersuchungshaft frei
ISTANBUL/ULM - Mesale Tolu ist frei. Die Übersetzerin und Journalistin, die wegen Terrorverdachts seit 30. April in Untersuchungshaft saß, ist seit Montagnachmittag nicht mehr im Frauengefängnis im Istanbuler Stadtteil Bakirköy inhaftiert. Allerdings gab es zwischenzeitlich Verwirrung über den Status der gebürtigen Ulmerin. Erst am Abend gegen 20 Uhr war die 33-Jährige dann tatsächlich auf freiem Fuß. Zuvor war sie in einer Polizeistation im Istanbuler Stadtteil Fatih festgehalten worden. Ihr Vater Ali Riza Tolu sagte, der Gefängnisdirektor habe trotz einer anders lautenden Gerichtsentscheidung die Abschiebung seiner Tochter angeordnet.
„Sie wollten nicht, dass ich mich freue“, sagt Tolu. „Aber jetzt freue ich mich umso mehr.“Als sie am späten Montagabend in der Kanzlei ihrer Anwälte sitzt und Fragen der Journalisten beantwortet, wirkt sie müde. Sie selbst habe nicht mit der Freilassung gerechnet, sagt sie. Dennoch habe sie diesem Tag gleichmütig entgegengesehen: „Ich habe keine Angst mehr.“
Der deutsche Botschafter Martin Erdmann, der das Verfahren beobachtet hatte, spricht von einem „Versteckspiel“, die vor Ort anwesende Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel (Linke) von einem „Nervenkrieg“. Die Freilassung wurde erst möglich, nachdem Erdmann persönlich in der Polizeiwache interveniert und dort den Gerichtsbeschluss vorgelegt hatte.
Der zuständige Richter hatte am Montagnachmittag die Freilassung von Tolu und fünf weiteren inhaftierten Angeklagten angeordnet und für alle eine Ausreisesperre verhängt. Außerdem soll sich die Journalistin jede Woche bei der Polizei melden. Das Verfahren gegen die Tolu und 17 türkische Angeklagte wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation geht jedoch weiter. Mit Terrororganisation ist die linksextreme MLKP gemeint, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Der nächste Termin ist für den 26. April angesetzt. Mesale Tolu drohen bis zu 20 Jahre Haft.
Die Ulmerin war am 30. April bei einer Razzia in ihrer Wohnung festgenommen worden. Zuletzt hatte sie für die linke Nachrichtenagentur „Etkin News Agency“(Etha) gearbeitet. Tolu hat türkische Wurzeln, besitzt seit 2007 allerdings nur noch die deutsche Staatsangehörigkeit. Während des Prozesses hatte sie die Vorwürfe der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation und der Verbreitung „terroristischer Propaganda“zurückgewiesen.
Die Bundesregierung nahm die Anordnung des Gerichts positiv auf. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, die Freilassung sei eine „gute Nachricht“. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) wertete die Freilassung als „deutliches Signal der Entspannung“im deutsch-türkischen Verhältnis. Familie, Freunde und Unterstützer im Südwesten reagierten erfreut. „Ich bin dankbar, dass meine jüngere Schwester freigekommen ist“, sagte ihr Bruder Hüseyin Tolu. Die Hoffnung auf einen Freispruch sei dadurch gestiegen. Cengiz Dogan, der Sprecher des Ulmer Freundeskreises, sagte: „Uns allen hier in Ulm fällt ein Stein vom Herzen.“Die Verwirrungen im Laufe des Nachmittages „zeigen doch die Farce dieses ganzen Verfahrens“. Am wichtigsten sei jedoch, „dass Mesale nun mit ihren Mann, ihrem Sohn und ihrem Vater zusammen ist – und dass sie endlich frei ist“.
Zum zweiten Prozesstag war auch der Journalist Günter Wallraff nach Istanbul gereist. Der 75-Jährige sprach nach der Entscheidung des Gerichts von einer „großen Erleichterung“. „Es ist aber kein Freispruch“, sagte Wallraff der „Schwäbischen Zeitung“. Es sei bewegend, dass Tolu mit ihrem Ehemann und dem kleinen Sohn (3) wieder beieinander sein könne. LEITARTIKEL,