Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Ausgebremst
Wie sich die Fußarbeit in Elektroautos verändert – Das Bremspedal wird seltener benötigt
Motor als Generator
Der Leaf, seit 2010 auf dem Markt, ist mit bislang rund 280 000 abgesetzten Einheiten das meistverkaufte Elektroauto überhaupt. Wie in der Regel jedes Batterieauto, kann er Bewegungsenergie in elektrischen Strom umwandeln. „Ein Elektromotor wird mit Strom angetrieben, wenn ich aber Energie zuführe, kehrt sich der Stromfluss um, und er wird zum Generator“, erläutert Reinhard Kolke, Leiter des ADAC Technikzentrums in Landsberg am Lech. Sobald das E-Auto verzögert, also in den sogenannten Schiebebetrieb geht, generiert die E-Maschine elektrischen Strom, der in die Antriebsbatterie gespeist wird. Rekuperation ist der Begriff, der sich dafür eingebürgert hat, manche Hersteller sprechen auch von Regeneration.
Fahrer von E-Mobilen verspüren diesen Effekt als eine – gegenüber Autos mit Verbrennungsmotor – gewöhnungsbedürftige Verzögerungswirkung. Die kann so stark sein, dass die Karosserie Nickbewegungen macht, erläutert Bernhard Voß vom südkoreanischen Hersteller Hyundai, der mit dem Ioniq sein neuestes E-Auto im Programm hat. Für den Fahrer sei dies weniger störend, für Mitfahrende aber umso mehr. Deshalb gebe es mehrere Rekuperationsstufen.
Leerlauf statt Rekuperation
Auch andere Hersteller verfolgen das Konzept der mehrstufigen Ausbeutung der Bewegungsenergie, die sich ansonsten als Hitze an den Bremsscheiben buchstäblich in Luft auflöst: Beim Opel Ampera-e, beim BMW i3 und beim Smart electric drive Übersichtlich: E-Autos wie der Smart electric drive informieren den Fahrer im Display über das Energiemanagement.
wie auch bei Mercedes-Modellen passt sich die Rekuperation in ihrer Intensität automatisch ans Fahrgeschehen an, das von einem Radarsensor gescannt wird. Beim E-Golf von VW kann der Fahrer über den Getriebewählhebel zusätzlich einen „Segel“-Modus aktivieren. „Dann wird nicht rekuperiert. Nur noch der Luftwiderstand und der Rollwiderstand der Reifen verzögern das Auto. Der E-Motor läuft im Leerlauf mit“, erklärt Kolke.
Doch typisch für Elektroautos ist, dass im Grunde das Gegenteil passiert: Wer vom Antriebspedal geht, erzielt nicht nur einen Bremseffekt, der nebenbei die Effizienz und Reichweite steigert. Im Extremfall kann er das Auto so auch ganz zum Stillstand bringen. Beim BMW i3 beispielsweise können Autofahrer daher in vielen Verkehrssituationen auf das Bremspedal verzichten. Der typische Bremseffekt soll auch im Hyundai Ioniq merklich von der Pedalarbeit entlasten.
Nissan geht beim Leaf sogar noch ein Stückchen weiter und spricht vom „One-Pedal-Drive“: Selbst bei starkem Gefälle könne der Stromer allein durch das Lupfen des Pedals vollständig zum Stehen gebracht
werden. Das E-Pedal mache „das Fahren im Stadtverkehr leichter, fließender und damit weniger anstrengend,“sagt Hiroki Isobe, Chefingenieur bei Nissan. „Es fördert ein vorausschauendes Verhalten im Straßenverkehr.“ Das Auto denkt mit: Im Mercedes S 560 e gibt es ein haptisches Gaspedal, das den Fahrer etwa dazu anhalten kann, vor einer Kurve vom Gas zu gehen.
Nach Einschätzung des ADAC sind Fahrer von Elektroautos im Ringen um jeden Kilometer Reichweite ohnehin meistens vorausschauend unterwegs und streicheln das Antriebspedal oft mehr als es durchzudrücken. Der Verkehrsclub stellt
vielmehr die zusätzliche Stromgewinnung als Vorteil in den Vordergrund. Da automatisch in mehr Situationen rekuperiert werde, sei das E-Pedal „ein Baustein, den Leaf effizienter als vorher zu machen“, so Kolke.
ADAC warnt vor Risiken
Doch wenn der Fahrer das Bremspedal – bis auf Notbremsungen – buchstäblich links liegen lassen kann, verändert das das Fahrverhalten womöglich fundamental. Eine Entwöhnung vom Bremspedal könnte die Reaktionszeiten im Ernstfall verlängern. Auch der ADAC sieht das mögliche Risiko abnehmender Routine bei starken Bremsungen, die das EPedal nicht alleine erzielen kann. Notbremsassistenten, in vielen EAutos ohnehin Standard, erscheinen so gesehen unverzichtbar.
Aber auch bei Autos, die zusätzlich noch einen Verbrenner unter der Haube haben, ändert sich im Zuge der Elektrifizierung etwas bei der Pedalarbeit. Hybridautos wie der Audi Q7 E-Tron machen sich den Schwung der Fahrt ebenfalls für mehr elektrische Reichweite zunutze. Plug-in-Hybride von Mercedes verfügen über ein „haptisches Gaspedal“.
Neuestes Modell ist der S 560 e, dessen Eco-Assistent „eine intelligente Betriebsstrategie“verspricht, will heißen: beim vorausschauenden Fahren unterstützt. „Es gibt zum Beispiel einen Druckpunkt, einen Widerstand im Pedal. Erst wenn man ihn überwindet, springt der Verbrenner an“, sagt MercedesSprecherin Madeleine Herdlitschka. Ein Doppelimpuls, vergleichbar mit der Vibration eines Handys, empfiehlt das Loslassen des Pedals – etwa weil ein Tempolimit folgt, das der Eco-Assistent auf Basis von Navigationsdaten kennt. Dann entscheidet der Assistent aufgrund der Verkehrssituation und des Ladezustands der Batterie, ob gesegelt oder rekuperiert wird.
Teilweise wird Rekuperation sogar vorgetäuscht. „Wenn der Akku voll ist, kann er keine Energie mehr aufnehmen, also wird unmittelbar nach dem Trennen des Steckers von der Ladesäule auch nicht rekuperiert“, sagt Kolke. Um dem Fahrer, der sich an die Verzögerung gewöhnt hat, dasselbe Fahrgefühl zu geben, werde die Bremse eingesetzt, um die Rekuperation zu simulieren. Beim BMW i3 funktioniere das so oder auch beim Opel Ampera-e.