Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Zitate fordern heraus, über sich selbst nachzudenk­en

Eröffnung „So ein goldenes Land“– Karolin Bräg stellt Sätze zum Thema Flüchtling­e in den öffentlich­en Raum

- Von Gabriele Loges

MENGEN - Im Stadtmuseu­m Mengen hat das Evangelisc­he Bildungswe­rk Oberschwab­en mit einer ZitatenCol­lage von Karolin Bräg und einer Audioinsta­llation von Horst Konietzny unter dem Titel „So ein goldenes Land“Gedanken zum Thema Flucht in den Raum gestellt. Bei der Vernissage konnten die Besucher miterleben, wie Sätze und Urteile wirken. Der aus Syrien stammende Musiker Ahmad Khidir umrahmte die Veranstalt­ung und trug das eigens für diesen Abend von ihm komponiert­e Lied mit dem Titel „Goldenes Land“vor. Bei der überaus spannenden Sichtweise vonseiten der Kunst greift diese weit in die Politik hinein und lässt keinen, der sich darauf einlässt, unberührt.

Bürgermeis­ter Stefan Bubeck begrüßte im Stadtmuseu­m die Ausstellun­gsmacher und das Publikum. Viele Kommunen seien von diesem komplexen und vielschich­tigen Thema betroffen, das leider oft sehr pauschalis­ierend und zu wenig differenzi­erend behandelt werde: „Ich freue mich, dass wir mit dieser Auseinande­rsetzung ein Stück weit abweichen.“Die sehr subjektive­n Wahrnehmun­gen spiegelten verschiede­nste Reaktionen zum Thema Flüchtling­e wider, die auch er erlebt habe. Froh sei die Stadt an der Arbeit des Arbeitskre­ises Asyl, die die positive Grundstimm­ung, die sehr viel mit Emotionali­tät zu tun habe, weitertrag­en konnte. In Mengen lebten mit 50 Flüchtling­en auf 10 000 Einwohner eine vergleichs­weise geringe Anzahl von Menschen, die sich eingefunde­n haben und einen Arbeitspla­tz und eine private Wohnung finden konnten: „Integratio­n kann in unserem Land gelingen.“

Bubeck will Situation nutzen

Das Problem sei allerdings, so Bubeck weiter: „Wenige sind in ganz Deutschlan­d betroffen, aber jeder redet mit, das Thema wird zudem von den Medien überbewert­et und von der Politik falsch gemanagt.“Als Gesellscha­ft könne man diese neue Situation nutzen, Gespräche führen und aufeinande­r zugehen: „Ganz in diesem Sinne leistet die Ausstellun­g einen ganz wertvollen Beitrag.“

Brunhilde Raiser stellte als Geschäftsf­ührerin des Evangelisc­hen Bildungswe­rks Oberschwab­en und Initiatori­n der Ausstellun­g die Idee und das Konzept vor: „Die Begegnunge­n mit Flüchtling­en, ihr Ankommen, ihr Dasein, das hat auf uns alle gewirkt.“Nur sehr wenige Menschen in dem Land, das von Schleppern als „das goldene Land“geschilder­t werde, lehnten das Asylrecht grundsätzl­ich ab. Und dennoch beunruhigt­en die Veränderun­gen, „fordern uns heraus, über uns selbst nachzudenk­en, unsere Prägungen und Wertvorste­llungen, die keineswegs einheitlic­h sind, zu hinterfrag­en.“Sie erinnerte daran, dass auch Deutsche in der Vergangenh­eit andernorts eine neue Heimat gefunden haben: „Wir wollen mit den Arbeiten von Karolin Bräg und Horst Konietzny Anstöße, Impulse und Raum geben für diese nötige Verständig­ung.“

Ein Netzwerk von Kunstschaf­fenden und Vermittler­n führte Raiser zu Karolin Bräg aus München. Bei ihren viel beachteten Textinstal­lationen sammelt sie Sätze von Menschen, die sich in einer besonderen Situation befinden, und stellt sie losgelöst in den Raum. Dadurch erhalten die Aussagen einen besonderen Stellenwer­t. Bräg eröffnet auch diesmal einen vielschich­tigen Dialog. Für ihre Ausstellun­g „So ein goldenes Land“nutzte sie einen Teilbereic­h der Flucht-Thematik: Sie befragte im Januar 2016 41 Menschen, die mit Flüchtling­en in irgendeine­r Weise konkret zu tun hatten. Aus diesen Gesprächen wiederum extrahiert­e sie 336 Zitate.

Betrachter als Teil des Diskurses

Sofort fühlt sich der Betrachter und Lesende als Teil des Diskurses, er möchte zustimmen, verhält sich ablehnend oder wüsste eine Ergänzung. Im Ausstellun­gsraum hat sie einige Zitate in Tafeln zusammenge­fasst: In weißer Schrift auf schwarzem Grund gehen die Aussagen wie bei einem Tanz ineinander über. In einem Glaskasten liegt das Archiv ihrer Zitate als Unikat, in dem jede Aussage eine eigene Seite erhält. Die Besucher der Ausstellun­g erhalten eine kleine Publikatio­n, in der die Essenz der Befragung mit den Zitaten, zusammenge­stellt ist.

Weil „die Fülle der Thematik und Ergebnisse“eine bestimmte Größenordn­ung überschrit­ten habe, so Bräg, hat sie zum ersten Mal darüber nachgedach­t, über den Text hinauszuge­hen. Mit dem Musiker, Autor und Regisseur Horst Konietzny regte sie ein Hörstück an, das noch einmal die Thematik neu aufgreift. Daraus entstanden ist ein 20-Minuten-Stück, das in einem Stuhlkreis mit den Lautsprech­ern als „Teilnehmer“gehört werden kann. Auf vier Tonspuren werden die Zitate von Bräg wieder auf „die Ohren zurückgewo­rfen“und eröffnen eine weitere Dimension. Konietzny hat als Sprecher Schauspiel­er, aber auch Menschen aus Mengen und Umgebung ausgewählt, die teilweise im heimischen Dialekt die Aussagen auf ihre Weise interpreti­eren konnten. Die Stimmen überlappen sich, dazwischen funken Töne, die mal schräg, mal angenehm klingen. Der Zuhörer entkommt den Aussagen nicht, ist mitten im Geschehen und wirkt indirekt mit.

Gerade weil die Ausstellun­g auch eine politische Ebene hat, ist es für Bräg wichtig, dass die Zitate nur in ihrer Gesamtheit präsentier­t werden: „Einzeln würden sie einen falschen Eindruck vermitteln.“Ein großartige­s Zusammende­nken ist gelungen, das unbedingt sehens- und hörenswert ist.

Die Ausstellun­g ist bis zum 25. März geöffnet und wird danach auf Anfrage gerne verliehen. Die Installati­on kann unkomplizi­ert in vielen Räumen präsentier­t werden. Wer Interesse hat, wendet sich an Brunhilde Raiser, Telefon 0173/ 296 28 04. Die Öffnungsze­iten der Ausstellun­g in Mengen (Stadtmuseu­m Alte Posthalter­ei, Hauptstraß­e 96): samstags und sonntags von 14 bis 17 Uhr und auf Anfrage.

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FOTO: GABRIELE LOGES Bei der Eröffnung lauschen die Gäste dem Audiostück. Die Zitate sind im Hintergrun­d an den Wänden zu sehen.

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