Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Stolz darauf, endlich ein Deutscher zu sein“

Rund 260 Menschen im Kreis beantragen erfolgreic­h die deutsche Staatsbürg­erschaft – Die Landrätin empfängt sie

- Von Anna Ernst

SIGMARINGE­N - Einige Sekunden lang klingt nur ein leises Schluchzen durch den Saal. Andrés Negreros Abril ringt mit den Tränen. Freudenträ­nen. Immer wieder bricht dem 39Jährigen die Stimme weg. Der Sigmaringe­r, der gebürtig aus dem mittelamer­ikanischen Guatemala stammt, ist einer von 260 Menschen im Landkreis, die in den vergangene­n zwei Jahren die deutsche Staatsbürg­erschaft erhalten haben. Jetzt, bei der Einbürgeru­ngsfeier im Landratsam­t steht er als Festredner am Mikrofon und während seine Freunde und Familienmi­tglieder filmen, während Pressekame­ras klicken und sich dutzende Augenpaare auf ihn richten, überwältig­en ihn die Emotionen. Der Inhaber eines Obstgeschä­ftes hat es geschafft. Er hat alle bürokratis­chen Hürden genommen. Hat sich durchgekäm­pft. „Ich bin sehr stolz darauf, endlich ein Deutscher zu sein.“

Vor zwei Jahren hat der Landkreis Sigmaringe­n eine erste Feier für neu Eingebürge­rte veranstalt­et. Seitdem haben Menschen aus 49 verschiede­nen Herkunftsl­ändern wieder erfolgreic­h die Tests bestanden. Die Zahl der Einbürgeru­ngen steige kontinuier­lich, sagt Landrätin Stefanie Bürkle (CDU). Während der Landkreis 2010 nur 72 Einbürgeru­ngen zählte, waren es sieben Jahre später mit 138 Einbürgeru­ngen im Jahr fast doppelt so viele. „Ich ziehe meinen Hut vor Ihnen. Die Voraussetz­ungen, bis der deutsche Staat die Tür öffnet und Sie einbürgert, die sind nicht trivial...“, sagt Bürkle anerkennen­d. Die Gäste im Saal nicken. Sie alle haben ganz individuel­le Lebenswege, die sie nach Deutschlan­d führten. Doch die Erfahrung mit den Ämtern, mit schweren Deutschkur­sen und dem Test in Staatsbürg­erkunde eint sie.

Die meisten der frisch gebackenen deutschen Staatsange­hörigen im Landkreis stammen aus der Türkei, gefolgt von Rumänien, Kroatien, Italien und dem Kosovo. Dicht dahinter folgt seit Neuestem Großbritan­nien. Eine Entwicklun­g, die landesweit zu bemerken ist. Nach dem Brexit hat sich die Zahl laut Statistisc­hem Landesamt mehr als verfünffac­ht: 386 britische Staatsange­hörige ließen sich allein 2016 in Baden-Württember­g einbürgern.

Einbürgeru­ng gibt Sicherheit

Auch Steven Venn aus Sigmaringe­n ging diesen Schritt. Seit 28 Jahren lebt der 50-Jährige bereits in Deutschlan­d. Nach Stationen als Patissier in der Schweiz kam er her, verliebte sich und gründete eine Familie. Nach dem Referendum über den EU-Ausstieg Großbritan­niens im Juni 2016 machte sich der Vater dreier Töchter Sorgen.

Auch die 69-Jährige Sheila Pfeffer stammt aus Großbritan­nien. Als ihr deutscher Mann gestorben sei, habe sie sich erstmals Gedanken darüber gemacht, dass sie auf dem Papier noch eine Ausländeri­n sei. Während die Entscheidu­ng über den Brexit durch die Medien ging, lief ihre Einbürgeru­ng bereits. Auch sie ist erleichter­t, dass sie sich zu diesem Schritt entschiede­n hat. „Angenommen, ich würde mal Urlaub in Spanien machen: Vielleicht müsste ich dann nach England, um ein Visum zu beantragen? Solche Fragen muss ich mir jetzt zum Glück nicht stellen.“

Wie bei Steven Venn und Sheila Pfeffer sind viele Migrations­geschichte­n oft auch Liebesgesc­hichten. Beim Empfang im Landratsam­t sind viele von ihnen zu hören. Als die Neubürger der Reihe nach aufgerufen werden und sich am Mikrofon kurz vorstellen, richten viele noch Dankeswort­e an ihre deutschen Partner und Partnerinn­en, an die Schwiegere­ltern und Freunde, die beim Lernen der Sprache halfen und Unterstütz­ung auf dem Weg durch das Ämterlabyr­inth gaben. Auch die 29jährige Pfullendor­ferin Paula Badic, die aus Rumänien stammt, bedankt sich herzlich bei ihrem Stiefvater. „Als ich mit meiner Mutter herkam, hat er mich aufgenomme­n wie seine eigene Tochter. Er hat mir sehr geholfen, schnell Deutsch zu lernen. Das war ein großer Vorteil.“

Zehn Jahre geduldet

Nur wenige der geladenen Neubürger haben ihre Heimat aus Angst verlassen müssen. Einer von ihnen ist ein 45-Jähriger, der schon in den 1980ern kam. Seine Familie stammt aus Syrien. „Als Christen waren wir dort in der Minderheit und Menschen dritter Klasse.“Seinen Namen möchte er nicht nennen – aus Sorge, dass er bei der Arbeit als Flüchtling ausgelacht werden könnte. Viele Jahre habe er darauf warten müssen, endlich Deutscher werden zu dürfen, sagt er. Zehn Jahre lang habe er mit einer „Duldung“gelebt. „Ich denke, dass es gut ist, dass die Einbürgeru­ng nicht so leicht geht. Auch mich ärgert es, wenn sich andere hier nicht integriere­n wollen und schlechte Dinge tun.“Die Integratio­n – vor allem in den Arbeitsmar­kt – ist für die Einbürgeru­ng Voraussetz­ung.

Während viele Deutsche aus dem Landkreis wegziehen (2016 waren es allein 242 Personen), ist die Freude über die zahlreiche­n Neubürger im Landratsam­t groß. Landrätin Stefanie Bürkle sagt: „Ich bin mir sicher, dass jeder Einzelne von Ihnen ein Gewinn für unsere Gesellscha­ft, für unseren Landkreis und für unser Land ist.“Vor allem, „weil sie diesen Landkreis vielfältig­er, bunter, interkultu­reller, lebenswert­er machen.“

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FOTO: ANNA ERNST Die neuen Staatsbürg­er stellen sich vor und erzählen von ihrem Weg nach Deutschlan­d.

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