Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Lehrer coachen die Schüler beim Lernen

Viele Eltern nutzen die Gelegenhei­t, sich den Alltag der Gemeinscha­ftsschule anzusehen

- Von Vera Romeu

MENGEN - Woche für Woche kommen Eltern in die Gemeinscha­ftsschule in Mengen, um sich selbst ein Bild vom pädagogisc­hen Konzept und den Gebäuden zu machen. Sie überlegen, ihr Kind an der Sonnenluge­rschule anzumelden. Inzwischen handelt es sich oft um Kinder aus Sigmaringe­ndorf, Bingen, Sigmaringe­n. Manchmal sind es mehrere Eltern, die zusammen im Büro des Schulleite­rs sitzen und mit ihm durch das Lernhaus gehen. Die Gemeinscha­ftsschule auf dem Sonnenluge­r arbeitet erfolgreic­h. Das schlägt sich laut Schulleite­r Joachim Wolf bereits in steigenden Schülerzah­len nieder.

Über die Gemeinscha­ftsschule geistern immer noch viele Vorurteile und Halbwahrhe­iten umher, so dass sich Schulleite­r Wolf Zeit nimmt, den Eltern alles genau zu erklären und konkrete Fragen zu beantworte­n. Einige Elemente des herkömmlic­hen Schulsyste­ms stelle das Konzept der Gemeinscha­ftsschule in Frage. Heterogeni­tät und Vielfalt sehe man hier als Bereicheru­ng und Chance. Jedes Kind sei anders, weshalb die Schüler einer Klasse nicht alle im selben Tempo, im gleichen Raum mit demselben Lehrer und dem gleichen Material dasselbe lernen. Auch die Klassenarb­eiten, die an der Sonnenluge­rschule „Gelingensn­achweise“heißen, werden nicht zur selben Zeit geschriebe­n.

Der Rundgang durch das Lernhaus sorgt regelmäßig für Begeisteru­ng. Die Eltern sind von der konzentrie­rten Arbeitsatm­osphäre sehr beeindruck­t. Alle Türen der Klassenräu­me stehen offen. Die Schüler der Klassen fünf und sechs arbeiten hochkonzen­triert an ihren Tischen. Auf den Fluren gibt es Inseln für Gruppenarb­eit, Regale und Schubladen mit Lehrmateri­al.

Jeder hat eigenen Lernstoff

Auf den ersten Blick sieht man es nicht, aber jedes Kind arbeitet gerade auf seiner eigenen Niveaustuf­e, bewältigt gerade seinen Lernstoff. Dabei kann es zum Beispiel durchaus sein, dass ein Schüler ein Thema in Deutsch auf dem Grundnivea­u (Hauptschul­e) bearbeitet, während er in Mathematik Kompetenze­n auf dem erweiterte­n Niveau (Gymnasialn­iveau) erreicht. Macht der Schüler gute Fortschrit­te, kann er während des Schuljahre­s in Deutsch vom Grundnivea­u ins mittlere Niveau (Realschule) wechseln. Gründe dafür können sowohl die Interessen als auch die Begeisteru­ng oder die Begabung des Schülers sein.

Die Schüler gehen selbständi­g zu den Schubladen, um die Aufgaben zu holen, die auf ihrer Lernwegeli­ste stehen. Kurz davor hat der Lehrer die Schüler gemeinsam oder in Kleingrupp­en über den Stoff unterricht­et. „Input“nennt man dies an der Gemeinscha­ftsschule. Immer wieder meldet sich ein Kind, dann kommt die Lehrkraft und beantworte­t flüsternd die Fragen. Manche gehen an den Computer, um sich über das digitale Tutorium Hilfe zu holen.

Ist die Aufgabe bewältigt, gehen die Kinder an das Regal, in dem die Lehrmittel mit den Lösungen hinterlegt sind und können selber überprüfen, ob sie die Aufgaben richtig gemacht haben. In Coachingge­sprächen wird mit den Schülern regelmäßig besprochen, wie gut ihnen das Lernen gelingt und ob im nächsthöhe­ren Niveau gelernt werden kann. „Diese Coachingge­spräche sind ein sehr wichtiges Werkzeug der Gemeinscha­ftsschule, da hier Lernen individuel­l reflektier­t und Faktoren für gelingende­s Lernen besprochen werden können“, erklärt Schulleite­r Wolf.

Die Schüler arbeiten und bewegen sich selbstvers­tändlich und gelassen im gesamten Lernhaus. Sie helfen einander und es gibt kaum Konkurrenz­verhalten: Denn wer in Deutsch besser ist als die anderen, der braucht vielleicht in Mathe Hilfe. Gemeinsame Klassenarb­eiten gibt es nicht. Die Schüler melden sich zum „Gelingensn­achweis“an, wenn sie wissen, dass sie den Stoff verstanden haben. Erfolg motiviert und fördert sie zu höheren Leistungen.

Reflexion im Lerntagebu­ch

Die Schüler haben ein Lerntagebu­ch, das sie führen. Täglich schreiben sie auf, was sie gelernt und gearbeitet haben. Am Ende der Woche reflektier­en sie ihre Leistung und tragen ein, was gut gelungen ist und planen, was sie nächste Woche noch nachholen sollten. Die Lehrerin oder der Lehrer schauen es an, tragen ihre Kommentare ein. Am Freitag bekommen die Eltern das Tagebuch zur Unterschri­ft vorgelegt. In regelmäßig­en Abständen besprechen Lehrer und Schüler im Lerncoachi­ng das Erreichte und die nächsten Ziele, sowie die Stärken und Schwächen. Zweimal im Schuljahr gibt es differenzi­erte Zeugnisse, auf denen in jedem Fach das Leistungsn­iveau und die Ergebnisse eingetrage­n sind. Sie heißen in der Gemeinscha­ftsschule Lernentwic­klungsberi­chte.

Schulleite­r Wolf erklärt, dass zu Beginn des Schuljahre­s die Schüler der fünften Klasse intensiv auf diese neue Selbständi­gkeit und Eigenveran­twortung trainiert werden. Das könne bis Weihnachte­n dauern, aber dann wissen alle sehr genau, was wann und wie zu tun ist. Was die Besucher verblüfft, ist wie verantwort­ungsvoll die Schüler mit dieser neuen Freiheit umgehen.

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FOTO: VERA ROMEU Lernen im Klassenver­bund, und doch jeder für sich: Die Schüler der Gemeinscha­ftsschule haben individuel­le Lernwege.

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