Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Wenn späte Liebe zum Alptraum wird
Das Regieduo Jossi Wieler und Sergio Morabito versetzt an der Staatsoper Stuttgart Donizettis „Don Pasquale“in die Gegenwart
STUTTGART - Zur Ouvertüre beschwört ein bunter Comicfilm im Stil von George Dunnings „Yellow Submarine“die 1960er-Jahre. Flower Power, Schlaghosen, Folk-Gitarre, Peacezeichen, Joints und freie Liebe feiern auf großer Leinwand fröhliche Urständ. So beginnt die Neuproduktion von Gaetano Donizettis spätem Meisterwerk „Don Pasquale“an der Staatsoper Stuttgart. Die vom Premierenpublikum begeistert gefeierte Inszenierung Jossi Wielers und Sergio Morabitos spielt danach freilich in einer Gegenwart, in der die Illusionen des 68er-Aufbruchs längst zerronnen sind.
Schon gegen Ende des besagten Animationsfilms (Studio Seufz) gerät die Hippie-Idylle in Gefahr. Ein Schwarzmiesen-Finsterling entzweit ein junges Paar, schnappt sich den sanften Rebellen, schneidet ihm die langen Haare ab, verpasst ihm Anzug und Krawatte und setzt ihn in einen Bürostuhl. Wenn dann der Vorhang die von Jens Kilian gestaltete Bühne freigibt, wird schnell klar, dass Don Pasquale hier ein halbes Jahrhundert später an seine Jugend zurückdenkt. Als gepflegter älterer Herr sitzt er nun in der Chefetage eines luxuriösen Towers am Riesenschreibtisch.
Alles andere als lustig
Vor edel verglaster Fensterfront träumt der reiche Junggeselle noch einmal vom Heiraten und von einer Familie mit möglichst vielen Bambini. Ein dubioser Doktor Malatesta, der sich bald als Kopf einer Betrügerbande entpuppt, hat ihm diesen Floh ins Ohr gesetzt. Als angeblich im Kloster aufgewachsene Schwester bietet er ihm in Wirklichkeit seine Komplizin Norina zur Frau, auf die auch Pasquales junger Neffe und potenzieller Erbe Ernesto bereits ein Auge geworfen hat. Mit ihm hat der Alte allerdings andere Pläne. Im Falle von Verweigerung droht dem herumhängenden Jungspund Verstoßung.
Ernesto scheint sich darum nicht zu scheren. Mit Kapuzenpulli, Kopfhörern, Jogginghose und Sneakers (Kostüme: Teresa Vergho) schlappt er herein und eröffnet dem Onkel, dass er lieber auf dessen Geld als auf seine Liebste verzichten will. Dass diese mit Pasquales versprochener Braut identisch ist, ahnt er noch nicht. Und so nimmt die Komödie ihren Lauf. In Stuttgart gerät der freilich alles andere als lustig. Norina ist hier eine ordinäre Göre mit Prologehabe, die gelernt hat, sich als Frau in der Halbwelt ihres mafiösen Clans gegen Männergewalt zu behaupten.
Dem soziologischen Blick des brillanten Dramaturgen Morabito sind die Klassenunterschiede zwischen dieser Figur und dem Bürgersöhnchen Ernesto nicht entgangen. In Donizettis letzter opera buffa, die 1843 in Paris uraufgeführt wurde, ist vieles anders als in der überkommenen Tradition dieses Genres, das seine Blütezeit damals längst überschritten hatte. Abweichend von seiner älteren Vorlage hat der Librettist Giovanni Ruffini die gewohnte Intrigenstruktur trotz Beibehaltung des stereotypen Personals im Grunde auf den Kopf gestellt.
Die Versetzung des Plots in die Gegenwart kann sich zwar auf Donizettis Wunsch berufen, das altbekannte Szenario in damaliger Jetztzeit spielen zu lassen. In Stuttgart zeigen sich jedoch auch die Grenzen solcher Übertragbarkeit. Bei aller intelligenten Analyse verschieben sich die Akzente, wenn aus einem üblen Streich, der dem letztlich gutmütigen alten Hagestolz gespielt wird, ein eiskalter, bösartiger, sadistischbrutaler Überfall und aus der leichten, von erkennbarer Übertreibung gespeisten Komödie ein rabenschwarzes Stück wird.
Lehrstückhafte Deutung
Donizettis milderer Blick auf menschliche Schwächen lässt sich eben nicht ernst nehmen, indem man seine Figuren auf eine ernste Ebene zerrt und dadurch die Balance ihrer Konstellation aus dem Lot bringt. Seine Norina spielt zwar Zicke und Hausdrache als Mittel zum Zweck und lässt da sicher auch unsympathische Züge durchblicken. Sie ist aber keine auf den reichen Alten und seinen Neffen angesetzte Schlampe aus dem Fake-Prekariat von RTL2, die hier als Mitglied eines Gaunertrios à la „Mahagonny“agiert.
Dieser etwas lehrstückhaft aufgesetzten Deutung steht auch die theatersensible Musik entgegen, die unter Giuliano Carella streckenweise ohnhin etwas grobkörnig aus dem Graben tönt. Enzo Capuano als bemitleidenswerter Pasquale, André Morsch als wenig mephistophelischer Malatesta und Marko Spehar als „Notar“singen großartig und setzen die in gestischen Details sorgfältig ausgearbeitete Inszenierung brillant um. Ana Durlovski (Norina) und Ioan Hotea (Ernesto) kommen belkantistisch an ihre Grenzen, können derlei Defizite aber darstellerisch rollenkongruent auffangen.
Weitere Vorstellungen: 28. und 31. März, 4. und 29. Mai, 2. Juni; Karten: www.oper-stuttgart.de