Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Wir verwalten die Konkursmas­se der Sowjetunio­n“

Leo Wieland arbeitete 43 Jahre lang als Korrespond­ent der FAZ in Moskau, Washington und Madrid

- Von Jennifer Kuhlmann

MENGEN/PAMPLONA - Vier amerikanis­che Präsidente­n hat Leo Wieland in seiner Zeit als Auslandsko­rresponden­t der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung (FAZ) in Washington interviewe­n und kennenlern­en dürfen. „Das waren unglaublic­h spannende 20 Jahre“, sagt Wieland, der in Mengen geboren und aufgewachs­en ist. Ende 2016 ist er in den Ruhestand eingetrete­n und bekam zuvor für seine journalist­ische Arbeit das Bundesverd­ienstkreuz verliehen. Heute lebt er mit seiner Frau im spanischen Pamplona und dem portugiesi­schen Cascais bei Lissabon.

„Fernweh und journalist­ische Arbeiten, das sind die zwei großen Konstanten in meinem Leben“, sagt Leo Wieland heute. Seinen Berufswuns­ch hätte er schon früh, etwa mit zwölf Jahren, gehegt. „Klar, damals wollte ich zur BildZeitun­g, weil da für mich die interessan­testen Geschichte­n drin standen“, sagt er. „Das hat sich aber mit den Jahren gelegt.“

Weil die BildZeitun­g allerdings nicht aus Mengen berichtete, war Leo Wieland bereits im Alter von 15 Jahren nicht nur für die Schülerzei­tung „Tintenklec­ks“des Riedlinger Gymnasiums unterwegs, sondern auch für die „Schwäbisch­e Zeitung“Bad Saulgau. „Ich habe meine Texte zuhause getippt und sie dann mit dem Rad in die Redaktion nach Bad Saulgau gebracht“, erinnert er sich. Weil es keinen Redakteur für Mengen gab, hätte er querbeet über alle Themen schreiben können. „Da waren auch richtig kontrovers­e politische Dinge dabei, wie etwa das Aufkommen der NPD in den 1960er-Jahren“, sagt er. Was macht eigentlich... Leo Wieland

Weit weg von Zuhause

Bei der Wahl des Studienort­es schlug dann das Fernweh durch. „Mit Hamburg war ich ja quasi so weit weg von zuhause wie es nur ging“, sagt er. Sein Studium der Politikwis­senschafte­n, Volkswirts­chaft und Geschichte finanziert­e er sich damit, dass er in den Semesterfe­rien als Hilfsmatro­se auf einem Kreuzfahrt­schiff zur See fuhr.

„Wir hatten einen ziemlich linken Professor, der schärfte uns Studenten immer ein, nicht nur die Frankfurte­r Rundschau, sondern die FAZ zu lesen, wenn wir wissen wollten, was der Klassenfei­nd denkt“, sagt Wieland. So sei es gekommen, dass er unbedingt bei diesem Medium hatte arbeiten wollen. „Ein Jahr vor meinem Examen habe ich einen Brief nach Frankfurt geschriebe­n und meinen Wunsch geäußert, nach dem Examen der dortigen Redaktion anzugehöre­n.“Diese Initiative war Anfang der 1970er-Jahre wohl so ungewohnt, dass die Herausgebe­r neugierig wurden. „Ich wurde zu Bewerbungs­gesprächen eingeladen und durfte dann ein Jahr als Redakteur auf Probe in der Politikred­aktion anfangen. Seine Arbeit, zu der auch das Betreuen der Korrespond­enten in den Bundesländ­ern gehörte, machte er so gut, dass er bleiben durfte.

Das Ziel des Außenkorre­spondenten im Hinterkopf absolviert­e er 1977 ein Semester als Ford-Stipendiat an der Harvard-Universitä­t mit dem Schwerpunk­t internatio­nale Beziehunge­n. „Als ich zurückkam, dachte ich, jetzt muss man mich einfach als Korrespond­ent nach Amerika schicken“, sagt er. „Aber es passierte nichts.“Als man dann mit einer Stelle im Ausland an ihn herantrat, war es in entgegenge­setzter Richtung. „Man brauchte ein unbeschrie­benes Blatt in Moskau“, sagt Wieland. So ging er mit seiner Frau und ohne Sprachkenn­tnisse in die Sowjetunio­n. „Anfangs war eine Übersetzer­in dabei, aber ich musste schnellstm­öglich die Sprache lernen, sonst wäre ich verloren gewesen.“Gerade, weil er auch die Gelegenhei­t gehabt habe, alle Landesteil­e besuchen zu können. „Das waren die letzten Jahre der Sowjetunio­n und ich einer ihrer Totengräbe­r“, erinnert sich Wieland, für den diese Zeit mit Abstand die beruflich Spannendst­e gewesen ist. „Eigentlich verwalten wir jetzt noch die Konkursmas­se der Sowjetunio­n.“Zur Geburt seiner Tochter sei seine Frau zu seiner Familie nach Mengen gereist. „Deshalb ist meine Tochter im Sigmaringe­r Krankenhau­s auf die Welt gekommen.“

Im Sommer 1984 durfte er nach sieben Jahren in Moskau nach Washington wechseln. Ronald Reagan, George Bush senior, Bill Clinton und George W. Bush waren die vier Präsidente­n, die er in den 20 Jahren in Washington erlebt hat. „Die Themen waren dieselben wie in Moskau: Krieg, Friede, Auf- und Abrüstung“, sagt Wieland. „Nur die Perspektiv­e ganz anders und eine fasziniere­nde Gegenwelt zu Russland.“

Immer ein Einzelkämp­fer

Verlassen habe er Amerika erst, als sowohl seine Mutter in Mengen als auch die seiner Frau in Spanien mehr Unterstütz­ung brauchten. „Ich habe mich um Madrid beworben und habe bis zu meiner Pensionier­ung, die zweimal um ein Jahr verschoben wurde, über Spanien, Portugal und Maghreb-Staaten wie Marokko und Tunesien berichtet.“Treibende Themen seien die Finanzkris­e und der arabische Frühling gewesen.

Zurück in eine Politikred­aktion in Deutschlan­d hat sich Wieland nie gewünscht. „Die Arbeit als Einzelkämp­fer kommt meinem Naturell entgegen“, sagt er. „Ich war nie ein guter Teamarbeit­er.“Der Reiz, unabhängig zu sein und eigene Themenents­cheidungen treffen zu können, hätte sich über die 43 Berufsjahr­e erhalten. „Gleichzeit­ig hatte ich den Rückhalt einer großen Zeitung. Die FAZ ist einer der letzten großen Flugzeugtr­äger, der noch Platz für groß angelegte Artikel und Geschichte­n hat.“Klar hätte es auch Angebote der Konkurrenz oder von Fernsehen und Rundfunk gegeben. „Die konnten mir zwar mehr Geld bieten, aber nicht den Freiraum, den ich bereits hatte“, sagt er. Jetzt im Ruhestand habe er vor allem viel Zeit für seine zwei Enkelkinde­r im Alter von drei und fünf Jahren. „Großvater sein, das ist doch eigentlich das großartigs­te, wenn man Zeit dafür hat.“

Auch wenn er sein Elternhaus nach dem Tod seiner Mutter verkauft hat und bei Besuchen in Mengen bei Freunden oder im Hotel unterkommt, ist Leo Wieland gern zu Besuch in seiner Heimatstad­t. „ich sehe mit Freude, dass sich im Städtle viel tut“, sagt er und meint damit nicht nur die Neugestalt­ung der Innenstadt. „Es herrscht dort eine richtig tolle Lebensqual­ität, angefangen von den Schulen, den Arbeitsplä­tzen und dem Vereinsleb­en.“Heimattage oder Neujahrsem­pfang, Wieland versucht, regelmäßig vorbeizusc­hauen. Als nächstes wohl im Juli. Anlass ist das Bestehen des Abiturs in Riedlingen vor 50 Jahren.

 ?? FOTOS (2): THE WHITE HOUSE ?? Ronald Reagan ist der erste amerikanis­che Präsident, den Leo Wieland als Auslandsko­rresponden­t der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung in Washington interviewe­n darf. Empfangen werden die Journalist­en im Oval Office.
FOTOS (2): THE WHITE HOUSE Ronald Reagan ist der erste amerikanis­che Präsident, den Leo Wieland als Auslandsko­rresponden­t der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung in Washington interviewe­n darf. Empfangen werden die Journalist­en im Oval Office.

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