Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Die Spione in der Nachbarschaft
Der Bundesnachrichtendienst besitzt einen Horchposten in Baden-Württemberg – Was geschieht dort in Rheinhausen?
RHEINHAUSEN - Klaus Koßmann taucht das Ruder in das 50 Zentimeter tiefe Wasser und stößt es in den sandigen Boden eines alten Arms des Rheins im Naturschutzgebiet Taubergießen. Während der Fischerkahn fast lautlos durch das Wasser gleitet, erzählt er den Teilnehmern seiner Tour von Kormoranen, Libellen und Orchideen, die hier im Naturschutzgebiet bei Rheinhausen heimisch sind – 30 Kilometer nördlich von Freiburg und nur einen Steinwurf vom Europapark in Rust entfernt. Doch neben seltenen Pflanzen und Tieren wirft hier vor allem eins viele Fragen auf: Nach einer Stromschnelle taucht in der Ferne eine geheimnisvolle weiße Kuppel auf. Wie ein überdimensionaler Golfball ragt sie in den Himmel. „Das ist der Mond, der aufgeht, sage ich dann immer im Spaß“, erklärt Koßmann und lacht. Während sich sein Boot nähert, tauchen immer mehr der seltsamen Objekte auf, die nicht so recht in das Panorama des Naturschutzgebietes passen wollen. Riesige weißgraue Satellitenschüsseln, mehrere Gebäude, eingezäunt und von Hunden bewacht, Antennen zeigen in den Himmel. „Die Leute fragen immer, was das ist“, sagt Koßmann. Seine Antwort ist stets dieselbe: „Hier arbeitet der Bundesnachrichtendienst”. Was aus aus seinem Munde fast schon banal klingt, war lange Zeit ein gut gehütetes Geheimnis, nur bekannt unter einem Tarnnamen: „Ionosphäreninstitut“, eine vermeintlich wissenschaftliche Einrichtung.
Nur ein paar hundert Meter Luftlinie vom militärischen Sperrbezirk entfernt fegt Eugen Maurer den Boden im Vereinsheim des SC Niederhausen. Der 70-Jährige wartet auf den Elektriker, eines der Flutlichter des Fußballplatzes ist kaputt. Seit 25 Jahren ist er hier schon Platzwart. Geschichten über die geheimnisvolle Anlage hat er in dieser Zeit schon viele gehört . „Manche Leute haben früher gedacht, dass da Raketen in den Kuppeln drin sind“, erinnert er sich. Es kursierten Theorien über gefährliche Strahlung aus der Anlage und Gerüchte über Navigationsgeräte, die in der Nähe der Antennen verrückt spielen. Im Verein hätte es natürlich auch immer mal wieder Mitarbeiter des Instituts gegeben, erzählt hätten die aber nie etwas. „Was die da drin wirklich machen, weiß doch keiner so genau“, sagt Maurer.
Heute prangt am Eingang der Anlage das Schild einer Bundesbehörde – Bundesadler auf goldenem Grund und in schwarzen Buchstaben „Bundesnachrichtendienst“. Die Dienststelle ist eine von mindestens sechs Außenstellen des BND, die einzige bekannte in Baden-Württemberg. Ihr Auftrag: Fernmeldeaufklärung. Telefongespräche, E-Mails, Internetverkehr. Am Eingang müssen Besucher Smartphone und Notebook abgeben. Der Pförtner schiebt ein Formular in die Durchreiche. „Einmal durchlesen und unterschreiben, bitte.“Über Erkenntnisse, die während des Besuchs der Einrichtung erlangt werden, sei Stillschweigen zu bewahren, steht dort – das gilt für alle der 110 Mitarbeiter, vom IT-Techniker bis zum Reinigunsgsdienst.
Torsten Preidel führt durch die grauen Gänge der Anlage, an den Wänden hängen gerahmte Bilder von Wäldern, Seen und Flüssen. In einem Raum sitzen Männer in Kapuzenpullovern vor Computerbildschirmen. Zwischentüren öffnen sich nur, wenn Preidel seine Zutrittskarte an ein Lesegerät hält. Seit 2007 arbeitet er in der Dienststelle, seit 2016 ist er der Leiter in Rheinhausen. Preidel, dunkelblaues Hemd mit Paisley-Muster und farblich passender Schal sowie Brillenrahmen, 53 Jahre alt, Luftwaffenoffizier und seit 2001 beim BND, lädt in sein Büro. Es gibt Kaffee und Plätzchen, an der Wand hängt eine Karte von Afrika.
„Ich bin froh, dass die Zeit, in der es hier noch die ganzen Legenden gab, vorbei ist“, sagt Preidel. Erst seit er gemeinsam mit seinem Vorgänger das Schild des BND am Eingang anschraubte, können Preidel und die anderen Mitarbeiter auch der Familie und Freunden erzählen, wo sie arbeiten. Durch die Enthüllungen von Edward Snowden im Sommer 2013 undd er Aufklärungs arbeit des N SA Untersuchungsausschusses war die Tarnung des Abhörpostens aufgeflogen. „Wenn man sagt, dass man für den Bundes nachrichtendienst arbeitet, kommen meist keine großen Rückfragen mehr. Die Leute verstehen, dass man nicht mehr erzählen kann“, sagt Preidel. Für wen er arbeite, hänge er allerdings immer noch nicht an die große Glocke. „Das ist nicht gewünscht.“
„Bis in die späten 1980er-Jahre hat man hier sogenannte tieffliegende Spionage satelliten der Russen verfolgt “, erklärt der Dienst stellenleiter. Unter dem sogenannten Radom – der weißen Golfball-Kuppel – verbargen sich mehrere bewegliche Antennen, die die Satelliten stets verfolgten. Die Kuppel aus weißem Stoff diente zur Tarnung – niemand sollte wissen, in welche Richtung die Antennen zeigen.
Heute stehen laut Preidel unter anderem die Terrorismus bekämpfung, der organisierte Waffen-und Drogenhandel oder kriminelle Schleuserbanden im Fokus. Ebenso fangen die Mitarbeiter Telefongespräche um Bundeswehrlager im Ausland ab, um Anschlagspläne frühzeitig zu erkennen. Insgesamt 28 Parabolantennen wachen auf dem Gelände. Die größten Exemplare mit einem Durchmesser von 18 Metern die Länge eines Linienbusses. Sie fangen Signale von Tele kommunikationssatelliten au fund schießen sie durch die Kabel der raumhohen Server, um die herum silberglänzende Lüfterrohre surren.
„In der Regel machen wir keine Erfassung von Signalen wie mit dem Schleppnetz, sondern wir sind eher der Taucher mit der Harpune, der gezielt das rauszieht, was er haben will“, sagt Preidel. Eine bestimmte Telefonnummer, manchmal auch nur einen Namen. In Auftrag gegeben von den Nachrichtenauswertern des BND in Berlin. Die Suchanfragen werden kategorisiert und in eine Datenbank eingespeist. Sobald die Systeme eine entsprechende Telefonnummer erfassen, wird das Gespräch aufgezeichnet. Das gilt nicht für Nummern aus Deutschland. Die werden automatisch aussortiert. Denn Bundesbürger sind für den Auslandsgeheimdienst tabu – zumindest sieht das der Artikel 10 des Grundgesetzes vor (siehe Kasten).
Mit der Frage, ob das in Rheinhausen in der Vergangenheit immer so gewährleistet gewesen ist, beschäftigtes ich der N SA-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Durch die Enthüllungen von Edward Snowden war bekannt geworden, dass es eine Zusammenarbeit zwischen BND und dem amerikanischen Geheimdienst CIA gegeben hatte – und dieser Zugriff auch auf die Komm unikat ions daten von deutschen Bürgern erhalten haben könnte. Beider streng geheimen Operation mit dem Namen„Glotaic ”( Beginnt man rückwärts zu lesen, ergibt sich der Hinweis auf den Kooperationspartner) spielte die BND-Außenstelle in Rhein hausen eine bedeutende Rolle. Beider Operation, die zwischen 2004 und 2006 lief, soll der BND über heimlich angebrachte Überwachungstechnik am Glasfasernetz des Kommunikations-Providers MCI Zugang zu deutschem Datenverkehr erhalten haben. Die so abgezapften Daten leitete der BND an die CIA weiter – so der Vorwurf.
Drei Jahre lang befasste sich der N SA-Untersuchungsausschuss unter anderem mit„Glotaic “. Die Operation erfolgte„ jenseits einer rechtlichen Rechtfertigung oder Grundlage ,“und dass zu keinem Zeitpunkt Daten deutscher Bürger weitergeleitet worden sind, sei zumindest „fragwürdig”, heißt es in dem im vergangenen Jahr veröffentlichten Abschlussbericht. „Das war vor meiner Zeit,“sagt Preidel und lächelt. „Seit ich hier bin, habe ich an der Dienststelle keinen Amerikaner gesehen.“Doch er sagt auch :„ Der Bundes nachrichtendienst kann allein nicht funktionieren. In der heutigen globalisierten Welt schaffen Sie das ohne Partner nicht mehr.“
Internationale Geheimdienst verstrickungen, Kampf gegenden internationalen Terrorismus und Ab hör skandale. All das scheint indem 3500-Seelen-Ort niemanden mehr so richtig zu erregen. Die Rheinhauser haben sich über die Jahre an die Spione in der Nachbarschaft gewöhnt. Das sieht auch Platzwart Eugen Maurer so. In der heutigen Zeit brauche man so etwas wohl. „Uns stören sie nicht, wir gewinnen oder verlieren trotzdem“, sagt er und zeigt auf den Fußballrasen.
„Ich bin froh, dass die Zeit, als es hier noch die ganzen Legenden gab, vorbei ist.“Torsten Preidel, Leiter der BND-Dienststelle Rheinhausen