Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Von der Gemeindegrube zum Gewerbe
Anfangs deckte die Kiesgrube nur den Eigenbedarf – doch rasch entwickelte sich ein Geschäft daraus
OSTRACH - Wie jede andere Gemeinde besaß auch Ostrach von jeher eine Kiesgrube. Die Gelegenheit im Moränegebiet bot sich geradezu an. Weitgehend diente sie dem Eigenbedarf und der war in und um Ostrach aufgrund des weiten Straßennetzes recht groß. Man denke nur an die Hauptstraße, die durch das Straßendorf Ostrach führt, und wegen des schon damals regen Durchgangsverkehrs laufender Unterhaltungsarbeiten bedurfte.
Ostrach hatte die Gelegenheit wahrgenommen, am nördlichen Dorfausgang, eine Kiesgrube zu errichten und damit zugleich einige sichere Arbeitsplätze zu schaffen. Das wurde insbesondere deshalb begrüßt, weil in den 1920er-Jahren die Torfbrikettfabrik ihren Betrieb einstellte. Handarbeit war gefragt. Man sprach berechtigterweise von den „Steinbrechern“, welche die dicken Brocken bis hin zu den Findlingen „klopfen“mussten. Josef Horlacher war einer davon. Unter der Herrschaft des damaligen Bürgermeisters Karl Müller schaffte die Gemeinde einen „Trieur“an, der den Wandkies in drei Körnungen sortierte. Auf Halden wurde das sortierte Material per Schubkarren gebracht. Qualität und beste Sortierung des Materials sprachen sich bald in weiteren Kreisen, sprich Gemeinden und Straßenbauern, herum. Bürgermeister Karl Müller, damals bis in die Gegenwart als „Karle Karle“bekannt, erwies sich als geschickter Geschäftsmann und nutzte die Gelegenheit als sichere Einnahmequelle für die Gemeinde Ostrach.
Doch dann kam mit dem Dritten Reich die politische Umwälzung. Zunächst lief alles in dem gewohnten Rahmen weiter bis in das Jahr 1934. Ein Erlass der Reichsregierung ordnete an, dass Gemeinden ihre Regiebetriebe abzugeben haben. Aus heutiger Sicht ein Glücksfall für die Gemeinde Ostrach. Einmal mehr erwies sich das Vertrauen in die Weitsicht und den Unternehmergeist von Karl Müller als der Richtige. Ein Jahr drauf verpachtete die Gemeinde Ostrach das damals schon als „Kies- und Schotterwerk Ostrach“benannte und zu diesem Zeitpunkt bereits nach dem damaligen Stand moderner Technisierung ausgebauten Anlage an die „Müller u. Cie., Kom. Gesellschaft“.
Am 8. Juni 1935 unterzeichneten den Pachtvertrag seitens der Gesellschaft der Landwirt und Bürgermeister Karl Müller, Essigfabrikant Hubert Briemle, Schneidermeister Hugo Strobel und Bankkaufmann Josef Locher. Von Gemeindeseite wurde der Vertrag unterschrieben von Albert Kerle (Beigeordneter), Karl Arnold, Josef Maier, Otto Kugler (Ortsgruppenleiter), Max Schmitt, Karl Stephan, Ulrich Steindl, Richard Schuler und Franz Krug. Die Pacht begann am 8. Juni 1935 um 12.30 Uhr und endete am 7. Juni 1950 um 12.30 Uhr. Sie konnte jeweils um fünf Jahre verlängert werden, wenn beide Seiten – Pächter und Verpächter – keine Einwendungen erbracht hatten. Laut Pachtvertrag bekam die Gemeinde Ostrach Material zu verbilligten Preisen. Vermietet wurden auch Maschinen und Gerätschaften und es wurde vereinbart, dass nur Bürger der Gemeinde Ostrach als Arbeiter eingestellt werden dürfen. Der Zeitpunkt des Endes des Pachtverhältnisses und des Verkaufs, beziehungsweise Überlassung des Werkes an die Betreibergesellschaft dürfte in die Zeit von Bürgermeister Karl Reck fallen, doch sind hierzu schriftliche Unterlagen nicht auffindbar.
Modernes Werk entsteht
Bereits zu diesem Zeitpunkt hatte sich das Gesicht des Kies- und Schotterwerkes total verändert. Die alten Maschinen und Geräte waren längst im Schrott gelandet und es war ein echtes, modernes Kieswerk mit Brecher, Sortieranlagen und Silos entstanden. Die eingeleiteten Autobahnen, Straßen- und Wohnungsbauprojekte bedeuteten für das Werk einen hohen Stabilitätsgrad. Gefordert wurde der Betrieb durch staatliche Lieferbedingungen für den Bau des Westwalls. Dafür musste neben dem Gleis Drei am Bahnhof Ostrach eine Rampe erstellt werden, von der aus die Lastwagen Kies und Sand auf die bereitgestellten Eisenbahnwaggons kippten.
Leo Rothmund fuhr mit einem Lkw mit Vollgummireifen und Otto Bausinger per Bulldog und Anhänger das Material zum Bahnhof. Oft waren es ganze Züge, die mit zwei Dampflokomotiven im Vorspann über Pfullendorf oder Altshausen in Richtung Schwarzwald und Rheintal in Gang gesetzt wurden. Ein Foto vom 1. Mai 1941 zeigt eine Belegschaft von 23 Personen, zu denen noch etwa fünf Lkw-Fahrer zugerechnet werden dürfen. Die letzten Kriegsjahre zwangen zu Einschränkungen. Danach begann aufgrund des Nachholbedarfes und der Kriegsschäden für das Unternehmen eine Hochkonjunktur. Das bedingte insbesondere größeren Flächenbedarf und hatte teils schwierige Verhandlungen mit Grundstücksbesitzern zur Folge. Doch Karl Müller schaffte seinerzeit – mit nur einer Ausnahme – mehrere Käufe und so konnte das „Kieswerk Müller“auf lange Sicht planen und die Anlage modernisieren und erweitern.
Ostracher Kies war selbst in der Schweiz für den Autobahnbau gefragt. In guten Händen befand das Unternehmen sich bei Tochter Anneliese Müller-Drewing und Heinz Drewing. Heute – nach 80 Jahren – trägt das „Kieswerk Müller“mit den Betrieben in Ostrach, Pfullendorf, Rosna und Unterrehna den Namen seines Gründungsgeschäftsführers. Die gegenwärtige Geschäftsführung liegt in den Händen von Walter Offinger und Thomas Hinderhofer. In der mehr als 80-jährigen Geschichte des Unternehmens herrschte im Verhältnis zur politischen Gemeinde Ostrach ein verständnisvolles Miteinander – und dieses mit beiderseitigem Erfolg. „Wir sind der Umwelt verpflichtet – und das nicht erst seitdem Umweltschutz Pflicht ist“, bestätigte der langjährige Geschäftsführer Norbert Schmid, der erst kürzlich nach mehr als 20-jähriger Zugehörigkeit in den Ruhestand trat.