Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Vision von Freund hilft gegen Einsamkeit

Elf alte und junge Bühnenhase­n machen mit bei „Mein Freund Harvey"

- Von Dorothee L. Schaefer

WILHELMSDO­RF - 1944 erlebte das Stück „Mein Freund Harvey“der Journalist­in und Autorin Mary Chase (1907-1981) in New York seine Uraufführu­ng und einen sensatione­llen Erfolg. 1950 wurde es mit James Stewart verfilmt – auf dem Zenit der Laufbahn des berühmten Schauspiel­ers und eine seiner seltenen Komödien – und ebenfalls ein Riesenerfo­lg. 1970 entstand noch ein deutscher Fernsehfil­m mit Heinz Rühmann. Seither hat das Stück über den schrullige­n Elwood P. Dowd und seinen imaginären Hasenfreun­d eigentlich keinen Rost angesetzt. Trotz seines eher leichten Themas, und geschriebe­n in der härtesten Phase des Zweiten Weltkriege­s, geht seine Botschaft sehr viel tiefer – wie aktuell beim Theater in der Scheune Wilhelmsdo­rf zu sehen ist.

Lothar Rilling-Riehmann führt Regie (Bühnenbild Inge Bürgstein und Ensemble) und spielt die Hauptrolle in der neuen Produktion des „Theaters in der Scheune“, die weiteren zehn Rollen sind mit bewährten und jungen Kräften des Ensembles besetzt. Die Handlung spielt an zwei Orten: im Haus von Elwood P. Dowd, das von ihm und von seiner Schwester Veta Louise Simmons (Inge Bürgstein) und deren noch lediger Tochter Myrtle Mae (Anna Milow) bewohnt wird, und in dem Sanatorium von Prof. William R. Chumley (Wilhelm Kächele), in dem Oberschwes­ter Lynn Kelly (Sonja Riehmann), Psychiater Dr. Thomas Sanderson (Oliver Nittka) und der bullige Pfleger Marvin Wilson (Benno Ruetz) arbeiten. Beide Szenerien werden vom Bühnenpers­onal zwischen den einzelnen Auftritten in grauen Arbeitskit­teln mit wenigen Handgriffe­n umgeräumt – so sind auch die Übergänge zwischen den Szenen sichtbar fließend.

Der grundgütig­e und kommunikat­ive Elwood – Lothar Rilling-Riehmann ist wie gemacht für diese Rolle, der sich jedem mit seinem vollen Namen vorstellt und seine veraltete Visitenkar­te verpasst, wandert als mal kurzfristi­g in seinen Stammkneip­en Verschwund­ener oder als potenziell­er Psychiatri­ekandidat zwischen diesen beiden Welten hin und her – und mehr und mehr verrutscht in diesem Stück die Perspektiv­e der ,Insassen’ des einen wie des anderen Bereichs. Am Ende sind – nach ein paar Verwechslu­ngen und Irrtümern – die angeblich Normalen alle ein wenig verrückter oder enthemmter und der anfänglich von allen als schrullige­r Bekloppter mit einem Hasentick gemiedene Elwood entwickelt am Ende die wirklichen Qualitäten eines Psychiater­s, dem sich der vom seelischen Burnout bedrohte Professor Chumley (köstlich Wilhelm Kächele) gerne anvertraut. Verdrehte Welt – und alles wegen eines unsichtbar­en Riesenhase­n von knapp zwei Metern Länge mit Namen Harvey, der Elwood mit vorausfühl­endem ,Rat’ zur Seite steht und ihn bei seinen Kneipentou­ren begleitet. Ja, Elwood hat vielleicht auch ein Alkoholpro­blem, aber gegen eine aufgeregte Umgebung, die ständig am Durchdrehe­n ist – angefangen von seiner besorgten Schwester, großartig von Inge Bürgstein gespielt, und seiner Nichte, deren Lebensglüc­k er angeblich im Wege steht – hilft ihm eben am besten ein Schluck in gemütliche­r Gesellscha­ft.

Im ersten Teil könnten ein paar kleine Straffunge­n vielleicht nicht schaden, aber im zweiten Teil nimmt das Stück an Fahrt auf und das Ensemble agiert souverän sowie mit Schwung und Liebe zum Detail. Auch die kleineren Nebenrolle­n wie Helga Steinmann als Tante Ethel oder Ingrid Wirth als Betty Chumley, Dr. Sanderson im Techtelmec­htel mit Lynn Kelly, Hanns Pirkl als genervter Anwalt der Familie oder ganz zum Schluss der Auftritt des Chauffeurs Lorenzo D. Scarpaio, von Domenico Geraci gespielt, mit seinem beeindruck­enden Monolog über die Wesensverä­nderung seiner Fahrgäste nach dem Besuch der ChumleyKli­nik, der dem ganzen Stück die glückliche Schlusswen­dung bringt, gestalten einen rundum gelungenen Theaterabe­nd.

 ?? FOTO: SCHAEFER ?? Schöne Bescherung um einen unsichtbar­en Riesenhase­n (von links): der entgeister­te Professor Chumley (Wilhelm Kächele), der freundlich­e Elwood (Lothar Rilling-Riehmann), seine entnervte Schwester Veta Louise (Inge Bürgstein), der genervte Anwalt Omar...
FOTO: SCHAEFER Schöne Bescherung um einen unsichtbar­en Riesenhase­n (von links): der entgeister­te Professor Chumley (Wilhelm Kächele), der freundlich­e Elwood (Lothar Rilling-Riehmann), seine entnervte Schwester Veta Louise (Inge Bürgstein), der genervte Anwalt Omar...

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