Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Ganz schön mutig
So kämpft Miss Albinismus Simbabwe gegen Vorurteile, Hass und Gewalt
Du bist wunderschön. So wie du bist“, sagte ihre Mutter Sithembiso. Aber warum starrten die Menschen sie dann so an? Warum zeigten sie mit dem Finger auf sie? Warum tuschelten sie hinter ihrem Rücken? Warum ließen sie sie immer wieder spüren, was offensichtlich war: dass Sithembiso ganz weiß und ganz anders ist. Hatte die Mutterliebe Sithembisos Mama lügen lassen? Sithembiso wollte es wissen. Im März nahm sie an der ersten Miss Albinismus Wahl in Simbabwe teil. Ihre Mutter hatte nicht gelogen. Sithembiso gewann. Das Bild der strahlenden Siegerin ging um die Welt. Jetzt will die Studentin ihren neu gewonnenen Ruhm nutzen, um gegen Vorurteile, Hass und Gewalt zu kämpfen.
„Als ich klein war, habe ich Gott oft gefragt, warum ich so anders bin. Eine Antwort habe nie erhalten. Trotzdem habe ich mich so akzeptiert, wie ich bin. Ich wollte nie schwarz sein. Meine Familie hat mich dabei immer unterstützt“, erzählt Sithembiso Mutukura in Harare, der Hauptstadt Simbabwes.
Die Unterstützung durch die eigene Familie ist in Afrika keine Selbstverständlichkeit. Vor allem auf dem Land gilt ein Kind mit Albinismus oft noch als Fluch. Manche Mütter ertränken oder ersticken ihre weißen Babys oder setzen sie aus. Oft werden die Mütter von hellhäutigen afrikanischen Jungs und Mädchen von ihren Männern verlassen. Auch einige Mitglieder der Familie von Sithembisos Vater unterstellten der Mutter der künftigen Schönheitskönigin, ihren Mann betrogen und das Kind mit einem „weißen Geist“gezeugt zu haben. „Meine Eltern hatten deshalb große Probleme. Aber sie haben sich nicht auseinandertreiben lassen“, berichtet die 22-Jährige, die zwei hellhäutige und zwei dunkelhäutige Geschwister hat.
Sithembiso fürchtet sich nicht. Für Hunderttausende andere Afrikaner, bei denen aufgrund eines Gendefekts die Bildung des Pigments Melanin gestört ist, ist die Angst jedoch auch im Jahr 2018 ihr ständiger Begleiter. Es ist nicht nur die Furcht vor der Sonne. Ihre Strahlen schädigen die Augen der Menschen mit der Pigmentstörung, brennen ihnen dunkle Hautkrebsflecken in die helle Haut und lassen sie oft deutlich früher sterben. Doch es ist vor allem die Angst vor den Menschen, die viele der hellhäutigen Afrikaner ein Leben in Dunkelheit und im Verborgenen führen lässt.
Nach Angaben der Vereinten Nationen kam es in Afrika seit 2006 in 28 Ländern südlich der Sahara zu mehr als 600 Angriffen auf Menschen mit Albinismus. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen. Nachdem alleine in Malawi zwischen 2014 und 2016 nach Angaben von Amnesty International 18 Menschen mit Albinismus getötet worden sein sollen, erklärte UN-Albinimus-Beauftragte Ikponwosa Ero – die selbst unter dem Gendefekt leidet – dass ohne Gegenmaßnahmen den rund 10 000 Menschen mit Albinismus in Malawi mittelfristig die „Auslöschung“drohe.
In Tansania wurden nach Schätzungen der UNO zwischen 2000 und 2015 mindestens 75 Menschen mit Albinismus getötet. Wunderheiler hatten verbreitet, dass die Körperteile der hellhäutigen Afrikaner reich machen könnten. Menschenjäger hackten ihnen daraufhin Hände, Arme, Zungen, Köpfe, Beine und Geschlechtsteile ab und zogen ihnen die Haut ab. Fischer glaubten, sie würden mit Gold gestopfte Fische fangen, wenn sie Fleisch oder Haare von Menschen mit Albinismus als Köder verwenden würden. Bergleute glaubten, dass das Gold einfach an die Oberfläche steigen würde, wenn sie den Schädel eines Menschen mit Albinismus auf die Mine legten. Bis zu 75 000 Euro wurde nach Schätzungen der Vereinten Nationen für eine Leiche gezahlt. Und selbst nach ihrem Tod fanden die hellhäutigen Afrikaner keine Ruhe. Weil sich das Gerücht hielt, sie hätten Knochen aus Gold, wurden die Leichen aus den Gräbern gezerrt. Und noch immer spielen Menschen mit Albinismus in vielen afrikanischen Filmen die Bösewichte, oft wird vor ihnen ausgespuckt und sie werden als „Gehäutete“, „Niemand“oder „Geist“verhöhnt. In Simbabwe hat es Pogrome wie in Tansania oder Malawi nie gegeben. Und dennoch leiden vor allem in den ländlichen Gegenden des von Robert Mugabe zugrunde regierten Staates viele Menschen mit Albinismus unter Diskriminierung. Schönheitskönigin Sithembiso Mutukura kennt die Vorurteile über die weißen Schwarzen. „Manche Männer glauben, dass Frauen mit Albinismus besonders gut im Bett seien. Das kann uns gefährlich werden. Andere glauben, dass der ungeschützte Verkehr mit uns HIV heilen kann“, berichtet Mutukura, die Soziale Arbeit in Harare studiert.
Probleme mit den Augen
An ihrer Uni fällt sie besonders auf. Denn viele Menschen mit Albinismus haben Probleme mit den Augen, können schon als Kinder die Buchstaben an der Tafel kaum entziffern, kommen deshalb in der Schule oft schlecht mit. Aus Unwissenheit wird das oft als Dummheit ausgelegt.
„Auch wenn es nicht einfach ist: Wir wollen unsere Schönheit zeigen. Wir sind keine Opfer. Wir sind genauso schön, genauso talentiert und genauso intelligent wie andere Menschen auch“, berichtet Brenda Mudzimu Chibvongodze, die die Misswahl in Harare organisiert hat. Sie plant bereits eine Miss-AlbinismusAfrikaund eine Miss-AlbinismusWorld-Wahl.
Sithembiso Mutukura wäre für beide Wettbewerbe automatisch qualifiziert. Auf Laufstegen und in Fotostudios sieht sie ihre Zukunft trotzdem nicht. „Ich will eines Tages UN-Sonderbotschafterin gegen die Diskriminierung von Menschen mit Albinismus werden“, sagt die Schönheitskönigin.